Otto Retzer: "So einsam
starb mein Freund Udo"

Der Regisseur hat seine Freundschaft zu dem Entertainer filmisch aufgearbeitet

In einer TV-Doku setzt sich Otto Retzer mit den tiefen inneren Konflikten seines Freundes Udo Jürgens auseinander -und zeichnet die letzten Stunden des Entertainers nach.

von Unvergessene Legende - Otto Retzer: "So einsam
starb mein Freund Udo" © Bild: Heinz Stephan Tesarek

Nimmt man seine öffentliche Selbstdarstellung zum Maßstab, so gehört Otto Retzer nicht unbedingt zu den sensiblen, zartbesaiteten Zeitgenossen: Mit tragenden Rollen in Schmonzetten wie "Hurra, die Schwedinnen sind da" oder "Sunnyboy und Sugarbaby" wurde er in den Siebzigerjahren berüchtigt -mit Serien wie "Ein Schloss am Wörthersee" und "Klinik unter Palmen" wurde er in den Achtzigern und Neunzigern berühmt. Nun aber beschäftigte sich der Mann mit dem Beinamen "die Glatze vom Wörthersee" filmisch mit einem Thema, das er bislang nie an die große Glocke hängte: mit seiner über Jahrzehnte währenden, unverbrüchlichen Freundschaft mit Udo Jürgens.

"Udo Jürgens - eine Legende. Unvergessen" nennt sich die Dokumentation über den Entertainer, in der erstmals nicht nur die legendären Erfolge und zahllosen Affären des in Klagenfurt geborenen Sängers beleuchtet werden, sondern auch seine späten Jahre, seine panische Angst vor der Einsamkeit und seine allerletzten Stunden. Gedämpftes Licht, samtene Fauteuils und ein alter, kastanienbrauner Flügel als zentraler Blickfang: Otto Retzer sitzt im "Roten Salon" des Hotels Seefels am Wörthersee und streicht mit den Fingern ehrfürchtig über die Tastatur. Auf diesem Klavier hatte der frühe Udo an den Wochenenden aufgespielt, damals, als sie einander kennenlernten: Udo, den bereits damals die Aura des feingeistigen Künstlers umgab, und Otto, der um elf Jahre Jüngere, der allzeit bereite Partytiger, der direkt unter dem schicken Salon in einer Tanzbar namens "Drop In" den Diskjockey gab.

© Lieblingsfilm / Servus TV Aus Retzers Fotoalbum: Jürgens mit Rainer Husar, Hannes Jagerhofer, Retzer und unbekannter Dame (vl.)

Mosaik privater Tragödien

"Natürlich zeige ich auch, dass er ein Weltstar war und große Bühnenauftritte hatte", holt Retzer aus. "Doch in erster Linie erzähle ich Udos Geschichte so, wie ich sie persönlich erlebt habe - und wie seine engsten Verwandten und Wegbegleiter sie mir erzählten."

Die Tochter, den Sohn, die Freunde, den Mann, der sich zum Schluss um den Superstar kümmerte, all diese Wegbegleiter klapperte Retzer mit seinem Filmteam ab und zeichnet so auch ein Mosaik vieler privater Tragödien, die sich hinter den öffentliche Triumphen verbargen.

"Als Udos Kinder John und Jenny noch ganz klein waren, habe ich sie gewickelt, später habe ich ihnen das Skifahren beigebracht", sagt Retzer. Nun, da die beiden bereits selbst knapp jenseits der Fünfzig sind, sprachen sie mit dem Babysitter und Skilehrer von einst über ihr schwieriges Verhältnis zu Papa Udo.

"Mittlerweile habe ich verstanden, warum er kein guter Vater sein konnte", erzählt John Jürgens in Retzers Doku. "Wenn er da war, hatten wir Riesenspaß und eine Zeit mit Riesenqualität." Aber: "Ein Mann, der so eine Karriere macht, hat wenig Zeit für die Familie, für die Kinder, da vermisst man ihn oft." Besonders ein Lied habe John immer wieder zu Tränen gerührt, es trägt den Titel "Der gekaufte Drachen".

Der Song handelt von einem großen Wirtschaftsmagnaten, der Gästen stolz seine Herrschaftsvilla zeigt -ein Domizil voll Pracht, Pomp und Prestige. "Dieses Haus, die Fabrik, nur für ihn tu' ich das", lautet eine Textpassage. Er, das ist der einzige Sohn, noch ein kleiner Bub, doch der reagiert betrübt: "Papa, ich weiß nicht, ob ich das will, ich will mit dir einen Drachen bauen." Und: "Ein gekaufter Drachen fliegt nicht mal halb so weit "

"Wenn du als Erwachsener im Publikum sitzt und du weißt, dass er dich damit anspricht, da zerreißt es dich einfach, da laufen die Tränen", schildert John im Gespräch mit Retzer.

© News Heinz Stephan Tesarek Otto Retzer mit Redakteurin Tanja Fischl am Wörthersee

Das dunkle Loch

Doch da waren nicht nur die Kinder, die ihren Vater viel, viel öfter im Fernsehen sahen als persönlich. Da war auch der Star selbst, der, je älter er wurde, immer stärker unter der privaten Einsamkeit hinter der Konzert-und Tourhektik litt. Eventveranstalter Hannes Jagerhofer, der ein Jahr mit Udos Tochter Jenny liiert und seither einer der engsten Vertrauten des Sängers war, erzählt vor Retzers Kamera: "Er war der Chef, er stand im Mittelpunkt, doch kaum war die Tour vorbei, ist er in ein Riesenloch gefallen." Darunter, so Jagerhofer, habe Jürgens "echt gelitten". Einerseits habe er Millionen Menschen "aktiviert und begeistert", doch andererseits sei er "auf sich alleine gestellt und ein einsamer Kerl" gewesen. Immer wieder habe ihr Vater "eine Figur erfüllen" müssen, und das sei "wahnsinnig anstrengend" gewesen, erzählt Tochter Jenny.

Im "Roten Salon" des Hotels Seefels hat sich Otto Retzer, der Udo-Dokumentarist, mittlerweile in einem der gepolsterten Stühle zurückgelehnt. Die öffentliche Figur und der Privatmensch Udo, genau aus diesem Widerspruch sei letztendlich die Einsamkeit seines Freundes entstanden. "Er war ja nicht der Schlagersänger, als den man ihn immer wieder schubladisierte, er war der erste wirkliche Liedermacher im deutschsprachigen Raum." Einmal, erinnert sich Retzer, habe er Udo mit seinen Spezis Roy Black und Chris Roberts zusammenbringen wollen -doch was als eine Art Gipfeltreffen der leichten Muse gedacht war, endete in einem Desaster.

"Ich hatte ein gemeinsames Abendessen arrangiert, auch ein paar hübsche Mädchen hatte ich angerufen, damit der Abend letztendlich auch romantisch wird", erzählt Retzer. Doch Udo habe sich in der Gesellschaft der beiden Schlagersänger einfach nicht wohlgefühlt und sei, ohne groß Ausreden zu erfinden, raschest abgerauscht. Kurz darauf entwich auch der leicht betretene Chris Roberts das Lokal, ehe er, Retzer, mit Roy Black alleine zurückblieb -und sich Letzterer vernichtend betrank.

Finales Spannungsfeld

Doch da war auch noch dieses Spannungsfeld zwischen dem Image des alterslosen Womanizers und der Lebensrealität eines Mannes an der Schwelle zum Greisenalter: Anlässlich des Partymarathons zu seinem Achtziger, wenige Monate vor seinem Tod, habe Udo schon "sehr, sehr müde" gewirkt, meint Retzer.

Dem alten Freund vom Wörthersee gelang es als Erstem, jenen Mann vor die Kamera zu lotsen, der zu Udos Sterbebegleiter wurde: seinen Percussionisten und persönlichen Betreuer Billy Todzo. "Wir sind abends spazieren gegangen, er hat mich gerufen mit dieser seltsamen Stimme, die nicht die Seine war", schildert Todzo im Interview mit Retzer. Er, Todzo, habe sich umgewandt und gesehen: "Udo ist am Zusammenbrechen." Da habe er ihn in die Arme genommen. "Ich konnte ihn nicht loslassen, jemand anderer holte den Defibrillator, ich musste bei ihm bleiben und pumpen."

Wenige Stunden darauf wurde Udo Jürgens offi ziell für tot erklärt. "Manchmal kommt es mir heute noch unrealistisch vor dass der Udo nicht mehr da ist", sagt Otto Retzer. Langsam klappt er die hölzerne Abdeckung auf die Klaviertastatur, wickelt sich in einen dicken Schal und verlässt den "Roten Salon". Draußen hat es dicht zu schneien begonnen, und ein eisiger Wind fegt über den Wörthersee.