Krankheit mit 1.000 Gesichtern

Rund 10.000 Österreicher leiden an Multipler Sklerose. Den Ursachen auf der Spur.

Multiple Sklerose, kurz MS, gilt als die Krankheit mit 1.000 Gesichtern. Man weiß weder, wodurch sie ausgelöst wird noch kann man ihren Verlauf vorhersagen, da sich das Krankheitsbild von Patient zu Patient unterscheidet. Was genau ist MS? Wie äußert sie sich? Und was kann man dagegen tun? News.at befragte den Experten.

von Nackte Frau kauert auf dem Boden © Bild: Corbis

Multiple Sklerose ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der das eigene Immunsystem die Zellen im Gehirn angreift. Die um die Nervenleitungen gelegte Isolierschichte wird langsam, aber stetig zerstört. Im Gehirn bilden sich Entzündungsherde. Die Nerven können die vom Gehirn gegebenen Impulse nicht mehr angemessen weiterleiten. So kommt es schließlich zu Symptomen wie Geh- oder Sehstörungen, erklärt Prof. Karl Voss von der Universitätsklinik für Neurologie der MedUni Wien.

Symptome

Die Krankheit äußert sich anfangs oft in Form von tage- oder wochenlang anhaltenden Sehstörungen, Gangunsicherheit und/oder Schwindel. Die Diagnose wird in der Regel zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr gestellt. Motorische Schwächen treten meist erst später auf. Anfängliche Symptome verschwinden meist wieder, um im Laufe der Zeit wieder aufzutreten. Dann ermüdet der Betroffene rasch, stolpert häufiger, Gehaltenes fällt ihm aus der Hand. Ebenso kann es mit fortschreitendem Krankheitsverlauf zu Blasenproblemen kommen.

Kognitive Einschränkungen

Auch die kognitive Komponente kann durch Multiple Sklerose beeinträchtigt sein. Konfrontiert man den Patienten mit mehreren Aufgaben gleichzeitig, kann ihn das schnell überfordern. In diesem Fall kann es zu Aufmerksamkeits- und/oder Gedächtnisstörungen kommen. In der Regel hält sich die geistige Beeinträchtigung aber in Grenzen und ist für das soziale Umfeld nicht auf den ersten Blick erkennbar. Umso wichtiger ist es, eventuelle Beeinträchtigungen als solche zu erkennen und den Betroffenen nicht zu verurteilen, wenn er den Anforderungen des Umfelds nicht entsprechen kann.

MS und Sexualität

Im Zusammenhang mit der Krankheit meist stark tabuisiert wird das Thema Sexualität. "Hier spielen viele Komponenten hinein, deren wichtigste anfangs die psychologische ist", so Prof. Voss. Die niederschmetternde Diagnose nagt am Selbstwertgefühl des Betroffenen. Das wiederum kann Sexualität wie Partnerschaft immens beeinträchtigen. Zudem hat die Sexualität auch eine neurologische Komponente: Wenn die entsprechenden Leitungen in Gehirn und im Rückenmark nicht mehr funktionieren, klappt es möglicherweise auch mit dem Sex nur mehr bedingt. Dennoch zeigt sich Prof. Voss optimistisch: "Viele Patienten leben in einer glücklichen Partnerschaft mit Kindern."

MS vererbbar?

Vererbbar ist MS nicht, "aber wenn ein Elternteil Multiple Sklerose hatte, dann erhöht sich das generelle Risiko von 1:1.000 auf 1:100", erklärt der Experte. Fest stehe auch, dass es kein "einzelnes MS-Gen" gibt, das die Krankheit auslöst. Für die Entstehung von Multipler Sklerose sei eine Kombination aus genetischen und Umweltfaktoren verantwortlich. Rund 10.000 Österreicher leiden an Multipler Sklerose. Etwa Dreiviertel der Patienten sind Frauen. Festgestellt wurde auch ein "Nord-Süd-Gefälle": In Schweden und Schottland gibt es zum Beispiel doppelt so viele MS-Erkrankungen wie in Österreich. Das könnte, so der Experte, mit der Sonne und dem Vitamin-D-Stoffwechsel zusammenhängen.

Heilung nicht in Sicht

Ein Medikament zur Heilung von Multipler Sklerose gibt es noch nicht. Prof. Voss zeigt sich diesbezüglich auch nicht besonders zuversichtlich. Was die heutige Medizin aber erlaubt, ist, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen oder gar zu stoppen. Dafür muss aber so früh wie möglich mit der medikamentösen Therapie begonnen werden. Als gängigste Behandlung gilt die Injektionstherapie mit Interferon, einem körpereigenen Protein. Seit einigen Jahren werden auch Infusionen mit dem Wirkstoff Natalizumab eingesetzt. Sie wirken wesentlich effektiver, haben dafür aber - ebenso wie die auf dem Wirkstoff Fingolimod basierenden Tabletten - gravierende Nebenwirkungen.

Frühdiagnose wichtig

Eine rechtzeitige Diagnose spielt für die Behandlung eine ganz bedeutende Rolle. "Je früher wir die Diagnose stellen können, desto besser können wir darauf reagieren und Schlüsse für die richtige Behandlung ziehen." Und: "Wer heute die Diagnose MS bekommt, hat weitaus bessere Chancen, mit weniger Behinderung und höherer Lebensqualität leben zu können."

Hier finden Betroffene Hilfe: Österreichische Multiple Sklerose Gesellschaft

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