Die Zukunft des ORF: Wir müssen reden

Hinter den Kulissen tobt ein Machtkampf um den ORF und die gesamte heimische Medienlandschaft. Im Zentrum stehen die Schweigeministerin und der nichtssagende General. Auf dem Bildschirm wird das öffentlich-rechtliche Führungsvakuum sichtbar

von Medien & Menschen - Die Zukunft des ORF: Wir müssen reden © Bild: Gleissfoto

Sonntag in der "ZIB 2": Beate Meinl-Reisinger war zu Gast bei Marie-Claire Zimmermann. Thema: Neutralität und Sicherheitspolitik. Doch vier der acht Minuten Interview drehten sich um Salzburgs Landtagswahl und die finale Frage, ob Sepp Schellhorn die Neos-Chefin ablösen könnte. Wenn das jene Dauerbrennerform annimmt, wie SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner mit Hans Peter Doskozil genervt wurde, bekommen sogar die Pinken ein Führungsproblem. Fragt man so etwas nur Frauen? Vielleicht sollten prinzipiell als Gesprächsabschluss mögliche Nachfolger aufgetischt werden: Magnus Brunner für Karl Nehammer, Leonore Gewessler für Werner Kogler, Manfred Haimbuchner für Herbert Kickl. Das wäre sicher ein starkes Zeichen journalistischer Unabhängigkeit.

Aber Ironie beiseite: Personelle Überzeichnung geht immer auf Kosten von Inhalt. Also wurde in der "ZIB 2" nicht nach der parlamentarischer Enquete über den Medienmarkt am nächsten Tag gefragt - veranstaltet von den Neos, mit internationalen Experten und heimischen Diskutanten. Dabei hätten sich einige Themen davon auch breiteste öffentliche Diskussion verdient. Das beginnt aktuell mit den Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft rund um Regierungsinserate. Die WKStA führt dabei neben Wolfgang und Helmut Fellner von "Österreich/oe24" sowie Eva und Christoph Dichand von "Heute" und "Krone" auch Ex-Kanzler Sebastian Kurz als Beschuldigten. Und der Debattenbedarf endet unweigerlich beim ORF selbst, der neue Gesetze zur Finanzierung und Digitalisierung benötigt, die indirekt den gesamten Medienmarkt neu ordnen.

Nichts davon war Thema des anschließenden "Im Zentrum", obwohl der Ex-Außenminister und -ÖVP-Obmann Kurz dort mitreden durfte - zu "Europa am seidenen Faden: Wie groß ist Chinas Macht?" Das Publikum fragte sich eher: Warum gerade jetzt er? So wie am nächsten Morgen verwundern durfte, warum Markus Breitenecker mit Ingrid Thurnher statt Roland Weißmann vorlieb nehmen musste. Der Puls-4-Geschäftsführer hätte statt der Radiodirektorin den ORF-General als Diskussionspartner verdient.

Breitenecker wiederholte, den öffentlich-rechtlichen Anbieter nicht schwächen zu wollen und dass dieser ein Partner der Privaten im Match mit Facebook, TikTok und Co. werden soll. Solch ein Schlupfloch aus dem Dilemma der Wettbewerbsverzerrung durch zu große Förderung und Freiheit des ORF gewinnt rasant an Debattenwert. Vor allem dadurch, dass die einstigen Zeitungsverlage digital ständig stärker auf Audio-und Videoformate von Podcasts bis Streaming setzen müssen. Durch mehr Kooperation in diesem Bereich ließe sich auch für die Konkurrenzlinie Textinformation leichter eine Lösung finden. Der Sturmlauf der Verleger gegen solche Onlineausweitung des gebührengestützten Rundfunks ist berechtigt. Der Wunsch von ORF und Publikum nach Erhalt der sogenannten blauen Seite aber auch.

Unterdessen tobt das Lobbying um die künftigen digitalen Grenzen und Freiheiten der Macher vom Küniglberg und in den Landesstudios. Wenn ein Verleger wie der Vorarlberger Eugen A. Russ dem "Standard" sagt, die Medienlandschaft sei durch das ORF-Gesetz "existenziell gefährdet", ist das ein Indiz für eine baldige Entscheidung. Das wahre Tauziehen aber findet hinter den Kulissen statt - bei Susanne Raab. Und Weißmann folgt dem Beispiel der Schweigeministerin. Doch in entscheidenden Fragen öffentlich keine Stellung zu beziehen, widerspricht dem wörtlichen Anspruch von "öffentlich-rechtlich". Ein nichtssagender General erweist seinem Unternehmen einen Bärendienst.

Genau das erwarten die Regierenden von ihm. ÖVP wie Grüne behandeln den ORF vor allem mit parteilichem Machtkalkül. Die SPÖ wartet bloß, bis sie dort wieder mehr zu sagen hat. Der FPÖ ist seine Schwächung ein Herzenswunsch. Also bleiben nur Neos, die noch nie im Aufsichtsgremium Fäden ziehen konnten, für die konstruktiv-kritische Suche nach dem öffentlich-rechtlichen Ausgleich von Staatseinfluss und Bürgernähe. Mediensprecherin Henrike Brandstötter entspricht politisch, Stiftungsrätin Anita Zielina fachlich dem Anspruch. Entsprechend aufschlussreich verlief die Enquete.

Das galt - zynisch betrachtet - auch für den Fernsehabend davor. Während Beate Meinl-Reisinger in der "ZIB 2" nicht zu ihrem Medienthema befragt wurde, ließ Claudia Reiterer als Finale von "Im Zentrum" Sebastian Kurz drei Minuten zu den WKStA-Ermittlungen und Comeback-Bestrebungen ausschweifen. Das ist der Status quo des ORF, über den so öffentlich wie möglich zu reden ist.