Der tiefe Fall vom Medien-Thron

Rainer Nowak und Matthias Schrom haben dem Ansehen des Journalismus geschadet. Ihre Fehler sind so offensichtlich, dass die beiden besser selbst zurückgetreten wären. Doch es braucht auch die Sicht aus ihrer Perspektive

von Medien & Menschen - Der tiefe Fall vom Medien-Thron © Bild: Gleissfoto

Nicht nur "the world in Vorarlberg ist too small" (©Ex-FP-Vizekanzler Hubert Gorbach). Die Eltern von Rainer Nowak waren Leiter der Wiener Redaktion und des Kulturressorts der "Tiroler Tageszeitung", als ich dort meine berufliche Laufbahn begann. Der Onkel von Matthias Schrom hatte mich davor schon als Zeichenlehrer inspiriert, seine Mutter war mir später als grüne Gemeinderätin in Innsbruck sympathisch. Ich habe den heutigen Chefredakteur der "Presse" und jenen des ORF-TV bei ihren ersten journalistischen Schritten vor bald 30 Jahren kennengelernt. Und ich wurde eine Dekade später - wie mittlerweile die beiden, aber bei einem weniger bedeutenden Medium - als Chefredakteur dienstfrei gestellt. Aus vollkommen anderen Gründen, doch mit ähnlicher persönlicher Wirkung.

Diese Vorbemerkung zu meiner allfälligen Befangenheit erscheint mir wichtig für den Versuch einer Annäherung aus umgekehrter Perspektive: Warum ist die Rücktrittskultur auch bei jenen unterentwickelt, die sie beim politischen Gegenüber geradezu aus professioneller Räson einfordern? Weil ein Fall ins Bodenlose droht bzw. die Wahl zwischen Pest und Cholera. Viel mehr als die Politik ist der Journalismus ein Metier, in dem man sich kaum Freunde machen kann. Je wichtiger das Medium, desto weniger. Doch Österreich allgemein und Wien besonders erwecken in ihrer Kleinheit den gegenteiligen Eindruck. Das schlimmste Gift für die persönliche Integrität von Chefredakteuren sind ihre rasant gewachsenen Repräsentationspflichten. Das reicht von Fernsehauftritten über Gala-Empfänge bis zum Social Media-Einsatz. Die wöchentlichen Leitartikel und Newsletter der Zeitungsleute sowie fallweisen Politik-Analysen der TV-Kollegen sind oft ihre letzten wirklich journalistischen Refugien. Nirgends ist die Entfernung von der ursprünglichen Arbeit größer als auf der obersten Sprosse der Karriereleiter. Kein Lob ist verlogener als das Einschleimen bei Chefredakteuren.

Es braucht eine enorme selbstreflexive Ausstattung, um in diesem Minenfeld nicht außer Tritt zu geraten. In der branchenspezifisch häufigen Kombination mit überbordender Eitelkeit ist maßlose Arroganz ein Mittel, um die Balance zu halten. Als konträres Instrument dient scheinbare Kumpanei intern über alle Hierarchieebenen und extern über jede Genregrenze hinweg. Doch wenn einer den Job an der Spitze verliert, ist es gleichgültig, ob ihm Herablassung, Gemeinmachung oder weder noch zur Kompensation gedient hatten. Dann wird es schlagartig so einsam, wie es kein in Massenmedien sozialisierter Mensch auch nur erahnen kann. Diese Isolation lässt sich lediglich abfedern durch eine Selbstdemütigung, die es vor allem im öffentlich-rechtlichen Sektor häufig gibt: Da wird einer zum sogenannten weißen Elefanten - gut bezahlt, aber machtlos im Unternehmen, wo er einst an der Spitze stand. Beim ORF geschieht dies immer wieder ohne professionellen Grund infolge politischer Einflüsse.

Die Alternative dazu ist der Sprung ins kalte Wasser der Selbstständigkeit. Er ist für Journalisten alten Schlags besonders fröstelnd, die ohne Studienabschluss schon sehr jung (wie Nowak, Schrom und ich) in einer Redaktion Fuß fassen konnten und um die 50 vor den Trümmern ihrer Karriere stehen. Peter Michael Lingens, dessen Arbeit als "profil"-Chef mich einst in meiner Berufsentscheidung stark beeinflusst hat, gab als 55-jähriger "Standard"-Chefredakteur seinen Abschied vom Journalismus bekannt - wegen des Vorwurfs, einen Freund zur Intervention bei einem Staatsanwalt verleitet zu haben. Im Verfahren wegen versuchter Anstiftung zum Amtsmissbrauch wurde er aber freigesprochen und schrieb letztlich als Kolumnist für "Standard", dann "profil" und heute den "Falter" weiter. 2019 wurde er bei der Wahl der Journalisten des Jahres hochverdient für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Das alles soll keine Rehabilitation von Nowak und Schrom sein (die im Übrigen als Journalisten kaum unterschiedlicher sein könnten). Ihre Fehlleistungen sind unumstritten. Die Bewertung hätten sie besser radikal selbst vorgenommen, anstatt sie den Untersuchungen ihrer Arbeitgeber zu überlassen. Dann wäre ihnen trotz mangelnder Perspektiven zumindest das Heft des Handelns in der Hand geblieben. So aber schleudern zu viele mit Dreck, die schon den ersten Steinwurf scheuen müssten.