Verliebt und betrogen

Kurz vor Weihnachten sind Liebesbetrüger im Internet besonders aktiv: Sie bedienen Sehnsüchte, versprechen die große Liebe - und wollen in Wirklichkeit nur das große Geld. Eine Niederösterreicherin erzählt, wie sie auf einen sogenannten Love-Scammer hereinfiel.

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Love-Scammer - Verliebt und betrogen

Im Juli lernte Karin endlich den richtigen Mann kennen. Es war Liebe auf den ersten Klick. Sie begegnete ihm auf Tinder: Die Internetplattform zeigt Bilder von Partnersuchenden. Wenn zwei User aneinander Gefallen finden, stellt das Computerprogramm den Kontakt her. James, ein fescher, graumelierter Ingenieur aus den USA, war interessiert, Karin, die attraktive, 46-jährige Niederösterreicherin, auch. Sie begannen, zu chatten. "Er war mir sympathisch", erzählt Karin. "Ein schöner Mensch mit sehr gepflegter Ausdrucksweise, im Alter passend." Und das Beste: Die Tinder-App zeigte an, dass er nur rund 30 Kilometer entfernt in Wien-Hietzing wohnte. Nach einer Weile wechselten sie zu Whatsapp und tauschten sich weiter aus. "Er hat relativ schnell mit Liebesbezeugungen begonnen. Aber nicht platt oder anzüglich, sondern sehr poetisch. Als Frau denkst du dir, wow, das hat mir noch keiner geschrieben."

Viele träumen davon, im Internet den Partner ihres Lebens zu finden. Manchmal gelingt es. Aber es kommt auch vor, dass es danebengeht. Denn im Netz tummeln sich nicht nur seriöse Partnersuchende, sondern auch professionelle Banden, die nur das große Geschäft mit der Liebe machen wollen. Jetzt, kurz vor Weihnachten, sind sie wieder besonders aktiv, denn: Wer will schon allein unterm Christbaum sitzen, wenn ringsum alle glücklich sind? Die Love-Scammer, wie sie international genannt werden, erschleichen sich das Vertrauen ihrer Opfer. Sie lügen und betrügen sie. Karin hat das alles erlebt. Es fällt ihr schwer, darüber zu sprechen. Aber sie will, dass ihre Geschichte erzählt wird - damit anderen nicht dasselbe passiert.

Am Anfang steht die Sehnsucht. Eine Frau, die auf einschlägigen Seiten unterwegs ist, outet sich als Suchende, sagt die Psychotherapeutin Katja Russo vom Verein Frauen beraten Frauen: "Die Betrüger auch, aber eben nur scheinbar. Sie haben einen Riesenwissensvorsprung und manipulieren die Person in alle Richtungen. Sie können sich ohne Druck und Risiko endlos vorbereiten und verschiedene Strategien ausprobieren." Auf welche Profilfotos sprechen Frauen besonders gut an? Welche Sprüche gefallen ihnen besonders? Alles tausendfach erprobt. Die Betrüger arbeiten mit raffinierten psychologischen Tricks, weiß auch die Deutsche Helga Grotheer, die sich seit Jahren mit Liebesbetrug im Netz befasst. "Sie hören zu. Sie gehen ein auf das, was man sagt. Und sie machen eine richtige Gehirnwäsche. Sobald man misstrauisch wird, reden sie einem schlechtes Gewissen ein."

Tödliches Unglück

Noch bevor es zum ersten Treffen kam, musste James auf eine längere Dienstreise nach Bahrain. Er schickte Fotos vom Hotel. Sie telefonierten stundenlang, tauschten lange Whatsapp-Nachrichten aus. Karin war glücklich. Sie konnte es kaum erwarten, ihn endlich zu treffen. Sie gab sich Träumen von einer gemeinsamen Zukunft hin. Dann der Schock. Etwa eine Woche nach seiner Abreise rief er sie aufgelöst an. Auf der Baustelle, auf der arbeitete, habe sich ein tödliches Unglück ereignet und er sei festgenommen worden. Er habe mit seiner Familie gebrochen, nur sie könne ihm jetzt helfen. Er brauche 4.000 Euro für die Kaution. Karin überwies die Summe via Moneygram an einen Strohmann, der mit James' Rechtsanwalt in Kontakt stand.

Karins Geschichte ist typisch: In der ersten Phase versuchen Love-Scammer, durch stundenlange Telefonate Nähe und Abhängigkeit herzustellen, dann tritt eine "Notsituation" ein, in der angeblich finanzielle Unterstützung notwendig wird. "Die erste Zahlung ist der größte Schritt", sagt Psychotherapeutin Russo. "Oft handelt es sich dabei um kleinere Beträge, die niemandem wehtun. Aber das ist der Türöffner. In dem Moment, in dem man das erste Mal investiert hat, hängt man noch viel mehr drin. Je mehr man investiert, desto schwerer wird es, auszusteigen. Menschen können das Risiko dann nicht mehr neutral abschätzen. Sie wollen etwas zurückbekommen und sind bereit, weiter zu investieren. Es ist ein Phänomen, das man auch aus der Wirtschaftspsychologie kennt."

Claus Kahn, Leiter des Büros Betrugs-, Fälschungs- und Wirtschaftskriminalität im Bundeskriminalamt, warnt davor, Betrugsopfer vorschnell zu verurteilen. "Man denkt sich oft, wie kann man nur so dumm sein und auf so etwas reinfallen. Aber so banal ist es nicht. Die Täter wären nicht so erfolgreich, wenn sie nicht gut wären." Dennoch, meint er, hätte Karin zu diesem Zeitpunkt die Reißleine ziehen müssen. "Es gibt ein Warnsignal, und es ist recht einfach: Wenn die andere Person Geld fordert, dann brechen Sie den Kontakt ab. An diesem Punkt müssen die Gefühle enden, da muss die Vernunft einsetzen."

James' Pechsträhne riss nicht ab. Er kollabierte im Gefängnis und wurde ins Krankenhaus gebracht. Er rief Karin aus dem Krankenhaus an und erzählte, dass er zurück ins Gefängnis müsse, weil er eine Wiedergutmachungszahlung für den ums Leben gekommenen Arbeiter leisten müsse. Er schickte ihr ein Foto von dem entsprechenden Gesetzestext. Karin telefonierte sogar mit dem Rechtsanwalt. "Für mich war das plausibel. Das kann schon passieren in einem fremden Land." Karin überwies wieder. Diesmal mehr. Die andere Hälfte der Summe, wurde ihr versichert, zahle der Anwalt.

Verliebt in ein Foto und in eine Stimme? Dass die Beziehung ausschließlich über Telefon und Whatsapp funktionierte, habe sie noch intensiver gemacht, vermutet Therapeutin Russo. "Die Distanz kann die Glücksfantasien und Gefühle verstärken. Man hat nur wenige Informationen über sein Gegenüber. Wenn einen die sehr ansprechen, kann das heftige Gefühle auslösen." Das Medium Internet verstärke die Suchtwirkung noch: "Man geht am Abend erwartungsvoll schlafen und schaut am nächsten Morgen gleich nach, ob er sich wieder gemeldet hat."

Wachsendes Misstrauen

James erholte sich in seinem Bahrainer Hotelzimmer von den Strapazen und meldete sich seltener als sonst. Karin befand sich in einem Gefühlschaos. Sie liebte James, und sie fühlte sich für ihn verantwortlich. Zugleich kämpfte sie gegen ihr zunehmendes Misstrauen. "Die Gefühle waren überwältigend", erzählt sie. "Ich war noch nie emotional so gefangen. Die Fantasieverliebtheit ist eine ganz starke Kraft. Er hat mich mit seinen verrückten Geschichten in die Isolation getrieben. Als intelligente Frau weißt du, jeder wird dich warnen, aber ich wollte die Warnungen nicht hören. Ich habe angefangen, mein Handy verkehrt hinzulegen, damit niemand seine Nachrichten auf dem Display sieht." James bat sie wieder um Geld. Diesmal für die Anwaltskosten und für die Hotelrechnung. Er schickte Karin ein Foto von seinem Pass. Einen Gehaltsscheck, den auch eine österreichische Bank, der sie ihn vorlegte, nicht als Fälschung identifizieren konnte. Ein Ticket für den Heimflug. Karins Vorfreude auf ihn war grenzenlos. "Ich habe jede Woche geglaubt, er kommt heim. Du freust dich, du lebst auf dieses Datum hin." Karin überwies.

Mitte September bat James um eine letzte Zahlung. Dann meldete er sich eine Woche nicht. "Da bin ich durchgedreht", sagt Karin. "Ich habe alles einer Freundin erzählt und begonnen, die Fotos, die er mir geschickt hat, zu recherchieren." Relativ schnell hatte Karin herausgefunden, dass es sich bei ihrem James in Wahrheit um ein erfolgreiches amerikanisches Männermodel handelte. Die Täter hatten die Fotos, die sie Karin schickten, von dessen umfangreichem Instagram-Account gestohlen. Karin fiel in ein Loch. "Wir hatten wochenlang alle Emotionen am Telefon ausgetauscht, ich hatte mir eine Zukunft mit ihm ausgemalt, wir hatten virtuell eine schöne Zeit miteinander verbracht."

Aber an wen hatte sie ihr Herz wirklich verloren? "Wir wissen, dass es zwei Gruppierungen gibt", sagt Claus Kahn. "Eine im russischen Sprachraum, die sich meist als Frauen ausgibt, und eine afrikanische Gruppierung, die gibt sich eher als Männer aus." Sehr wahrscheinlich also, dass "James", oder wie auch immer er wirklich heißen mag, von Afrika aus operiert.

Helga Grotheer betreibt ein Internetforum, in dem Betrogene Informationen über Liebesbetrüger veröffentlichen. Auch James wird hier besprochen. "Er ist mittlerweile in Wien gelandet", warnte eine Userin bereits im Juni. Einige Frauen versuchen auch, den Spieß umzudrehen und die Romance-Scammer zu überreden, ihre wahre Identität preiszugeben. "Uns passieren dann genauso viele Unglücke wie dem Scammer. Wir wollen das Geld überweisen, kommen aber wegen eines Beinbruchs nicht dazu. Wir versuchen, zu dem Scammer eine Beziehung aufzubauen, und sagen irgendwann: 'Ich weiß, dass du nicht echt bist, aber ich habe mich in dich verknallt.' Von manchen bekommen wir dann das echte Foto und den echten Namen." Wenn eine geschädigte Frau E-Mail-Adresse und Telefonnummer des Betrügers erkennt, bekommt sie die Daten und könne damit zur Polizei gehen, sagt Grotheer. Trotzdem, räumt sie ein, sei es "sehr, sehr schwer", der Täter habhaft zu werden.

Hohe Dunkelziffer

Karin ging den offiziellen Weg und erstattete Anzeige. Die nächste Enttäuschung: Der zuständige Beamte brachte ihrer Situation wenig Verständnis entgegen, die Ermittlungserfolge hielten sich in Grenzen. Betrugsexperte Claus Kahn rät trotzdem dazu, Chatprotokolle, Zahlungsbelege und andere Dokumente aufzuheben und die Betrugsfälle anzuzeigen. "Dann haben wir zumindest einen Ermittlungsansatz. Das heißt noch lange nicht, dass wir das Geld zurückbringen. Den seelischen Schaden können wir sowieso nicht wieder gutmachen." Weil sich viele Opfer schämen, sei die Dunkelziffer sehr hoch, sagt Kahn. "Der eine oder andere fährt viele Kilometer, um Anzeige auf einer Polizeiinspektion zu erstatten, wo man ihn nicht erkennt -das ist durchaus verständlich."

Viele Internetdating-Plattformen haben für ihre User Sicherheitstipps zusammengestellt. Letztlich können sie gegen die Betrüger aber nicht viel tun. Um ein Tinder-Profil zu eröffnen, braucht man ein Foto und ein Facebook-Profil oder eine Handynummer -die leichteste Übung für professionelle Betrüger. Auf Nachfrage bei Tinder gibt es eine Antwort von einer deutschen PR-Agentur: Wenn jemand die Konversation von der App sofort aufs Telefon verlegen wolle, sei Vorsicht geboten. Generell empfiehlt Tinder, die Unterhaltungen auf die Plattform zu beschränken, keine sensiblen, persönlichen oder finanziellen Daten zu teilen und verdächtiges Verhalten umgehend zu melden. Die Betreiber der App können das Profil sperren -aber nichts dagegen unternehmen, dass der Betrüger in der nächsten Minute ein neues Fake-Profil erstellt.

Letztlich ist Vorsicht die Mutter der Porzellankiste und des Portemonnaies. Jakob Kalina von der Watchlist Internet rät, etwa auf Facebook nie Freundschaftsanfragen von unbekannten Personen anzunehmen und gute Privatsphäre-Einstellungen zu verwenden. "Eine weitere Faustregel lautet: Man sollte im Internet nie Sachen bekannt geben, die man nicht auch einer Person auf der Straße sagen würde."

James, oder wie auch immer er wirklich heißen mag, ist angeblich immer noch in Bahrain. Karin hat ihn nicht mit ihrer Entdeckung konfrontiert. Sie hält losen Kontakt, weil sie hofft, ihn irgendwie auffliegen lassen zu können. Am Ende der Geschichte bleiben das Gefühl von Scham, ein gebrochenes Herz und ein enormer finanzieller Verlust. Wie viel sie insgesamt an James überwiesen hat, will die Angestellte nicht sagen. Nur so viel: "Ungefähr ein Vierteljahresgehalt. Ich stehe nicht vor dem Privatkonkurs, aber ich kann mir jetzt eine Weile nichts gönnen." Karin bemüht sich, ins Leben zurückzufinden. Sie trifft wieder Freunde, versucht, ihr altes soziales Umfeld zu reaktivieren. "Das fällt mir immer noch schwer, aber ich spüre, dass es ganz wichtig für mich ist."

Hilfe: Anlaufstellen für Betrogene

Opfernotruf
Die Hotline 0800 112 112 (betrieben vom Weißen Ring) ist eine zentrale Anlaufstelle für Opfer von Straftaten in Österreich und rund um die Uhr erreichbar.

Frauen beraten Frauen
Der Verein mit Sitz in Wien bietet neben persönlichen Beratungsgesprächen auch anonyme Onlineberatung. www.frauenberatenfrauen.at

Watchlist Internet
Die Informationsplattform zu Internetbetrug gibt Tipps, wie man sich schützen kann. Bei Love-Scam wird u. a. vor Fällen gewarnt, in denen die Bekanntschaft früh von großer Liebe spricht und fast immer virtuell verfügbar ist. www.watchlist-internet.at