Endlich Zeit fürs Glück

Vom gestressten Skistar zur Sängerin: Gemeinsam mit Musiker Chris Harras hat Doppelweltmeisterin Lizz Görgl ihr Leben neu geordnet. Mit einer Popkarriere, einer Patchworkfamilie und dem Hausbau haben sie sich zusammen viel vorgenommen

von Neues Leben - Endlich Zeit fürs Glück © Bild: News/Matt Observe

Es ist Zeit für einen zweiten gespritzten Apfelsaft im Schanigarten an diesem heißen Sommertag. Die attraktive Brünette nimmt sich Zeit für ihre Antworten. Entspannt und zufrieden wirkt sie. Wenn der Mann an ihrer Seite ihre konzentrierten Erklärungen mit einem Scherz aufmischt, lacht sie. Ordnet in Ruhe ihre Gedanken und bringt sie mit Nachdruck auf den Punkt. Lizz Görgl hat Zeit. Das ist neu, und sie genießt es.

Noch vor zwei Jahren hätte ein ausgedehntes Vormittagsgespräch ein Riesenloch in den dichten Terminkalender der Ex-Skirennläuferin gerissen. Training, Materialabstimmung, Mentalvorbereitung, Sponsorentermine - das Leben von Spitzensportlern verläuft auch im Sommer eng getaktet. Görgl weiß das aus 16 Saisonen, die sie als Leistungsgarant der ÖSV-Damen absolvierte. Ihre Bilanz beim Rücktritt im Juni vor einem Jahr war eindrucksvoll: WM-Bronze 2009 in der Super-Kombination, zwei Olympia-Bronzemedaillen in Abfahrt und Riesenslalom 2010, Doppelweltmeisterin in Abfahrt und Super-G 2011. Bei ihrem letzten Sieg 2014 im Super-G war sie 33 und löste Michaela Dorfmeister als älteste Weltcupsiegerin ab.

Nichts zu bedauern also, und doch gab es Tränen beim Abschied vom Skisport. "Damals hat ein neues, zweites Leben begonnen, und wenn man wie ich den Anspruch hat, sein Leben sinnvoll zu gestalten, überlegt man schon sehr genau, was man wirklich will und wohin die Reise gehen soll", sagt Görgl nachdenklich. Die 13 Monate, die seit dem Ende ihrer Spitzensportkarriere vergangen sind, waren auch schwierig: "Es war extrem leer zwischendurch."

Suche nach dem neuen Ich

Einen Vorgeschmack auf ihr neues Leben gab die Steirerin bei ihrer Abschiedspressekonferenz, die im Fernsehen übertragen wurde: Live gab sie damals ihre erste Single zum Besten: "It's up to you". Den Text hatte sie am Allerheiligentag 2016 in nur einer halben Stunde geschrieben, die zweite Strophe ist in einer Rennpause in Lake Louise, USA, entstanden. Die Botschaft wollte raus: "Searching for a way to go ( ). Tell me what is right. Tell me what is wrong. () Reach out for your dreams and don't pretend. Be true to yourself because it's in your hand."

Die 37-Jährige singt in dem Lied über die schwierige Suche nach einem neuen Lebensweg, der sich richtig anfühlt, und über den unerschütterlichen Willen, ihre Träume aufzuspüren und wahrzumachen. Eine Karriere als Sängerin soll es sein. Seit drei Jahren nimmt sie Gesangsunterricht, eine Passion war die Musik ohnehin schon immer. Für die WM in Garmisch Partenkirchen sang Görgl den offiziellen WM-Song "You're the hero" ein und sang ihn auch live bei der Eröffnung. Eine Woche später war sie Doppelweltmeisterin.

In Österreich als Sängerin Fuß zu fassen, kann durchaus schwieriger sein. Einen Vorgeschmack bekam die Ex-Sportlerin, als ihr brieflich geraten wurde, das mit der Musik doch besser sein zu lassen. Der Schreiber hatte wohl keine Ahnung, dass er Görgl damit als Motivation dient. Im Skizirkus wurden ihr nicht umsonst die Attribute "ehrgeizig, eigenwillig, beratungsresistent" zugeordnet. "Ich lass mich nicht entmutigen, wenn ich von etwas überzeugt bin", sagt sie und macht ihr entschleunigtes Ich nun mit der zweiten Single ein großes Stück greifbarer. "Bleib kurz stehn" ist samt Video eben erschienen, Lizz Görgl stellt das Lied bei Radiosendern in ganz Österreich persönlich vor und verewigte sich letzten Dienstag (28.8.) am Tipp3 Walk of Stars im Wiener Prater mit ihrem Hand- und Fußabdruck.

Lizz packte die Peitsche aus

So weit wäre es ohne den Mann an ihrer Seite nie gekommen, erzählt sie. Chris Harras ist Musiker und seit drei Jahren Görgls Freund. "Sie sehen - eine reine Zweckbeziehung", wirft er mit gespieltem Bedauern ein. Als Songwriter, Sänger und Gitarrist ist Harras in Österreichs Musikszene tief verwurzelt. Mit der Rock-Pop-Band Paradise Now! spielte er in den 90er-Jahren als Vorgruppe der Rolling Stones und von U2. Als Frontman der Band Core zeigte er sich im musikalisch härteren Genre versiert, sein Solodebüt ergründete etwas leiser den 70ies-Sound. Heute arbeitet er lieber im Hintergrund als Produzent oder musikalischer Leiter wie zuletzt beim Konzert "Europa Live" zum Start des österreichischen EU-Ratsvorsitzes in Schladming. Als Gitarrist steht er u. a. mit Christina Stürmer auf der Bühne. Man kennt sich: Stürmers Freund Oliver Varga war bei Lizz Görgls zweiter Single als Produzent tätig. Komponiert hat den Popsong mit Hitpotenzial Chris Harras.

Dass es fast ein Jahr gedauert hat, bis Lizz Görgl nun mit dem neuen Song an den Start gehen konnte, war für den Skistar eine Belastungsprobe. "Ich bin schon eher ungeduldig", formuliert sie. ÖSV-Sportdirektor Hans Pum beschrieb die "Perfektionistin, die immer getüftelt hat", in seiner Laudatio zum Abschied so: "Sie hat ihr Umfeld oft unter Druck gesetzt. Böse Zungen könnten sagen, sie hat es an den Rand des Wahnsinns getrieben."

Musiker und Freund Harras stemmte sich mit Empathie, Geduld und seiner Berufserfahrung gegen ungeduldige Energieschübe der Freundin. "Beim ersten Song war der Überraschungseffekt auf ihrer Seite: Ah, die Görgl singt! Die zweite Single muss da schon eins draufsetzen, damit es funktioniert", erzählt er über das lange Tüfteln am neuen Titel "Bleib kurz stehn". "Ich habe gesagt: Lassen wir uns Zeit. Lizz hat die Peitsche ausgepackt", erinnert er sich an den künstlerischen Prozess. Dass Görgl neuerdings Deutsch singt, ist eines der Ergebnisse. "Ich fühle mich wohl damit, es passt gut zu mir", ist sie zufrieden.

Der Text bringt das vergangene Jahr und ihren Start ins neue Leben auf den Punkt: "Jetzt draht der Wind, bringt dei Leben durcheinander, nix is wie's woar, und du kennst di nimmer aus. Du suachst an Weg, a Richtung, a Entscheidung, rennst nur im Kreis, aber kommst ned raus." Stehen bleiben und Zeit vergehen lassen - das musste sie lernen.

Per Zufall zum Eigenheim

"Beim Skifahren ist es immer darum gegangen, strukturiert zu funktionieren, in einem hohem Tempo. Ich habe schon im Mai gewusst, wo ich Mitte Dezember sein werde, und bin jeden Tag um sechs Uhr aufgestanden", beschreibt Görgl ihre aktive Sportlerzeit. "Seit einem Jahr bin ich zum ersten Mal in einer Lebensphase, in der es egal ist, ob ich länger schlafe. Es muss nicht alles sofort passieren. Ich habe Zeit. Das ist eine völlig neue Erfahrung für mich." Nach zwei Jahren Fernbeziehung, in denen die Sportlerin ständig in allen Teilen der Welt Rennen fuhr, ist diese Erfahrung auch für das Paar neu. Beziehungsschock gab es trotzdem nicht. Schon im letzten Jahr ihrer Skikarriere war Görgl nach Maria Enzersdorf gezogen, um mehr Zeit mit dem Freund zu haben: "Das Gefühl, endlich Zeit füreinander zu haben, war schön."

© News/Matt Observe Die können das: Harras und Görgl bringen Liebe, Job, Familie und Hausbau gemeinsam unter einen Hut

Kennengelernt hatten einander die beiden auf Zypern, als Görgl zum Konditionstraining dort war und Harras ein berufliches Engagement mit der Möglichkeit zum Radtraining verband. Radfahren ist seine Passion, immerhin war er acht Jahre lang als Fahrradbote in Wien unterwegs. "Mit den Haxn versaugt er mich am Flachen immer noch", lobt die Spitzensportlerin a. D. beeindruckt. Auf Zypern war es vorerst die Musikalität, mit der Harras sie bei seinem Auftritt begeisterte. Klar, dass man ins Gespräch kam. Görgl ist nicht schüchtern. "Sie redet auch auf der Straße jemanden an, ob er sein Haus zufällig verkaufen möchte, wenn es ihr gefällt", lacht Harras und bedeckt dabei sein Gesicht mit beiden Händen. Ein kurzes Kopfschütteln. Nein, seine Art ist das nicht. Dafür kam das Paar so zu einem Grundstück, auf dem nun das gemeinsame Haus gebaut wird.

Voneinander lernen

Zusammen arbeiten, leben und auch noch ein Haus bauen - was für andere zur Beziehungsprobe wird, lässt die beiden zusammenwachsen. "Mir wird nie fad. Mit Lizz hat mein Leben seit drei Jahren ein unglaubliches Tempo, weil sie eine ganz andere Herangehensweise ans Leben hat. Sie holt mich aus der Komfortzone", beschreibt Harras. Und Görgl schätzt die Gelassenheit des Freundes: "Ich lerne auch von Chris, ich werde ruhiger. Ich mag seinen Humor, seine Ruhe, und mir gefällt, dass er so reflektiert ist." Streit darf sein, aber man verträgt sich auch sofort wieder. "Wir sprechen Dinge an und setzen uns damit auseinander. Das ist gut", so Görgl.

»Vom Spitzensport in ein Familiengefüge - das war krass. Ich lerne viel«

Die Liebe zum Musiker macht sie seit drei Jahren auch zur "Stiefmama". Chris Harras ist Vater eines 14-jährigen Burschen. "Ein sehr entspannter Vater", wie er sich selbst beschreibt. "Mir ist wichtig, dass sich mein Sohn als Mensch entwickelt, mit den Themen der Welt vernünftig umgeht, ein guter Charakter wird. Das ist mir wichtiger als Leistungsdenken." Dass die Tagesgestaltung eines Teenagers nicht unbedingt mit der einer Ex-Spitzensportlerin korreliert, liegt auf der Hand. Görgl umkurvt etwaige Hürden mit ihrer angeborenen Offenheit. "Es ist ein krasser Tapetenwechsel von der Spitzensportlerin in ein Familiengefüge, und ich lerne viel dabei." Manchmal sei sie schon strenger, weil sie so hohe Ansprüche an sich selbst habe, erzählt sie. "Ich habe mit zehn Jahren gewusst, dass ich Ski fahren will, und bin ins Internat gegangen. Ich lerne aber, dass es andere Wege gibt, und das ist gut so."

Der Weg zum Glück

Im neuen Haus plant das Paar Kinderzimmer. Es könnte aber auch ein Tonstudio daraus werden, sagt Harras. "Es spricht nichts gegen Kinder, aber im Moment ist alles gut so, wie es ist," ergänzt er noch. Und: "Irgendwann muss man schauen, ob Lizz einem 60-Jährigen noch zutraut, Vater zu werden." Harras spielt auf den Altersunterschied zwischen den beiden an -er ist zehn Jahre älter als Görgl.

Im Moment hat sie ohnehin viel auf der Agenda: Neben ihrer Musikkarriere absolviert sie eine Spezialkrafttrainer-Ausbildung und gibt Erkenntnisse aus dem Spitzensport in Vorträgen und Workshops weiter. Bewegung ist für Görgl dabei Kernthema: Sie hilft, sich besser kennenzulernen und zu reflektieren, sagt sie. "Bewegung kann das Selbstbewusstsein stärken und helfen, Antworten zu finden."

Die Suche nach dem Ich hat sie auch in ihrer aktiven Zeit stets betrieben, sich stets gefragt, ob sie am richtigen Ort zur richtigen Zeit ist. Es ist heute noch das Erfolgsrezept für Görgl: "Jeder hat seinen inneren Kompass. Wenn man dieses ureigene Ich sucht und von allem abgrenzt, was andere einem gesagt haben, ist es der Weg zum Glücklichsein."

Lizz Görgl im Wordrap

© Video: News

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News-Printausgabe 34/2018