Volksschulinfos,
eine Farce

Ich bin erschrocken, als ich vor wenigen Tagen das Volksschulzeugnis einer sehr guten Schülerin der ersten Klasse zu lesen bekam

von Gerfried Sperl © Bild: News

Ich bin erschrocken, als ich vor wenigen Tagen das Volksschulzeugnis einer sehr guten Schülerin der ersten Klasse zu lesen bekam. Gleich bei der Auflistung der Gegenstände fiel mir die völlig widersinnige Reihenfolge auf: Religion an erster Stelle -so, als wäre Österreich ein Gottesstaat und keine demokratische Republik. Bei "Deutsch, Lesen und Schreiben" fehlt das Reden, heutzutage eine der Voraussetzungen für Beruf und Politik. Zum Bildnerischen werden die Kinder erzogen, anstatt das kreative Malen zu betonen.

Es wird dann vollends zur Farce: Die schriftliche Beurteilung in den ersten Klassen wird in ihren Formulierungen vom Ministerium vorgeschrieben (offizieller Grund: Vergleichbarkeit), sodass bei sehr guten Schülern etwa acht Mal die gleichen Gstanzln untereinanderstehen. Das ist wie bei einer Schallplatte, die man achtmal hintereinander auflegt.

Hier dieser Gstanzl-Kanon für "sehr gut":"Der Lehrstoff wurde vollständig erfasst und angewandt."

"Die Erfüllung der Aufgaben in den wesentlichen Lehrplanbereichen erfolgte vollständig."

"Die Eigenständigkeit liegt deutlich vor. Erlangte Kompetenzen sowie erworbenes Wissen und Können werden selbstständig auf neuartige Weise angewendet."

Abgesehen davon, dass mich die sprachliche Variation von "angewandt" zu "angewendet" verblüfft hat, frage ich mich, was sich die Verantwortlichen dabei gedacht haben.

Beispiel 1: Der Satz "Die Eigenständigkeit liegt deutlich vor" bedeutet in Religion die Ermächtigung Sechs-bis Siebenjähriger, aus ihrer Religion auszutreten. Sie dürfen das derzeit aber erst mit vierzehn.

Beispiel 2: In der Musik ist der Begriff "Erziehung" verständlich, fängt es doch mit dem Notenlernen schon an. Aber in der Malerei oder im Formen? Was wird da erzogen? Das räumliche Sehen zum Beispiel, das auch in der darstellenden Geometrie bedeutsam ist?

Beispiel 3: Religion, Malerei und Musik zusammen sollen "auf neuartige Weise" angewendet werden. Heißt das, mindestens bei Elke Krystufek einzusteigen oder die Rolling Stones als unterste historische Grenze zu betrachten?

Die junge Dame, die das zitierte Zeugnis erhalten hat, sagte mir, statt dieser Information mit gleichlautenden Sätzen für jeden Gegenstand hätte sie lieber gleich eine Note. Das sei klarer.

Dieser Einschätzung der Siebenjährigen folge ich vollinhaltlich und schlage eine Alternative vor. Zu den Noten, die man flächendeckend wieder einführt, sollten die Lehrerinnen und Lehrer in "deutlicher Eigenständigkeit" ermächtigt werden, persönliche Bemerkungen hinzuzufügen. Das würde Debatten erzeugen, aber auch Hilfestellungen für die Eltern.

So aber liegt ein pädagogisches Dokument vor, das weder dem politischen Selbstverständnis der Republik entspricht noch dem heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstand.

Was meinen Sie?
Schreiben Sie mir bitte: sperl.gerfried@news.at

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