Elīna Garanča: "Ich mache nichts Sinnloses"

In glücklicher familiärer Quarantäne bereitet sich die führende Mezzosopranistin Elīna Garanča auf ihr forderndes Wiener Wagner-Debüt vor. Ein Gespräch über den Hass zwischen den Religionen, die Hoffnung auf bessere Zeiten, Pläne für Wien und die neue CD

von Klassik - Elīna Garanča: "Ich mache nichts Sinnloses"
© Bild: imago images / ZUMA Press

Zum Fürchten ist das, wie einander die Weltuntergänge zu überbieten, wenn nicht gar zu marginalisieren versuchen. Am Freitag, fünf Tage vor dem Terrorschlag, empören sich die Bewohner der Elfenbeintürme gerade über die Schließung der österreichischen Theater und Opernhäuser. Ja, das mache einen traurig, sagt die lettische Opernsängerin Elīna Garanča, die im Mezzo-Fach heute keine Konkurrenz zu fürchten hat. Traurig und frustriert nach dem wunderschönen Sommer, in dem alles wieder aufzugehen schien und sie mit dem Philharmonikern unter Thielemann bei den auferstandenen Salzburger Festspielen herrlich Wagners "Wesendonck-Lieder" sang. Dann kam das Verdi-Requiem in Florenz, Mailand und Bergamo für die vielen Corona-Toten Italiens. Das war bedrückend, aber doch ein Lebenszeichen der Kunst inmitten des Todes.

»Jeder muss seinen Gott so lieben, wie er es für richtig hält. Ohne Hass und Beschädigung anderer«

Jetzt wurden die Flugkarten nach Wien storniert, weil die drei Konzerte zur CD-Neuerscheinung mit dem lapidaren Titel "Lieder" abgesagt sind. Ein wahres Wunder an Stimmschönheit, Diktion und Innigkeit im Schumann-und Brahms- Kosmos ist da zu begrüßen. "Ein intimes Gespräch mit dem Zuhörer", nennt die Garanča den Liedgesang. Es sei nicht immer leicht, die Carmen zum achtzehnten Mal neu zu entdecken, nicht zu reden von den Schmerzen, die das fachobligate Dauerknien auf der Bühne verursache. Da sei, weil man ja auch nicht jünger werde, das Lied schon eine Perspektive für die Zukunft. Sagt die im blühendsten Mezzo-Alter von 44 Stehende, deren Schönheit mancherorts als eisig qualifiziert wurde, ohne dass ihrer Intensität und Betörungskraft dadurch Abbruch geschähe.

"Gesund und eingesperrt"

Und jetzt: kein Liederabend in Österreich, keiner in Deutschland. "Man fragt sich, warum man als gesunder Mensch eingesperrt werden muss. Aber wenn es im Krankenhaus keinen Platz mehr gibt, wohin dann mit mir und vielen anderen? Wir werden wohl erst in zehn oder 15 Jahren wissen, ob wir es richtig gemacht haben." Zumal sie heute eine der Privilegiertesten ist. Auf Malaga -im nahen Gran Canaria leitet der Ehemann, der Dirigent Karel Mark Chichon, das Symphonieorchester - liegt der Wohnsitz der Familie, der zweite neben der Geburtsstadt Riga. Im Frühjahr ist ihr pandemiebedingt noch einiges entgangen, "Don Carlos" in London und München und eine Japan-Tournee. Aber jetzt, inmitten der aufbrandenden zweiten Welle, ist das Anwesen auf der spanischen Insel ein Ort der Geborgenheit.

Vor dem Grenzgang

Ohnehin hat sie ihre Termine für den Herbst markant reduziert. Denn es gilt etwas zu bestehen, das zum Herausforderndsten der Opernliteratur gehört und die gesamte Umsicht des angereisten Gesangslehrers erfordert: Im April steht, unter den Augen der Musikwelt, an der Wiener Staatsoper das szenische Wagner- Debüt an. Neben Jonas Kaufmann als Parsifal verkörpert sie die Verführerin, Büßerin und Verfluchte Kundry, die sich von religiösen Fanatikern zweier Bekenntnisse instrumentalisieren lassen muss, seit sie den Gekreuzigten in seiner Qual verspottet hat.

Der russische Regimekritiker Kirill Serebrennikow, der in Moskau unter abstrusen Unterschlagungsvorwürfen festgehalten und nach weltweitem Protest auf Bewährung freigelassen wurde, verlegt die Ereignisse beziehungsreich in einen Kerker für politische Gefangene. Kundry ist eine recherchierende Journalistin, und die Garanča freut sich auf das vereinbarte erste Telefonat mit dem großen Regisseur: Das im Werk transportierte Frauenbild, das eher ein Frauchen-Bild sei, könne man schon enger unter die Lupe nehmen. "Aber alleine traue ich mich das nicht und bin in dem Sinn sehr gespannt auf die neue Lesart. Ich versuche, in meinen Interpretationen nie an der Oberfläche der Figur zu bleiben", präzisiert sie, "sondern mögliche Fantasien zu entwickeln. Das gilt auch für die Carmen, die nicht unbedingt ein Vamp und eine Verführerin sein muss. So wie Kundry, bei der ja auch große Verzweiflung im Spiel ist. Es wird sich bei den Proben viel herausstellen.

»Ich glaube nicht, dass mich die Leute nackt sehen sollen. Für mich ist das kein notwendiger Beitrag zu irgendetwas«

Erlegt sie einem Regisseur Grenzen auf? "Ich glaube nicht, dass mich die Leute nackt sehen sollen. Für mich ist das kein notwendiger Beitrag zu irgendetwas", sagt die Garanča, die sich ambitionierte #Metoo-Kandidaten stets vom Leib zu halten verstand. "Ich mache vor allem nichts Sinnloses. Es muss alles eine Begründung haben. Ich bin nicht jemand, der alles wie immer haben muss. Aber ich muss es verstehen. Wenn ich es verstehe, versuche ich, es zu transportieren. Und dann müssen die Leute sagen, ob sie es verstanden haben."

Hass zwischen Religionen

Über Kundry kommt sie zum Thema, das zum Zeitpunkt des Gesprächs Frankreich und wenig später auch Österreich in Angst hält. "Wir erleben das heute, dass jeder von Gott redet und glaubt, seiner sei der einzige. Gerade jetzt beweist uns das Massaker von Nizza, wie wichtig es ist, dass jeder für sich seine eigene, richtige Wahrheit findet, ohne Hass und Beschädigung anderer." Hass und Beschädigung im Namen Gottes: "Ja, da wird einem bang. Aber wir wissen ja nicht seit gestern oder vorgestern, dass der Islam und das Christentum nur sehr schwer Hand in Hand miteinander gehen. Jeder muss seinen Gott so lieben, wie er es für richtig hält. Und es ist unvorstellbar, dass Menschen in unserer Welt dafür sterben sollen." Pragmatischer Zusatz: "Es gibt nun einmal Regionen, wo verschiedene Religionen zusammenleben, und wenn sie auf einanderprallen, kracht es. Das wissen wir seit Jahrtausenden, und es ändert sich nichts."

Das Gespräch kehrt zur Idylle von Malaga zurück. Ein Glück sei es, hier in glücklicher Quarantäne zu sein und nicht anderswo unter sich bedrohlich zuspitzenden Verhältnissen. Denn zwar ist im engeren Familienkreis kein Verlust, auch keine schwere Erkrankung zu beklagen. Aber die beste Freundin seit 25 Jahren lebt in London und bangt zum Zeitpunkt des Gesprächs gerade der kritischen Phase um den neunten Tag nach der Infektion entgegen. "Sie hat die zweite Woche Fieber um die 39 und grauenvollen Husten und Gliederschmerzen. Sie sagt, es fühlt sich im Körper wie heiße Nadeln an", sagt Elīna Garanča und hält dem bedrohlichen Szenario den eigenen Lebensentwurf entgegen.

"Die Kleine hat nach zwei Wochen gesagt, dass sie den Covid liebt, weil wir endlich beisammen sind und keine Schule ist", sagt sie. "Homeschooling war zwar mühsam, aber es war für uns als Mann und Frau eine gute Zeit. Wenn man länger wirklich zusammen ist, merkt man, wie viele wertvolle Kleinigkeiten im Alltag einem entgehen, wenn man ständig um die Welt unterwegs ist. Auch die Zeit mit den Kindern gibt uns keiner zurück, und wir versuchen jetzt, noch etwas davon zu bewahren, denn wir merken schon, dass bei der Großen die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit beginnt. Und was die Mama macht, ist doof. Solang sie noch kuscheln wollen, muss man das ausnützen. Die Große", fährt sie fort, "hat die Zahnspange bekommen, und wir kämpfen uns durch den Alltag, mit dem Essen und so. Aber sie ist ein unglaublich sensibles und fröhliches Mädchen, träumt von großen Nägeln und Kleidern mit schönen Farben und ist ein Putzi-Mädchen. Die Kleine wird im Januar Sieben, ist ein kleiner Teufel und hat eine unglaubliche Ausstrahlung. Wenn 15 Kinder in einem Raum beisammen sind, sticht die Kleine sofort heraus. Sie hat den Zug zur Bühne, das gewisse Etwas, das man für die Bühne braucht. Aber ob sie es tatsächlich nützen wird, das ist noch kein Thema."

Aufwärts ohne Umweg

Was sie, gesetzt den Fall, von der Mutter lernen könnte, ist nicht wenig: Konsequenz nämlich, die vielfach an der Grenze zur Härte verortet wird. In Riga, inmitten des damals noch auf Stahltraversen gebaut scheinenden Sowjetreichs, war Musik die Alternative zur politischen Realität. Der Vater ist Chordirigent, die Mutter war Opernsängerin und die erste Lehrerin, die prägende, lenkende, warnende Instanz im Leben der Tochter. Ihr Tod vor fünf Jahren war ein tief einschneidendes Erlebnis.

Als Elīna Garanča nach frühen Engagements in Athen und Bukarest am Kleinstadtopernhaus von Meiningen die ersten Sehnsuchtsblicke zu den namhaften Branchenadressen riskierte, saß sie, keines deutschen Wortes mächtig, einsam im Hotelzimmer. Talkshows und Serien waren die einzigen Begleiter, erzählte sie später. Aber wie alle Hochmusikalischen mit einem feinen Ohr für Klangfarben gesegnet, erwarb sie sich auf diesem Weg die Sprache. Und das in einer Vollkommenheit, die sie zum besten Octavian ihrer Zeit ermächtigte. Das für die Bubenrolle im "Rosenkavalier" geforderte vertrackte Kunstbarock habsburgischer Färbung ging ihr wie von selbst über die Lippen. Aber als später der stimmlich und stilistisch blutsverwandte Komponist in "Ariadne auf Naxos" folgen sollte, war sie schon über Frankfurt nach Wien gelangt und auf anderer Karrierespur. Von hier aus war es nur noch ein Sprung nach Salzburg. Dort vollzog sie 2003 in der nicht spektakulären Rolle des Annio in Mozarts "Titus" den Sprung in die Wahrnehmung auch jenseits der Fachkreise. Im Jahr zuvor hatte Anna Netrebko mit beispiellosen Konsequenzen in Salzburg debütiert. Für den "Titus" waren abermals Nikolaus Harnoncourt als Dirigent und Martin Kušej verpflichtet worden, und allseits wurde insgeheim die nächste Sensation erhofft.

Als der findige Thomas Gottschalk die eloquente Schönheit in eine seiner Gesprächsrunden zu den Festspielen einlud, lernte man sie auch außerhalb der Branche kennen. Die Karriere blühte an der Staatsoper auf, und als die Garanča für eine Ensemble-Existenz zu groß geworden war, entließ Direktor Holender sie ohne Groll nach London, Paris und New York, wo sie alsbald zur begehrtesten Carmen ihrer Zeit wuchs.

In Wien erwarb sie dennoch eine Wohnung und feierte hier in Donizettis "Anna Bolena" neben der Netrebko und als Dalila in Saint-Saëns' Bibel-Oper fulminante Rollendebüts. Mittlerweile ist sie bei den wuchtigsten Hämmern des Fachs -zuletzt Prinzessin Eboli in "Don Carlos" - eingetroffen. Die noch ausständige Amneris in "Aida", die Sehnsuchtspartie, hätte sie gern unter der Stabführung des Gatten in Las Palmas ausprobiert. Das Virus hielt dagegen, und so schlägt die Stunde im Februar in Paris. Sollten die Opernhäuser dann wieder geöffnet sein.

Wagners Kundry aber führt auf einen radikal anderen Weg, der mit Umsicht gegangen sein will. "Wie ich damit zurecht komme, wird sich herausstellen, wenn ich die Rolle auf den Proben täglich singe", sagt sie und meint nicht die enormen Schwierigkeiten, die sie ohne Mühe meistern müsste. "Sondern was dann mit meiner Stimme passiert! Ich bin 44, und wenn ich mich jetzt vollkommen auf Wagner einlasse, bin ich in zehn Jahren erledigt. Nicht stimmlich, sondern was mein anderes Repertoire betrifft. Es gibt im französischen und italienischen Fach viel, was ich noch machen will. Und einmal Kundry, immer Kundry!"

Die CD Der sublime Tonträger nennt sich schlicht "Lieder"*: Werke von Schumann und Brahms in vollendeter Interpretation

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Viele Pläne für Wien

Eine Karriere wie die ihre, eine ohne Stimmkrisen und Einbrüche, ist selten. "Vielleicht habe ich sie einfach sehr gut versteckt", gibt die Garanča da zu bedenken. "Ich bin niemand, der offen und breit darüber redet, was ihm alles geschehen ist. Aber ich gehe auch sehr vorsichtig mit meiner Stimme um und habe immer rechtzeitig erkannt, wenn etwas nicht gut läuft. Dann suche ich meinen Lehrer auf und arbeite mit ihm. Ich habe nie ein Repertoire abgeschafft, bevor ich das nächste so weit hatte, dass ich es präsentieren konnte."

Die Geschmeidigkeit, das Legato, werde sich langsam abnützen. "Aber solange es da ist, will ich es auch behalten." Dass die Stimme nicht in ewiger Frische blüht beziehungsweise einmal in andere, herbere Farben spielt, ist klar. Richard Strauss hält mit "Elektra" und "Frau ohne Schatten" ein diesbezüglich vergleichloses Angebot bereit.

Aber zuvor ist noch Massives vom anderen Fach zu bestehen. Mit Salzburg ist nach Längerem wieder etwas Szenisches vereinbart. Und Wiens Operndirektor Bogdan Roščić, der sich in News-Interviews mehrfach als Bewunderer zu erkennen gab, ließ ebendort wissen, er habe mit der Garanča Saison für Saison Markantes in Planung. Principessa di Bouillon in Cileas veristischer "Adriana Lecouvreur" wird das sein, verrät sie: eine der mörderischen Leidenschaftlichen ihres Fachs, die sich die Titelrivalin diesfalls mittels Gift vom Hals schafft. Auch die Carmen kommt in Wien wieder, und neu die Amneris.

"Ja, mit Bogdan gibt es intensive Gespräche", bestätigt sie. "Ich mag ihn sehr. Er hat viel zu sagen und setzt es auch um. Er ist ein sehr kluges Köpfchen, und wie alle talentierten Menschen lernt er schnell."

Die Kundry allerdings erlernt sich hart und langsam. Aber man werde ja auch nicht jünger, gibt Elīna Garanča zu bedenken und klingt dabei so jung wie der Bub Octavian, den sie vor Jahren aufgegeben hat.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 45/20

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