Harald Schmidt: "Bei Pointen geht vieles nicht mehr"

Abgesagte Winnetou-Bücher regen Late-Night-Legende Harald Schmidt nicht auf. Elternabende und Erbschaftssteuer steigern den Blutdruck schon eher. Und sein Debüt an der Wiener Volksoper

von Harald Schmidt: "Bei Pointen geht vieles nicht mehr" © Bild: Michael Rausch-Schott/News
Harald Schmidt, Jahrgang 1957, wuchs im schwäbischen Nürtingen auf und absolvierte die Schauspielschule Stuttgart. Er war u. a. Ensemblemitglied am Düsseldorfer Kom(m)ödchen, reüssierte als Kabarettist auf der Bühne sowie u. a. im Fernsehen mit Herbert Feuerstein ("Schmidteinander"). Zur Berufung und Höchstform fand er als preisgekrönter Late-Night-Gastgeber zwischen 1995 und 2014 bei Sat.1, ARD und Sky. Schmidt ist mit der Pädagogin Ellen Hantzsch liiert und fünffacher Vater.

Kürzlich gab es eine Debatte über das vor Erscheinen gestoppte Winnetou-Buch. Sind Sie froh, dass Ihre Kinder mit achtsam überarbeiteter Literatur aufwachsen?
Wir haben das ganze Repertoire zu Hause, auch Pippi Langstrumpf mit der nicht mehr erlaubten Geschichte, in der Papa Indianerhäuptling in der Südsee ist. Allerdings ist Karl May für meine Kinder kein Thema, der wurde durch Harry Potter überholt. Aber die Aufregung über Winnetou zeigt, dass wir keine anderen Probleme haben, und ich bin überzeugt, man findet auch bald etwas Unerlaubtes bei Harry Potter. Sie können die Uhr danach stellen, wann der nächste Irrsinn passiert.

Was macht dieser "Irrsinn" mit uns? In der "NZZ" wurde die Cancel-Culture-Bewegung als neue Form des Extremismus bezeichnet.
Ich nehme den aktuellen Stand der Aufregung wahr. Bei Winnetou muss ich dazulernen, weil ich in einer Welt aufgewachsen bin, in der uns diese Rothäute in Büchern und in Filmen das Feuerwasser weggesoffen haben. Das ist jetzt nicht mehr erlaubt. Also versuche ich, diesen Satz politisch korrekt zu formulieren: Die weißen Eroberer haben also den indigenen Völkern überhaupt den Alkohol aufgezwungen und dadurch sind schlimme Dinge passiert. Ist aber nicht so pointiert, merke ich.

Müssen Pointen ein bisschen unkorrekt sein?
Sie müssen sie so konstruieren, dass Sie sagen: Bei der Einstellung auf diese neue Zeit passieren Missgeschicke. Für mich ist es einfacher geworden, weil die Themen bei den Zuschauern so bekannt sind. Früher musste man ein Thema erst erklären. Mittlerweile passiert jeden Tag irgendwas, und da können Sie in die Vollen gehen.

Vermutlich sind 90 Prozent der Pointen, die Sie gerne bedient haben, heute unkorrekt.
Ja, das meiste würde heute in der Form nicht mehr gehen und muss anders angegangen werden. Aber meine Haltung hat sich ja nicht geändert.

Was würde denn noch durchgehen, was nicht?
Sie können keine Witze machen über alles, das als sexistisch gewertet wird: Wie viele Leute braucht ein Macho, um eine Glühbirne zu wechseln? Keine Ahnung, soll die Alte doch im Dunkeln putzen. - Das geht nicht mehr. Aber das ist egal. Mein Thema ist heute die Welt von 50 plus, weil mein Publikum mit mir älter geworden ist. Mein Thema ist: Irre, was man für Erbschaftssteuer zahlen muss, wenn man acht Einfamilienhäuser erbt! Das ist ein Riesenpublikum, das davon betroffen ist. Jeder zweite Deutsche ist älter als 45, die kommen zu mir, weil sie genau das erwarten. Ich kann mich also nicht beklagen.

Möchten Sie sich auch an Begrifflichkeiten wie "alter weißer Mann" oder " Boomer" abarbeiten?
Ich lasse mir die Themen nicht vorschreiben. Ich springe über kaum ein Stöckchen, das man mir hinhält. Aber Boomer ist ein super Thema, weil in Deutschland jetzt 300.000 dieser Generation in Rente gehen, und wir sind noch mit dem Leistungsgedanken aufgewachsen. Wir wollten noch Chefs werden, das scheint jetzt nicht mehr so zu sein. Schauen wir mal, wie sich das entwickelt.

Wie entwickelt es sich denn?
Ich höre von Leuten mit Topabschlüssen, die nicht mehr Chef werden wollen. Ich höre von Chefs, dass ihnen Bewerber gegenübersitzen und nicht von Geld sprechen, sondern von Work-Life-Balance. Die wollen nur drei Tage die Woche arbeiten und sagen: "Ich gehe jetzt erst in Elternzeit, danach habe ich Corona. Dann habe ich Corona in der Elternzeit. Und dann ist das Jahr auch rum." Natürlich reagiere ich auf solche Sachen. Aber ich muss nicht umdenken und überlegen: "Oh Gott, hoffentlich komme ich nicht als alter weißer Mann rüber." Selbstverständlich bin ich ein Patriarch, der den anderen zeigt, wo der Hammer hängt.

© Michael Rausch-Schott/News EIN BÜHNENMENSCH, der seine ureigene Rolle perfektioniert hat. So beschreibt sich Harald Schmidt beim Gespräch in der Volksoper

Sie sind Vater von fünf Kindern. Gibt es bei Ihnen generationsübergreifende Diskussionen über Political Correctness?
So sind meine Kinder nicht drauf, weil die sehen, wie ich mit dem Thema umgehe. Der wichtigste Satz ist: Morgen läuft eine andere Sau durchs Dorf. Das ist ein Ergebnis der Panik-Industrie, die durch die Talkshows sehr erfolgreich ist. Die brauchen dort jeden Tag vier Gäste, die sich über irgendetwas aufregen. Also muss ein neues Thema her. Wenn Sie rausgehen, in ein beliebiges Kaffeehaus, und fragen: "Was halten Sie von kultureller Aneignung?", wissen die Leute ja gar nicht, was gemeint ist. Es gibt einen Unterschied zwischen Online- und Talkshow-Aufregung und dem, was Menschen wirklich beschäftigt. Wir haben acht Prozent Inflation und das Winnetou-Buch wird vom Markt genommen. Da kann sich jeder aussuchen, was für ihn wichtig ist. Ich staune, wie viele Leute mit dem Anspruch auftreten, sie können in die Zukunft schauen. Ständig hört man: "Ich warne vor. Ich habe Bedenken, dass uns droht."

Sie meinen, es gibt gerade nichts zu fürchten vor diesem Winter?
Doch, aber wenn viele Leute so wenig verdienen, dass sie die Stromrechnung nicht mehr bezahlen können, dann müssen eben die Grundgehälter angehoben werden. Natürlich macht den Vorschlag niemand. Dann wäre was los, würden wir sagen, ein Mindestlohn von zwölf Euro reicht nicht, machen wir doch 25 Euro. In 40 Jahren Kabarett habe ich mindestens acht Mal den Weltuntergang versprochen bekommen. Alles Lügen. Da bin ich sehr entspannt.

Das Thema Pensionen wird auch in Österreich intensiv diskutiert. Sehen Sie einen Generationskonflikt?
Klar, kein Politiker, der noch gewählt werden will, kann es sich mit den Rentnern verderben. Selbst vermeintlich Progressive wie die Grünen werden überwiegend von über 45-Jährigen gewählt. Die deutsche Regierung wurde zu 60 Prozent von Leuten gewählt, die über 50 sind. Wenn sie an die Renten gehen, ist das politisches Harakiri, weil diese Generationen noch an die Institutionen glauben, die gehen noch wählen. 30 Prozent der Renten werden in Deutschland aus Steuern subventioniert, weil nicht mehr genügend Leute einzahlen. Ich habe relativ früh angefangen, mich selber darum zu kümmern, weil ich mich nie auf irgendjemanden verlassen habe. Mir war immer klar, dass ich selber vorsorgen muss. Und meinen Job macht man ja eh, bis man umfällt.

Was bedeutet Vorsorgen in Ihrem Fall?
Aktien.

Haben Sie Sorge um adäquate Nachfolge im Late-Night-Talk-Geschäft?
Das spielt für mich keine Rolle, weil ich mein Ding abgeschlossen habe und jetzt dort unterwegs bin, wo ich Lust habe, aufzutreten. Die Weltlage müssen andere beurteilen.

Hatten Sie je eine Agenda, wie sie Böhmermann mit politischen Inhalten verfolgt?
Nie. Die Frage ist immer: Was bewirkt so etwas? Ich würde zu dem soliden Ergebnis kommen: nichts. Weil alles weltweit in Parlamenten beschlossen wird. Wer konkret etwas bewirken will, muss als Arzt in ein Krisengebiet gehen oder als Landwirtschaftsspezialist dort Bewässerungssysteme bauen. Alles andere ist Geschäft.

Humor fußt auf einem bestimmten Blick auf die Welt. Wer hat Ihren Humor geprägt?
Schon jemand wie Woody Allen, der deutsche Kabarettist Hanns Dieter Hüsch und Lore Lorentz, bei der ich gelernt habe am Düsseldorfer Kom(m)ödchen. Ich bin aber auch auf Qualtinger gestoßen. Kaum zu fassen, dass der damals um 20.15 Uhr im Fernsehen gezeigt wurde. Und natürlich Karl Kraus. Aber heute sieht sich ja jeder nach einem verunglückten Aphorismus in der Nachfolge von Karl Kraus. Mich hat vor allem sein Lebensstil fasziniert. Dieses "Nachts schreiben und dann legt er sich hin und der Bote legt ihm die Post und die Zeitungen ins Vorzimmer". Dass er sich selbst als Ätna voller Hass bezeichnet hat, gefällt mir auch, so als Karl-Kraus-Parallele. Abgesehen davon werden die Leute, die noch wissen, wer Karl Kraus war, immer weniger. Aber das muss uns nicht irritieren.

Inwieweit ist das Aufrütteln heute Aufgabe von Theatermachern?
Das können Sie nur unterschwellig machen. Eine Theateraufführung hat zunächst eine tolle Theateraufführung zu sein. Ein Pianist hat eine Beethoven-Sonate möglichst gut zu spielen. Dann löst es vielleicht etwas bei mir aus. Aber engagiertes Theater, das eine Botschaft vermitteln will, habe ich, ehrlich gesagt, noch nie gesehen. Ich muss auch nicht vom Theater auf etwas aufmerksam gemacht werden, das ich morgens schon in den Nachrichten am Handy gesehen habe.

Sie feiern nun Ihr Debüt an der Volksoper in "Die Dubarry" als König Ludwig XV. Ein Geschenk zum 65. Geburtstag?
Ja. Ich bin sehr froh und stolz, dass ich engagiert wurde. Mit Annette Dasch, dieser fantastischen Hauptdarstellerin! Ich habe heute die erste Probe gesehen, und das hat mich sehr beeindruckt. Mit Lotte de Beer ist hier eine tolle Aufbruchstimmung zu spüren.

Am 3. September startete die Direktion Lotte de Beer an der Wiener Volksoper mit der Eröffnungspremiere "Die Dubarry". Carl Millöckers Operette in Bearbeitung von Theo Mackeben erzählt vom sozialen Aufstieg des Arbeitermädchens Jeanne Beçu (Annette Dasch) zur wohlhabenden Mätresse Ludwigs VX. (Harald Schmidt). Rund um Operettenjuwelen ("Ja, so ist sie, die Dubarry","Ich schenk mein Herz","Wie schön ist alles") webt Regisseur Jan Philipp Gloger eine Zeitreise über vier Jahrhunderte, die in Bildern aus unserer Gegenwart bis ins Frankreich Ludwigs VX. führt

Haben Sie trotz oder wegen des Singens zugesagt?
Mit meinem Gesang mache ich den Kolleginnen und Kollegen auf der Bühne eine Riesenfreude. Ihre Augen leuchten, als würde ich eine Gehaltserhöhung bekannt geben. Die denken: "Mal gucken, in welcher Tonart er singt, ob er das Tempo in etwa hält." Obwohl es nur drei Sätze sind, ist mir der Text bei der ersten Probe nicht eingefallen, weil er variiert. Mal ist es: "Ja, so ist sie, die Dubarry, mit Charme, doch ohne Prüderie." Mal kommt: "Ja, so ist sie, die Dubarry, und keine küsst genau wie sie." Letzten Endes muss ich auf "sie" aufhören. Da sehe ich schon, da hat man große Freude. Dadurch entsteht ein guter Kontakt zwischen dem Ensemble und mir.

Die Dubarry entscheidet sich für die Macht der Mätresse und gegen die Liebe. Braucht das Frauenbild hier eine moderne Interpretation?
Sie ist auch eine Frau, die ihr Ding durchzieht, die keine Quotenlösung braucht. So kann man es auch sehen. Es ist gut geglückt, alles mit Brüchen zu spielen. Wir sagen im Stück, dass wir die heutige Grundstimmung kennen, aber auch wissen, dass wir im Operettengenre sind. Hier passiert nichts mit dem Zeigefinger. Das liegt zum entscheidenden Teil an Annette Dasch. Ich war richtig platt nach der ersten Probe. Mit so jemandem auf der Bühne zu stehen ist eine unglaubliche Motivation.

Sie wollten ursprünglich auf die Bühne und Schauspieler werden und wurden zur Late-Night-Legende. War da je ein Moment des Bedauerns am Weg?
Nein, weil ich festgestellt habe, dass ich das gar nicht kann. Ich bin ja auch in der Rolle des Ludwig XV. in dem Bild besetzt, das die Zuschauer von mir haben. Ich könnte gar nicht ernsthaft eine Rolle spielen, weil ich schon beim zweiten Satz einen Kommentar dazu sagen müsste. Ich bin ein Bühnenmensch, der die Rolle, in der ich jetzt unterwegs bin, einigermaßen perfektioniert hat. Aber das ist weit weg davon, eine andere Figur zu spielen. Das will auch keiner von mir sehen. In dem Moment, wo ich auf eine Bühne komme, erwarten die Leute eine Pointe.

Was holen Sie für sich selbst auf der Bühne ab?
Für mich zählt nur jemand, der auf der Bühne bestehen kann. Ich will jetzt nicht schon wieder Kollegen beschimpfen, aber 90 Prozent von ihnen hätten auf der Bühne keine Chance. Das sind Teleprompter-Sklaven, die irgendwie hinbetoniert werden, und ab einem gewissen Alter gibt es nur noch Botox zum Frühstück. Für mich zählt der Moment, wenn um 19 Uhr der Saal dunkel wird und der Vorhang hochgeht. Dann musst du liefern. Ich habe meine Fernsehkarriere ja aus Versehen gemacht. Ich bin zum Fernsehen gegangen, um bekannt zu werden, damit die Leute zu mir ins Kabarett kommen. Das Fernsehen an sich war mir immer wurscht. Ich hatte die Haltung: Wenn es euch nicht passt, gehe ich morgen wieder auf Tournee. Dadurch hatte ich vermutlich so eine Entspanntheit, das im Fernsehen begann richtig gut zu laufen. Aber das Faszinierende an der Bühne bleibt diese Kontrolle darüber, was man macht.

Und heute haben Sie die Freiheit, nur noch zu wählen, was Spaß macht.
Ohne die Fernsehkarriere wäre ich nicht an der Volksoper, insofern habe ich dem Fernsehen sehr viel zu verdanken. Ich hatte nie Hemmungen, zuzuschlagen, wenn mir was angeboten wurde. Ich habe die Sendung "50 Jahre deutscher Schlager" mit Caterina Valente und Stargast Roy Black moderiert. Dafür wurde ich von Kabarettisten fast geschlachtet. Das war mir völlig wurscht, weil man natürlich als Anfänger enorm profitiert von jemandem wie Caterina Valente, die auch nach ihrer Weltkarriere so einen Auftritt sehr ernst nimmt. Also diese ganzen Mahner und Warner sind etwa wie der Fuchs und die Trauben.

»Acht Prozent Inflation und das Winnetou-Buch wird vom Markt genommen. Da kann sich jeder aussuchen, was wichtig ist.«

Gehört diese Furchtlosigkeit zur Grundausstattung so einer Karriere?
Ich habe den Rückblick auf 55 Jahre intensives Zeitunglesen. Vereinfacht gesagt, hat die großen Nummern keiner vorausgesehen. Es hat niemand Trump vorausgesehen oder den Brexit, vom Überfall auf die Ukraine gar nicht zu reden. Wo ist heute Fridays for Future? Vor einem Jahr wusste ich gar nicht: Ist meine Uhr kaputt? Ist es fünf vor zwölf? Drei nach zwölf? Dann ist plötzlich Präsident Erdoğan eine wichtige Figur als Vermittler, der wurde aber auch schon mal anders gesehen. Die meisten Kabarettisten liefern ja ungeschriebene Leitartikel. Natürlich lebe ich davon, dass ich dazu etwas auf die Bühne bringe, aber niemals im Sinne von: Wir müssen aufpassen! Wir müssen Gräben zuschütten! Brücken bauen! Da würde ich den Ball flach halten. Das Oktoberfest ist ausgebucht. So viel zum Thema "Deutschland in Angst". Wer glaubt, es wären finstere Zeiten, muss nur die letzten fünf Jahre aneinanderreihen. Was da alles an Weltuntergang versprochen wurde.

Sie sagten kürzlich, wie wunderbar es war, 65 Jahre alt zu werden. Wie lauten die guten Nachrichten für alle, die es noch vor sich haben?
Es ist wirklich wunderbar. Weil, wie man volkstümlich sagt, die Liste dessen, was mir am Arsch vorbeigeht, täglich länger wird. Damit gewinnt man Wahlen, aber ich gehe natürlich nicht in die Politik, weil mich stören die Wähler.

Sind Sie jemand, der sich zum Geburtstag für sein Schaffen auf die Schulter klopft?
Für mich war 65 komischerweise eine Zäsur, weil ich das Arbeitsleben abgerundet habe. Jetzt bin ich durch. Für mich war das Erstaunliche, wie kurz die Zeit von der Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule bis zum Erreichen des Rentenalters war. Wie viele Sätze jetzt bei mir anfangen mit: "Das war vor 35 Jahren", dabei bin ich mental in meiner Einschätzung immer noch 25. Was jetzt kommt, ist die Ehrenrunde, wo es nur noch darum geht: Wie sieht es mit Restaurants und Kaffees in der Umgebung des Tatorts aus und wie ist er erreichbar? Da ist die Volksoper, Wien und Österreich überhaupt nahe an der Perfektion. Überall lebt diese Mentalität, mit der um elf Uhr morgens als Zeichen von Lebensfreude der erste Weißwein aufgemacht wird. Ich war in Innsbruck, da kriegen sie um elf Uhr keinen Platz mehr in den Straßencafés. Da sitzt meine Generation. Ich frage mich: Wissen das die Jungen?

© Michael Rausch-Schott/News

Ihre Familie hätte nicht bevorzugt, wenn Papa mal länger Zeit für sie gehabt hätte?
Sie werden es vermuten. Die Familie hat eher darauf gewartet, dass der Papa wieder länger Wahrheiten auf der Bühne verkündet, weil zwei Jahre Corona doch ein Testlauf sind. Die haben längst die Augen verdreht. Ich halte mich zu Hause zwar zurück, aber natürlich probiere ich aus. Wenn dann Freundinnen von meiner Frau kommen, sagt sie als Erstes: "Das sagst du jetzt aber nicht auf der Bühne!", weil dort natürlich auch Schicksale bei einer Tasse Kaffee besprochen werden.

Sie gehen sehr gerne auf Elternabende, hört man in Ihrem Programm.
Ja, die sind ein Fundort allererster Güte. Ich habe natürlich Schwierigkeiten, die Tarnungen ausreichend zu gestalten, denn Namen verändern genügt nicht. Eltern melden sich dann bei meinen Kindern und bei meiner Frau und sagen: "Was erzählt der denn da über uns auf der Bühne?"

Entschuldigen Sie sich dann bei den Dutt-tragenden Jungvätern, wie Sie sie auf der Bühne beschreiben?
Niemals. Der muss das ja beim Elternabend nicht sagen. Wenn das Thema beim nächsten Herbstfest internationale Gastronomie ist und unsere Klasse wählt Italien und alles ist super, weil dazu kann man eine Pizza machen und Spaghetti. - Und dann meldet sich ein Vater und sagt, ob wir damit nicht die Italiener in ein Klischee pressen würden?! Ich dachte, ich höre nicht richtig. Hallo? Es ist kurz vor 22 Uhr, alle sind müde! Und dann wird überlegt, ob man nicht peruanische Erbsen machen kann.

Gibt es jemanden, der Ihnen nachhaltig böse ist?
Doch. Es gibt Leute, die mich nach 30 Jahren auf Sachen ansprechen, an die ich mich gar nicht mehr erinnern kann. Wo ich gesagt hätte, jemand hätte sein Gebiss von Villeroy & Boch, der Toilettenfirma, gesponsert gekriegt. "Die Zähne meines Mannes sind echt!", höre ich dann. Oder im italienischen Restaurant in Hamburg, in dem ich noch nie war, sagt der Besitzer: "Ich bin immer noch nicht geblitzt worden!" Hä? Wieso? "Na, Sie haben in Ihrer Show gesagt, die Italiener sind so klein, die laufen unterm Radar durch."

Werten Sie das als Erfolgsbestätigung?
Doch, schon. Der schönste Satz ist: "Ich durfte für Sie aufbleiben." So ging es mir ja auch mit Otto Waalkes oder John Cleese. Wir haben offenbar einen Punkt getroffen, der bei Pubertierenden gezündet hat.

Welche Bühnenengagements würden Sie in Österreich noch reizen?
In Wien kann eigentlich nichts kommen, das mich nicht interessiert, weil Wien als solches zu interessant ist. Normalerweise werde ich immer gefragt, was mich an Österreich stört. Das würde ich aber nie sagen. Ich unterlasse auch Bemerkungen dazu, was bei Ihnen politisch los ist. Ich will ja auch nicht von dem Ausländer, der in Deutschland zu Gast ist, hören, was ihn stört. Gerade als Deutscher sollte man doppelt vorsichtig sein, weil den meisten Deutschen nicht bewusst ist, wie rechthaberisch sie rüberkommen.

Dieses Interview ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 35/2022 erschienen.