Darum ist es heute schwieriger, glücklich zu sein

Auf der Suche nach dem verlorenen Gefühl. Und wie man Glück trainieren kann.

Ist es heute schwieriger, glücklich zu sein? Schwer zu sagen, meint die Glückspsychologin Mag. Renate Pelzguter. Und stellt die Gegenfrage: Was bedeutet Glück für Sie? Touché! Viel wichtiger aber vielleicht noch: Wie können wir dem heiß ersehnten Gefühl auf die Sprünge helfen? Und was haben unsere Gene mit der ganzen Sache zu tun?

von Traurige Frau blickt aus dem Fenster © Bild: Shutterstock.com

Während Zufriedenheit ein Gefühl ist, das uns auch über weitere Strecken unseres Lebens begleiten kann, findet sich Glück nur im Moment. Ein Leben lang zufrieden sein? Nicht ganz auszuschließen. Ein Leben lang glücklich sein? Wohl kaum. So sind Glücksgefühle intensive, aber kurze Momente des Wohlbefindens. Eine für alle Individuen gültige Definition gibt es der Expertin zufolge aber nicht. Vielmehr hätte sich in einer Studie der Uni München gezeigt, dass das, was glücklich macht, von Individuum zu Individuum ebenso wie von Moment zu Moment variiert. Pelzguter bevorzugt daher den Begriff Lebensfreude.

Ist es heute schwieriger, glücklich zu sein?

Doch zurück zur eingangs gestellten Frage: Ist es heute schwieriger, glücklich zu sein? "Aus dem Bauch heraus: Ja. Weil sich unsere Gesellschaft in den letzten zehn, zwanzig Jahren massiv verändert hat", antwortet Pelzguter. Stichwort Schnelllebigkeit, Stichwort Technologisierung. "Wenn wir heute einen Anruf bekommen, erwartet man, dass wir uns sofort zurückmelden." Und noch mehr als das: Während man uns eine Vielzahl an Kommunikationskanälen an die Hand gibt, bliebe "das Leben, das wirklich passiert, die Face-to-face-Kommunikation", immer öfter auf der Strecke.

»Viele kommen in die Praxis und sagen: Ich sollte mich freuen, aber ich spüre nichts mehr«

Was das mit Glück zu tun hat? "Viele kommen in die Praxis und sagen: 'Ich sollte mich freuen, aber ich spüre nichts mehr.' Oder: 'Eigentlich sollte ich jetzt traurig sein. Was ist los mit mir?'", veranschaulicht die Psychologin. "Das ist ein Phänomen unserer Zeit." Der Grund: ein ständig wachsendes Angebot über sämtliche Lebensbereiche hinweg. "Das kann ein Vorteil sein, wenn ich 18 bin und mir die Welt zu Füßen liegt. Vielfalt ist ja grundsätzlich etwas Schönes. Doch viele Möglichkeiten zu haben kann auch anstrengend sein. Weil man sich ständig entscheiden muss. Und weil permanent Reize auf die Sinne einwirken."

Das braucht es fürs Glück

Dieses Überangebot an Reizen würde es dem Menschen zusehends erschweren, bei sich zu sein, wahrzunehmen, was im unmittelbaren Umfeld passiert, und zu erkennen, welche Möglichkeiten man hat, glücklich zu sein. "Denn Möglichkeiten gibt es genug", weiß Pelzguter. So ist es der Psychologin zufolge heute wichtiger denn je, zur Ruhe zu kommen, sich Zeit zu nehmen und sich zu fragen: Was bedeutet Glück für mich? Wann bin ich glücklich? Wann empfinde ich Lebensfreude? Man müsse sich mit dem Thema Glück eben bewusst auseinanderzusetzen.

»Möglichkeiten, glücklich zu sein, gibt es genug«

Auseinandersetzen und in sich hinein spüren: Was tut mir gut? Was nicht? Welche Menschen tun mir gut? Welche weniger? "Bei manchen geht einem das Herz auf", weiß Pelzguter. "Andere kosten Energie, sind anstrengend." Und nicht zuletzt: Wo finde ich ausreichend Ruhe? Apropos Ruhe: Während wir der Devise "Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen" folgen, heißt es in südamerikanischen Regionen: "Morgen ist auch noch ein Tag". "In unserer Kultur muss alles sofort geschehen. Aber wie wichtig sind die Dinge wirklich? Und was passiert, wenn ich sage: Das mach' ich morgen?"

Loslassen statt Problemewälzen

Achtsamkeit, qualitativ gute Beziehungen und ein gewisses Maß an Gelassenheit sind also Grundvoraussetzung fürs Glücklichsein. Ebenso wie die Fähigkeit, die Relevanz von Problemen einzuschätzen. "Auf einer Skala von null bis hundert - wie dramatisch ist die Sache?" Liegt der Wert im unteren Drittel, sollte man sich fragen, ob man nicht einfach loslassen kann. Ob die Auseinandersetzung mit dem Problem die Mühe, die Sorgen - die negativen Gefühle - wirklich wert ist. Letztlich müsse aber jeder für sich entscheiden, wie wichtig es ihm sei, das Problem auf den Tisch zu bringen.

So kann man Glück trainieren

Glück kann man aber auch ganz einfach üben. Etwa mit einem Glückstagebuch, in dem man Abend für Abend festhält, welche Momente man tagsüber als glücksbringend erlebt hat. Diese Übung hat der Expertin zufolge drei wichtige Effekte:

1. Wir beenden den Tag mit etwas Positivem. Wir tendieren dazu, vor dem Einschlafen die negativen Tagesgeschehnisse revue passieren zu lassen. Jene Gedanken, mit denen wir uns vor dem Einschlafen beschäftigen, wirken sich aber auf den Schlaf aus. Daher ist es wichtig, die Gedanken auf etwas Positives zu lenken.

2. Wir speisen das emotionale Erfahrungsgedächtnis. Einmal zu Papier gebracht, können wir, während wir von unseren Erfahrungen lesen, diese gleichermaßen nachempfinden. Geht es uns nicht so gut, können wir diesen Schatz an positiven Erfahrungen nützen, um uns in eine bessere Stimmung zu bringen.

3. Wir schärfen unsere Wahrnehmung. Bereits nach zehn bis 14 Tagen werden wir sensibler, was die Wahrnehmung von Glücksmomenten anbelangt. Sei es der Blick aus dem Fenster oder das Lächeln eines Kollegen - wir denken uns immer öfter: Das ist jetzt ein Glücksmoment, den kann ich abends notieren.

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Auf die Mischung kommt es an

Natürlich müssen wir nicht rund um die Uhr nach Glück streben. Im Gegenteil: Es braucht auch negative Gefühle, wie Pelzguter betont. "Manchmal wollen wir uns ärgern oder traurig sein." Positiv denken hieße ja nicht, die rosarote Brille aufzusetzen. Es gibt Positives wie Negatives - aber auf das richtige Verhältnis käme es an: "Damit wir Wohlbefinden empfinden, muss das Verhältnis von Positivem zu Negativem 3:1 sein." Für eine positiv empfundene Liebesbeziehung ist übrigens ein Verhältnis von 4:1 notwendig.

Wie die Gene unser Glück beeinflussen

Wussten Sie, dass unser Glücksempfinden zu 50 Prozent von unseren Genen und nur zu 10 Prozent von äußeren Faktoren wie einem größeren Auto und einer schöneren Wohnung beeinflusst wird? All die Dinge, von denen wir glauben, sie würden uns glücklich machen, haben in Wahrheit kaum Einfluss auf unser Glück. Die gute Nachricht: Die verbleibenden 40 Prozent stellen unseren Handlungsspielraum dar. Jetzt liegt es also an uns, etwas daraus zu machen. Denn, wie die Expertin weiß: "Es ist nie zu spät für eine glückliche Vergangenheit."

Renate Pils
© Privat Renate Pelzguter

Mag. Renate Pelzguter ist klinische und Gesundheitspsychologin. Außerdem ist sie als Humortrainerin tätig. Hier geht's zur Homepage von Renate Pelzguter.

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