Sinatra und die Mafia

Neue Sinatra-Biografie versucht die Trennung von Mythos und Realität

von Schlaglichter - Sinatra und die Mafia © Bild: afp

Über wenige Künstler gibt es so viele Bücher wie über Frank Sinatra. Ein großer Teil der Biografien beschäftigt sich mit seiner Verbindung zur Mafia, den Kontakten zu berüchtigten Verbrechern und geschäftlichen Beziehungen zu kriminellen Organisationen. Es existiert ein eigenes FBI-Archiv zu seiner Person. Darunter allerdings auch Aufzeichnungen sogenannter "verdächtiger Aktivitäten", die weniger zum Klischee des "Mafia-Freundes" Sinatra passen. Er unterstützte Organisationen, die gegen Rassismus kämpften, und setzte sich für Kollegen und Kolleginnen ein, die während der Mc-Carthy-Ära als "Kommunisten" mit Arbeitsverbot blockiert wurden.

Jetzt meldet sich Tony Oppedisano mit einem neuen Buch zur Verteidigung seines Freundes: "Sinatra and Me: In the Wee Small Hours". Trotz des Altersunterschieds war der Autor Jahrzehnte lang ein enger Vertrauter Sinatras. Zu Beginn Musiker in seiner Band, später Roadmanager und Plattenproduzent. Während der letzten Jahre Sinatras hatte er ein eigenes Zimmer in dessen Villa, beantwortete Telefonate, organisierte seine Auftritte. Nach einem Herzinfarkt brachte er den Sänger ins Krankenhaus und blieb bis zur letzten Stunde an seiner Seite.

Für Sinatra, 1915 in Hoboken geboren, einem Viertel italienischer Einwanderer, von New York durch den Hudson River getrennt, existierte kein Alltag ohne Mafia. In dieser Gesellschaft hätte es nicht die Bösen und Guten gegeben, nicht die Anständigen und Unanständigen, schreibt der Autor. Die Verflechtung der Mafia reichte von allem bis überall, vom Gemüsegeschäft zu den Bordellen, vom Sportklub zu den wichtigsten Zeitungen und Radiostationen.

"Ich bin in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der man jemandem die Hand gibt und ihn begrüßt, ohne sich zu erkundigen, wie er sein Geld verdient", zitiert Oppedisano seinen Freund Sinatra.

"The Unit" in Chicago

Sinatra begann seine Karriere in Klubs und Nachlokalen der mächtigen Bosse des "Mobs". Sam Giancana, der Al Capone in Chicago ablöste, wo sich die Mafia "Chicago Outfit" und später "The Unit" nannte, war Besitzer des "Black Orchid". Neben Sinatra traten dort auch Don Rickles und Bing Crosby auf. Die hatten allerdings keine italienischen Namen, und niemand verdächtigte sie, meint Oppedisano. Sinatra kannte keine Vorurteile oder Berührungsängste, niemandem gegenüber. Den Polizisten, den Klavierspieler habe er ebenso als Freund akzeptiert wie den lokalen Boss der Mafia. In der Atmosphäre, in der er aufwuchs, wären die Unterschiede nicht so entscheidend gewesen.

Als Sinatra ein berühmter Künstler war, faszinierten sein Erfolg, sein Charme und seine Musik die Bosse der Mafia, und sie fühlten sich verpflichtet, ihn zu beschützen.

Wer sich aus einem italienischen Elendsviertel mit einem Vater, der als Boxer und Feuerwehrmann die Familie ernährte, emporgearbeitet hatte, bekannt und angesehen war, den respektierte und bewunderte die Mafia. Für die kulturfremde Welt der Kriminellen war Sinatra ein Held. Er bereicherte ihr Leben mit Musik in den Klubs, wo sie die Nächte verbrachten, denn keiner wusste, ob er am nächsten Tag noch am Leben sein würde.


"Die Lokale, in denen ich auftrat, gehörten nicht Kardinal Spellmann (Erzbischof von New York), ich kannte keine Bischöfe, Kardinäle, oder Monsignore, die sah ich auch nicht im Publikum. Hätten sie Nachtlokale gehabt, wäre ich mit ihnen befreundet gewesen", kommentierte Sinatra seine Kontakte.

Gefälschtes Gesundheitszeugnis

Sinatras Karriere hatte ihre Brüche. In den frühen Fünfzigerjahren boykottierte ihn die Unterhaltungsindustrie, er galt als der Paria des Entertainments. Der Verdacht, er hätte sich mit einem gefälschten Gesundheitszeugnis vom Militärdienst und dem Einsatz an der Front in Europa "befreit", die ständigen Vorwürfe über seine Verwicklungen mit Verbrechern, die Scheidung von der ersten Frau und die Affäre mit Ava Gardner ruinierten sein Image. Als er die Stimme durch eine geplatzte Ader im Rachen verlor, ließen ihn sein Musikagent, seine Plattenfirma, TV-Produzenten und Besitzer der großen Konzerthallen im Regen stehen. Innerhalb weniger Monate war er arbeitslos, ohne Einkommen, und das Publikum ignorierte ihn. Nur die Klubbesitzer des "Mobs", der Halb-und Unterwelt, hielten ihm die Treue und engagierten ihn in ihren Lokalen, retteten ihn aus seiner finanziellen Verzweiflung. Sie nannten es die "Loyalität der Sizilianer". Selbst wenn er vor leeren Sesselreihen sang, ließen sie ihn auftreten und bezahlten ihm die volle Gage. Als Sinatras Karriere sich wieder erholte, er immer mehr Engagements bekam, die Manager der großen Konzertsäle ihm jede finanzielle Forderung erfüllten, sang er weiter in den oft schummrigen und billigen Klubs der Mafia, auch wenn sie seine Gagen jetzt nicht mehr bezahlen konnten. Das sei Sinatras einzige "Gegenleistung" gegenüber der Mafia gewesen, behauptet Oppedisano. Alles andere wie Geldschmuggel nach Havanna und sonstige Vorwürfe sei "erstunken und erlogen".

Es habe allerdings gegenseitige Unterstützung gegeben, wie Oppedisano es beschreibt. Er nennt Beispiele, die eine Verflechtung deutlich machen, und widerlegt seine Verteidigung Sinatras gegenüber den Vorwürfen im Zusammenhang mit der Mafia.

Als Sinatra 1966 die 30 Jahre jüngere Mia Farrow heiratete, verfolgten ihn Spott und Hohn der Kabarettisten. Am schlimmsten trieb es Jackie Mason, der bei einem Auftritt sagte, Sinatra hätte seiner Frau zum letzten Geburtstag eine Schachtel Buntstifte geschenkt. Ein anderer Scherz von ihm: Sinatra wurde einmal gebeten, eine Bar zu verlassen, seine Frau hätte zu laut mit der Babyrassel gespielt.

Sinatra schickte Mason einen Brief und bat ihn, damit aufzuhören, doch das machte sie Sache noch schlimmer. Mason verhöhnte Sinatra öffentlich wegen dessen "Bettelbrief". "The Unit", die Sektion Chicago der Mafia, hatte kein Verständnis für diese Art von Humor, schließlich war Sinatra einer ihrer Helden. Der Boss entschied, man müsse Mason einen Besuch abstatten, um die Angelegenheit zu besprechen. Die Besprechung endete mit einer gebrochenen Nase des Kabarettisten und einem längeren Krankenhausaufenthalt, und Mason hörte auf mit den Witzen über Sinatra.

Schutz vor der Mafia

Sinatra habe diese Attacke nie befohlen, behauptet Oppedisano. Er regelte solche Angelegenheiten "persönlich", und wenn eine Schlägerei notwendig war, wich er der nicht aus. Er ließ nie jemanden durch die Mafia verprügeln, benutzte keine Kriminellen, um seine Gegner einzuschüchtern. Das sei nicht sein Stil gewesen.

In manchen Situationen nütze er seine Kontakte, um Kollegen zu beschützen, Attacken durch kriminelle Organisationen zu verhindern. Als der Produzent Desi Arnaz nach seinem Erfolg mit "I Love Lucy" den Auftrag bekam, die TV Serie "The Untouchables" zu produzieren, bearbeitete er das Drehbuch und schrieb echte Namen bekannter Mitglieder der Mafia in die Dialoge. Er verletzte damit eine damals ungeschriebene Vereinbarung, keine realen Figuren bei Filmen über Verbrechen zu verwenden.

Angeblich seien die Mafia-Bosse derart wütend gewesen, dass sie beschlossen, einen "Hit" gegen Arnaz anzuordnen ("A hit had gone out"), was so viel bedeutete, dass sich ein "Anfänger" in der Organisation einen Namen mit der Ermordung von Arnaz machen könnte. Ein bekanntes Karrieremodell in der Organisation.

Als Sinatra davon erfuhr, versteckte er Arnaz in einem Apartment in Del Mar, bis er die Verantwortlichen überzeugen konnte, den "Hit" wieder abzusagen. Arnaz war Sinatra ewig dankbar und wusste, dass der Sänger ihm das Leben gerettet hatte. Er wollte sich mit einer TV-Serie revanchieren und bot Sinatra die Hauptrolle an. Der Held der Serie sollte in einem Nachtlokal der Mafia auftreten, jedoch gleichzeitig für den FBI als Informant arbeiten.

Sinatra amüsierte sich über den Vorschlag und versuchte, Arnaz zu erklären, dass dieser weder die "ehrenwerte Gesellschaft" noch ihn selbst verstehen würde, und lehnte dankend ab.

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