Forschungsobjekt Ameise

Vom Verhalten in Zeiten des Klimawandels bis zur Entdeckung neuer, antimikrobieller Wirkstoffe: In den vergangenen Monaten wurden gleich mehrere wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, die auf der Forschung mit Ameisen beruhen. Der Ökologe Patrick Krapf ist einer jener Wissenschaftler, die mit den Insekten arbeiten.

von Ameisen © Bild: iStockphoto.com

Sie sind meist gerade einmal rund einen Zentimeter groß und dennoch extrem faszinierend: So können sie etwa bis zum Vierzigfachen ihres Körpergewichts tragen und spielen eine zentrale Rolle für unser Ökosystem. Weltweit beschäftigen sich daher zahlreiche Forschungsgruppen mit diesen Insekten - und machen dabei laufend spannende Entdeckungen.

Rund 20 Billionen Ameisen leben Schätzungen zufolge auf der Erde. Insgesamt dürfte es 20.000 bis 30.000 unterschiedliche Arten geben, etwa 14.000 davon sind mittlerweile bekannt. Darunter etwa die Wanderameisen, deren Königin bis zu acht Zentimeter lang werden kann. Sie zählen zu den größten Ameisen. Die roten Feuerameisen wiederum breiten sich als invasive Art im Augenblick in Europa aus. Sie sind extrem aggressiv und ihr Biss verursacht starke Schmerzen.

Mit einer weiteren Art, nämlich der Hochgebirgsameise Tetramorium alpestre, die im Alpenraum in Höhen zwischen 1.600 und 2.000 Meter vorkommt, beschäftigte sich ein Team rund um Patrick Krapf im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Universität Innsbruck.

Soziale Gruppen und Arbeitsteilung

Zunächst arbeitete der Ökologe mit Fruchtfliegen im Alpenraum. Für seine Dissertation widmete er sich schließlich den Ameisen und ist mittlerweile seit 2015 "großer Ameisenfan".

© Patrick Krapf AMEISEN leben in sozialen Gruppen und betreiben Arbeitsteilung. Ob die Tiere bei höheren Temperaturen aggressiver werden, untersuchte der Ökologe Patrick Krapf

"Es gibt vieles, das diese Tiere so besonders macht", erklärt er. Wie auch Bienen und Hummeln sind sie eusozial. Das heißt, sie leben in sozialen Gruppen, die aus mehreren Generationen bestehen, zusammen. Außerdem teilen sie sich die Arbeit auf.

Das Ziel von Krapf und seinen Kolleginnen und Kollegen war es, mehr über das Verhalten der Ameisen herauszufinden, auch im Hinblick auf den Klimawandel.

"Ab Mai war ich in den Bergen unterwegs", beschreibt Krapf die Vorgehensweise. "Dort habe ich Steine umgedreht und nach Nestern dieser speziellen Ameisenart gesucht." Waren die richtigen Tiere gefunden, wurden einige vorsichtig in ein Röhrchen eingesaugt und ins Labor gebracht. So sammelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Ameisen von insgesamt acht unterschiedlichen Standorten in den Alpen ein.

Je wärmer, umso aggressiver

Anschließend erfolgte einerseits eine genetische Analyse der Tiere. Andererseits untersuchten die Ökologen deren Verhalten. "Wir haben Aggressionstests, die mit Arenakämpfen vergleichbar sind, durchgeführt", so Patrick Krapf. Zwei Arbeiterinnen unterschiedlicher Nester treffen aufeinander. Das Verhalten der Tiere dabei wird von den Forschern beobachtet und auf Video festgehalten. "Für uns war wichtig herauszufinden, ob die Arbeiterinnen friedlich oder aggressiv aufeinander reagieren und ob sich alle gleich verhalten", erklärt Patrick Krapf.

»Es gibt vieles, das Ameisen so besonders macht. Sie sind z. B. sozial und teilen sich die Arbeit auf«

Patrick Krapf
Der Ökologe erforscht seit 2015 das Verhalten von Ameisen

Das Ergebnis ist jedenfalls im Hinblick auf die weltweit steigenden Temperaturen ernüchternd. Denn das Verhalten der Ameisen korreliert mit Umweltfaktoren. So waren die von wärmeren Standorten stammenden Ameisen deutlich aggressiver als ihre Artgenossen aus kühleren Gebieten. Auch die höhere Stickstoffkonzentration im Boden der wärmeren Standorte spielt eine Rolle.

Tiere müssen sich anpassen

Bedeutet diese Erkenntnis also, dass künftig mit steigenden Temperaturen auch alle Tiere deutlich aggressiver werden? "Prinzipiell muss man mit Verallgemeinerung sehr vorsichtig sein", so der Ökologe. Allerdings bestehe die Möglichkeit durchaus, da es bei Fischen und Amphibien ähnliche Studienergebnisse gebe. Auch bei Wühlmäusen und Huftieren konnte gezeigt werden, dass eine erhöhte Stickstoffkonzentration im Boden zu aggressiverem Verhalten führt.

Mittelfristig müssen sich die Ameisen an die höheren Temperaturen anpassen, ist Krapf überzeugt: "Entweder sie siedeln in noch größere Höhen oder sie passen sich an, indem sie beispielsweise ihren Stoffwechsel ändern oder genomische Änderungen vonstattengehen, die es den Ameisen erlauben fortzubestehen." Sollte das nicht der Fall sein, wird diese Art aufgrund der geänderten klimatischen Bedingungen aussterben.

© Patrick Krapf
© Patrick Krapf FELDFORSCHUNG. Zunächst muss die richtige Ameisenart gefunden werden. Dann werden einige Tiere vorsichtig eingesaugt. Im Labor wird anschließend beobachtet, wie sich die Ameisen verhalten, wenn sie auf eine Artgenossin eines anderen Standorts treffen

Geänderte Ernährung bei Krankheit

Doch nicht nur steigende Temperaturen führen zu einer Verhaltensänderung der Ameisen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Uni Graz gelang es, eine außergewöhnliche Fähigkeit der Tiere zu zeigen: So ändert die grauschwarze Sklavenameise ihre Ernährung, wenn sie krank ist. Sie nimmt für diesen Zeitraum Nahrung zu sich, die stärker mit Blattläusen angereichert ist, beobachteten die Grazer Forscher. Der Grund dafür: Die Läuse enthalten Wasserstoffperoxid, das desinfizierend wirkt.

Ameisen produzieren Antibiotika

Eine weitere bedeutende Entdeckung gelang einem Forscherteam rund um Erik Frank von der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg und Laurent Keller (Universität Lausanne). Sie konnten zeigen, dass die südlich der Sahara weit verbreiteten Matabele-Ameisen selbst Antibiotika produzieren können.

Da diese Ameisenart Termiten jagt, kommt es immer wieder zu Verletzungen. Die Tiere können unterscheiden, ob es sich um eine nicht infizierte oder infizierte Wunde handelt. Sollte Letzteres der Fall sein, produzieren Artgenossinnen in einer Drüse, die sich seitlich an ihrer Brust befindet, eine spezielle Substanz und tragen sie auf die Wunde auf. Diese ist wundheilend und antimikrobiell. Die Sterblichkeit der so behandelten Ameisen sinkt laut Ergebnissen der Wissenschaftler um 90 Prozent.

In einem weiteren Schritt soll nun das Sekret, das aus 112 Komponenten besteht, genauer analysiert werden. Die Hoffnung der Forscher - mithilfe dieser Erkenntnisse ein neues Antibiotikum zur Behandlung von multiresistenten Keimen zu entwickeln.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 3/2024.