Martin Balluch:
Der Terrorist, der pleite ist

Als Kopf einer kriminellen Organisation wurde Tierschützer Martin Balluch von freizügigen Agentinnen ausspioniert, angeklagt -und rechtskräftig freigesprochen. Nun machen ihn Verfahrenskosten von einer halben Million Euro zum Konkursfall

von Chronik - Martin Balluch:
Der Terrorist, der pleite ist © Bild: News Deak Marcus E.

Die Zeiten der Unschuld sind karg: Für zehn Jahre muss der Mann, der früher einmal auf der Universität Cambridge der Assistent von Stephen Hawking war, von nun an am Existenzminimum leben. Knapp eine halbe Million Euro kostete ihn ein Prozess, den die Republik Österreich gegen ihn angestrengt hatte. Er wurde rechtskräftig freigesprochen. Doch auf den Verteidigungskosten bleibt er nichtsdestotrotz sitzen, gerade einmal 1.200 Euro, so sieht es das Gesetz vor, wurden ihm rückerstattet. Nun schließlich musste er Privatkonkurs anmelden. "Ich besitze so gut wie nichts mehr", sagt er. Dabei ist er vor zehn Monaten zum ersten Mal Vater geworden, und es wäre gerade jetzt irgendwie logisch, gezielt in die Zukunft zu investieren.

Der Terrorist, der pleite ist - willkommen in der Welt des Tierrechtsaktivisten Martin Balluch, 54. Vor nunmehr neun Jahren angeklagt nach dem sogenannten "Anti-Mafia-Paragraphen"(siehe Kasten, Seite 34), standen er und zwölf weitere Tierschützer wegen "Bildung einer kriminellen Organisation" über 14 Monate hinweg in Wiener Neustadt vor Gericht. Ganze drei Jahre zuvor hatte unter der Ägide des derzeit im Zentrum eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses stehenden Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, kurz BVT, eine eigens zusammengestellte Spezialeinheit ihre Arbeit aufgenommen.

Aufgeblähtes Konvolut

"Sonderkommission zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität zum Nachteil des Bekleidungshandels" nannte sich die mittlerweile längst wieder aufgelöste Task Force aus mehr als 30 Beamten. Vier große Lauschangriffe, Montage von Peilsendern an Autos, systematische Videoüberwachung von Hauseingängen -rasch schwoll der Ermittlungsakt gegen Martin Balluch und Mitstreiter auf mehr als 10.000 Seiten an. Allein, das steht heute fest: Strafrechtlich auch nur ansatzweise relevante Tatbestände ließen sich aus dem aufgeblähten Konvolut keine herausdestillieren.

Rückblende ins Jahr 2010. Es ist die Zeit, bevor radikalislamistische Gesinnungstäter oder anarchistische Staatsverweigerer ins behördliche Blickfeld rücken. Und so verortet die Staatsanwaltschaft die wahren Staatsfeinde noch im -Schweinestall.

Die Auskundschaftung und Stürmung von Tiermastfarmen, die Störaktionen vor Geschäften, die sattsam bekannten Blockaden und Ankettungsaktionen, die Behinderung von Gatterjagden, kurz: Die rein verwaltungsrechtlichen Aktionen, zu denen sich die österreichische Szene offen bekennt -all die werden von der Anklagebehörde kunstvoll in Verbindung gesetzt mit einer international operierenden, in Großbritannien beheimateten Fundi-Armee namens "Animal Liberation Front".

Das ist ein über Internet-Geheimforen und codierte Botschaften organisierter Kampftrupp, so eine Art Rote Armee Fraktion im Dienste der Tiere, der ohne Rücksicht auf Verletzte und Tote Brandanschläge auf Tierfabriken und Versuchslabors verübt. Radikale Aktivisten wie der Brite Keith Mann, der wegen Brandstiftung im großen Stil 14 Jahre einsaß, gehen da ungebremst zu Werke. "Alles, was uns bleibt, ist die Zuwendung zum Extremismus", lautet dessen eindringliches Mantra. Und so ist man auch hierzulande alarmiert.

"Die in Österreich aktiven Tierrechtsgruppen sind () in umfassende Netzwerkstrukturen eingebunden", vermerken die Verfassungsschützer des Innenministeriums in den Monaten vor Beginn des Wiener Neustädter Tierschützer-Prozesses in ihrem Lagebericht. Und die Fahnder, die gegen Balluch und Kollegen ermittelten, schreiben in ihren Protokollen über "die Planung und Durchführung fanatisch-militant motivierter Tierrechtsaktionen". Eine "Doppelstrategie zwischen legalen und illegalen Aktionen" sieht der Staatsanwalt. Ein Spannungsfeld, in dem die Justiz ein klares Zentrum festmacht: Es heißt Martin Balluch, ist Oberhaupt der NGO "Verein gegen Tierfabriken" und seit der Jahrtausendwende so etwas wie der Popstar des österreichischen Tierschutzes.

Pubertierender Revoluzzer


Der studierte Mathematiker, Physiker und Philosoph, der eloquente Doppeldoktor und einstige Cambridge-Dozent, ist schwer verdächtig: weniger aus strafrechtlichem Blickwinkel, eher aus kleinbürgerlichem, als kokette Mischung aus Revolutionär und Selbstvermarkter: "Ich war bereits 1978 als 13-Jähriger auf meiner ersten Demo und wurde 1979 erstmals von der Polizei festgenommen", schreibt er in seinen Erinnerungen an die Anfangsjahre. Wegen passiven Widerstands auf einer Anti-AKW-Demo sei er als Teenager zu einer Ordnungsstrafe verdonnert worden. Körperliche Gewalt lehne er ab -nicht aber handfestes Pathos, der Guru der heimischen Tierrechtsszene, derzeit auf Väterkarenz, sieht sich und die seinen als Träger gewaltiger Tradition: "Martin Luther King saß nicht von ungefähr 20-mal im Gefängnis, genauso wie Mahatma Gandhi und andere anerkannte Größen des politischen Widerstandes", schreibt Balluch. Und: "Ja, gewisse Formen gesetzeswidriger Aktivitäten können durchaus in den Bereich demokratiepolitisch unbedenklicher Aktionen zivilen Ungehorsams fallen."

Zermürbende Fleischeslust

Gesetzeswidrige Aktivitäten? Ziviler Ungehorsam? Will dieser aufsässige Tierfreund mit seinen Helferinnen und Helfern da denn die Grundfesten unserer Republik zu Tode streicheln? Möglich wäre es! Und so infiltriert die "Soko Bekleidungshandel", nun vollends entfesselt, sogar eine verdeckte Ermittlerin, um die strikten Veganer durch Fleischeslust mürbe zu machen. Eine Spionin mit dem klangvollen Namen "Danielle Durand" und steirischem Akzent wird in die Szene eingeschleust und macht sich ganz gezielt an einen der engsten Mitarbeiter Balluchs heran. "Sie wollte so nahe wie möglich an mich herankommen. Als wir zum ersten Mal alleine waren, hat sie mir förmlich die Kleider vom Leib gerissen", sagt dieser.

Vom Hasenstall zum Hosenstall, 15 Monate recherchierte die Frau mit Decknamen Durand bei den Tierrechtlern undercover. Von Serien-Demos gegen eine Textilkette und Jagdsabotagen im Burgenland bis hin zu Computer-Workshops und einem Veganertreffen in Holland -überall war die Frau fürs Spezielle dabei. Sogar bei einer Protestaktion gegen "Polizeiwillkür" vor dem Innenministerium, also quasi ihrem Chefbüro, stand sie zornig an vorderster Front. Zur selben Zeit wie Durand, manchmal sogar Seite an Seite mit dem Profi, agierte auch noch eine Amateur-Agentin, die in den Akten als "Vertrauensperson 481" firmierte. Nachdem sie bereits zuvor -noch aus freien Stücken -an der einen oder anderen Tierrechtsdemo teilgenommen hatte, konnte der Soko-Chef die rothaarige Mittvierzigerin nunmehr als Spitzel gewinnen. Knappes Resümee ihrer Undercover-Mission: "Damals war ich Tag und Nacht ang'soffen." Was wiederum den Soko-Chef selbst ziemlich ernüchterte: "Die verdeckten Ermittlungen brachte keine Ergebnisse", resümierte er vor Gericht.

Detektive und Agentinnen

Hauptangeklagter Martin Balluch und die zwölf Mitangeklagten werden nach 1o5 Tagen in Untersuchungshaft und 98 Prozesstagen im Mai 2011 freigesprochen, knapp ein halbes Jahr später erlangt das Urteil Rechtskraft. An die 490.000 Euro, sagt er, ist er seinem Anwalt bis heute schuldig. Doch es sind noch zusätzliche Kosten angefallen, etwa jene rund 30.000 Euro, die er für jene beiden Privatdetektive aufwandte, welche letztendlich die zwei eingeschleusten Agentinnen enttarnten. Laut Paragraph 393 der Strafprozessordnung steht ihm, der an einem Bezirksgericht vor einem Einzelrichter stand, ein Pauschalbetrag von 1.200 Euro als Ersatz für die Verteidigungskosten zu. Im Namen der Republik, Akte geschlossen.

"Ich besitze so gut wie nichts mehr", sagt Martin Balluch, seit zehn Monaten Vater. Die Gesamtkosten, welche die Ermittlungen der "Sonderkommission zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität zum Nachteil des Bekleidungshandels" verursachte -sie belaufen sich, vorsichtig geschätzt, auf sechs Millionen Euro.

Ein Paragraph gegen die Mafia

Die Anklage gegen Martin Balluch stützte sich im Wesentlichen auf Paragraph 278a des Strafgesetzbuches, den sogenannten "Mafia-Paragraphen". Grob gesprochen geht es darin darum, dass die Bildung einer kriminellen Organisation unter Strafe gestellt wird. Unter anderem besagt dieser Paragraph: "Wer eine auf längere Zeit angelegte unternehmensähnliche Verbindung einer größeren Anzahl von Personen gründet oder sich an einer solchen Verbindung als Mitglied beteiligt, die ( ) dadurch eine Bereicherung in großem Umfang oder erheblichen Einfluss auf Politik oder Wirtschaft anstrebt ( ) ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen."

Die Beliebigkeitsfalle. Aber "erheblichen Einfluss auf Politik oder Wirtschaft" anstreben -was bedeutet das? Im Grunde, monierten Rechtsexperten, könne dadurch bei Extremauslegung fast jede Tätigkeit für eine NGO kriminalisiert werden. Im Wesentlichen fußte auch die Anklage auf Balluch und seine Mitstreiter auf diesem Passus -welcher mittlerweile komplett aus dem Strafgesetz gestrichen wurde. Und auch wenn Balluch letztendlich freigesprochen wurde, vor dem Hintergrund des abgeschlankten Textes hätte es nicht einmal für eine Anklage gereicht.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in News Ausgabe Nr. 11/19

Kommentare

Mailyn P.
Mailyn P. melden

Und die Einbrüche ist Ställe, Brandstiftungen, raus lassen von Tieren hat es nie gegeben?..Der Terrorparagraf deswegen war und ist falsch. Anzeige und Privatklagen wären an gebracht gewesen. Und noch was....Balluch hat noch nie öffentlich gegen das erlaubte Schächten Stellung bezogen. So viel zum Tierschutz von seiner Seite.

Freemind melden

@Mailyn P.: Wenn man keine Ahnung von dem hat was man schreibt, sollte man es lassen. Hier der Link zu Balluchs öffentlicher Stellungnahme gegen das Schächten.

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