Bin ich ihm nicht mehr sexy genug?

Zunächst räumen wir mit dem Klischee auf, nur Frauen seien davon betroffen, dass ihre Partner vom Anblick anderer Frauen buchstäblich hypnotisiert werden. Das gilt auch umgekehrt. Aber Männer sind weitaus anfälliger für visuelle Reize.

von Dr. Monika Wogrolly © Bild: Matt Observe/News

Seien wir uns ehrlich, Attraktivität beginnt im Kopf: Wie sehe ich mich selbst? Was macht mich attraktiv? Fühle ich mich wohl in meiner Haut auch ohne Zuspruch von außen - ohne Lob, Komplimente, chirurgische Optimierungen, männliche Bewunderung? Und ist mein positives Selbstbild als Frau tragfähig, ja stabil genug, um unwillkürlichen oder gezielten Blickattacken meines Partners, die anderen gelten, souverän standzuhalten? Sie neigen dazu, Ja zu sagen? Na ja. Und jetzt das große Aber. Bekanntlich sind Männer evolutionsbiologisch so festgelegt, ihre Umgebung nach der bestmöglichen Umsetzung einer "breit gestreuten Fortpflanzung" zu sondieren. Demnach sollten Sie es nicht persönlich nehmen, wenn er angesichts einer optisch anziehenden Person auf Autopilot schaltet. Wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge ist das Testosteron im Blut die Ursache. Ausrede Nummer eins ist daher, dass Männer besonders leicht auf optische sexuelle Reize reagieren "müssen", um die Art zu erhalten. Auch langjährige monogame Beziehungen und Ehen ändern daran nichts. Daraus resultiert mithin eine Reihe von Fragen: Ist diese Ausrede nicht allzu einfach, dass Männer dazu verdammt sind, ständig - zumindest visuell - auf der Pirsch zu sein? Und: Müssen sie?

Na ja, sie müssen tatsächlich Ausschau halten - Stichwort "biologische Steuerung" - aber, nein, das muss deswegen keine Blöße der Ehefrau oder Partnerin bedeuten.

Hier der kleine, aber feine Unterschied oder auch eine schnelle Methode, die Spreu vom Weizen zu trennen: Wie verhält sich ein Mann, dem eine schöne Unbekannte übern Weg läuft, und das in Anwesenheit seiner Ehefrau: Er pfeift ihr zwar nicht begeistert und völlig enthemmt hinterher, aber er tut es völlig ohne Bedacht darauf, was das mit Ihnen macht? Nämlich, dass Sie sich fremdschämen? Dann herrscht Narzissmus-Alarm. Vielleicht noch nicht krankhaft, aber doch scheint ihm (oder ihr) die Befriedigung des Bedürfnisses, einer fremden Person nachzublicken, wichtiger, als wie sich die Partnerin (oder der Partner) dabei fühlt.

Mein Tipp: Reden Sie darüber, wie er Sie immer wieder mit diesen Aktionen verletzt. Vielleicht merkt man es gar nicht, wenn Sie bloß schweigen und mit Rückzug reagieren. Es ist keineswegs sonnenklar, wie Sie sich fühlen und was das bei Ihnen auslöst. Daher bitte selbstachtsam sein und offen darüber reden. Wichtig: Ich-Botschaften formulieren (Aussagen subjektiv färben: "Ich empfinde das so und so"), damit der andere sich nicht angegriffen fühlt und mauert.

Das unreflektierte oder rücksichtslose Hinterherschauen unterscheidet sich wohl auch durch seine Dauer vom bedenkenlosen Hinterherschauen: Alles, was bis zu sieben Sekunden geht, ist im grünen Bereich. Nicht mehr im grünen Bereich sind gezielte akrobatische Einlagen, die mithin lebensbedrohlich enden können: Meine Klientin Silke erzählte, ihr Mann sei fast mit seinem Motorrad und ihr auf dem Sozius gestürzt, als er sich an einer Kreuzung nach einer attraktiven Radfahrerin den Hals verrenkte.

Abrundend ist wichtig, Blicke, die anderen gelten, eben nicht zur Selbstsabotage zu missbrauchen. Nach dem Motto: "Jetzt bin ich ihm oder ihr nicht mehr gut beziehungsweise nicht mehr attraktiv genug." Äußern Sie stattdessen, wie es bei Ihnen ankommt, dass er die Aufmerksamkeit von Ihnen abzieht, und was Sie daran stört. Akzeptieren Sie mit Wohlwollen, ja, wirklich bewusstem Wohlwollen, dass Ihre geliebte Person auch noch andere attraktive Wesen wahrnimmt. Aber -und darauf kommt es in der Liebe an -dass er nichts tun würde, um Sie zu verletzen. Es ist ja nur Schauen. Und dabei bleibt es in einem guten Liebesleben auch, wobei nicht monogame Beziehungen hier freilich einen anderen Radius erlauben. Aber das ist dann eine andere Geschichte.