Andi Ogris:
"Der Ernstl fehlt mir"

Die Fußballer-Legenden Ernst und Andreas Ogris sprachen vier Jahre lang nicht miteinander. Jetzt ist der Jüngere verstorben. Der Ältere nutzte die letzte Chance und versöhnte sich mit seinem Bruder am Sterbebett

von Fussball - Andi Ogris:
"Der Ernstl fehlt mir" © Bild: Nina Strasser

Ernst Ogris tanzt. Immer wieder schaut sich sein älterer Bruder Andreas Ogris das Video an. Er will nicht daran denken, wie Ernst angekabelt an Schläuchen im Krankenhausbett liegt. Er will dieses Bild verdrängen und ihn so in Erinnerung behalten, wie er seinen Bruder kannte: gesellig, fröhlich und immer ein Schmäh auf den Lippen. Deshalb schaut er sich die Filmaufnahme an, auf der sein Bruder mitten im Frisiersalon von Frau Ogris zur Musik tanzt. "Das widerspiegelt den Ernstl total, und dieses Bild behalte ich in meinem Kopf", sagt Andreas Ogris.

Die Heimat der Ogris-Buam, das Stadion des FK Austria Wien, ist eine Baustelle. Überall liegt Schutt, der einstige Rasenplatz schaut aus wie eine Betonwüste. Die Sportstätte der Violetten wird noch bis Sommer 2018 zu einem Vier-Sterne-Stadion nach UEFA-Kriterien aufpoliert. Hinter der Südtribüne liegt das Büro der Trainer. Das einzige Raucherbüro bewohnt Andreas Ogris, Trainer der Amateure. Der 52-Jährige blickt aus dem Fenster auf Schrebergärten. Er trägt ein schwarzes Poloshirt und Jeans und inhaliert langsam den Rauch seiner Zigarette. Vor einer Woche erfuhr er an diesem Ort, dass die Maschinen abgestellt werden. Dass sein Bruder sterben wird. Stunden später, am 30. März, erlag Ernst Ogris einer Virusinfektion im AKH in Wien. "Das, was am schlimmsten für mich ist, ist, dass ein Mensch mit 49 Jahren mit mehr oder weniger nix ins Spital geht und dann nicht mehr heimkommt. Das im Kopf zu verarbeiten, ist sehr schwer."

Ernst Ogris ging mit Schulterschmerzen ins Krankenhaus. Bei der Behandlung gelang ein Hautkeim in seine Blutlaufbahn und schädigte sein Herz. Er wurde operiert, fiel ins Koma und wachte nicht mehr auf.

Das Herz auf der Zunge

Die Brüder aus Strebersdorf sind Wiener Fußballer-Legenden. Beide kickten sich vom Bolzplatz in die Profiliga. Beide spielten für die österreichische Nationalmannschaft, beide berühmt berüchtigt für ihren Schmäh. Zwei Brüder, die sich liebten, manchmal hassten und lange Jahre kein Wort miteinander sprachen, weil sie sich einfach zu ähnlich waren. "Ernstl war ein sehr geradliniger Typ, der das Herz auf der Zunge hatte. Wenn ihm was nicht gepasst hat, dann hat er das sofort gesagt. Wir sind ähnliche Typen", erzählt der 52-Jährige, und weiter: "Wenn zwei Sturköpfe wie wir aufeinandertrafen, dann war das halt schwer, auf einen Zweig zu kommen, auf dem wir beide sitzen konnten."

Dabei ging es bei den Streitereien immer nur um "Kinkerlitzchen"."Das passiert halt unter Geschwistern und unter Brüdern besonders. Wir waren in der gleichen Branche, waren gleich geortet und haben manchmal Dinge gesagt, die uns im Nachhinein eh leid taten." Einmal, erzählt Ogris, haben die Brüder ein halbes Jahr nicht miteinander gesprochen. Als sie sich zufällig am Fußballplatz wiedertrafen, war der Streit innerhalb von fünf Minuten vergessen - Geschwisterliebe eben. "Wir haben das nie so überdimensional bewertet, wie es in der Öffentlichkeit gerne dargestellt wurde", sagt Ogris. Gegenseitig hätten sie sich nie als Konkurrenz wahrgenommen. "Ganz im Gegenteil. Wir haben uns immer versucht, zu pushen."

Doch während sich der jüngere Bruder nach seinem einzigen Länderspiel am Kreuzband verletzte, machte der ältere in der Nationalmannschaft Karriere - mehr als 60 Spiele mit elf Treffern. Warum lief es für den einen Bruder gut und für den anderen schlechter? Hatte es etwas mit der ungesunden Lebensweise zu tun oder mit mangelnder Disziplin? Hat der eine dem anderen daraus einen Vorwurf gemacht?

Andreas Ogris lacht. "Ich glaube, dass ich da der Falsche gewesen wäre. Ich rauche selbst gerne mal eine Zigarette und trinke dazu ein Bier. Der Unterschied war, wenn ich lustige Füße hatte und einmal auf ein Bier gegangen bin, kam ich trotzdem zum Training und gab statt 100 sogar 120 Prozent", sagt Ogris. "Der Ernstl hat sich vielleicht das ein oder andere Mal etwas gehen gelassen und nicht den Biss entwickelt, der notwendig war. Das hatte ich ihm schon öfters gesagt."

Die letzte Aussprache

Zum letzten Mal gemeinsam spielte das Brüderpaar im Jahr 2003 beim Wiener Polizistensport. Da trainierte der Andi den Ernstl. Ogris gesteht, dass er seinem Bruder gegenüber hin und wieder strenger war. Mehr von ihm verlangt hat als von den anderen Kickern. "Aber für den Ernstl war das kein Problem. Er wollte das auch so, und wenn ein Ogris das Spielfeld betritt, dann legt sich ein Schalter um. Da musste ich ihm dann nicht mehr viel sagen."

© Nina Strasser Ex-Nationalspieler Andreas Ogris musste sich am 30. März von seinem Bruder verabschieden

Trotzdem: Danach sagten sich die Brüder viele Jahre lang überhaupt nichts mehr. Zwei Tage bevor Ernst verstarb, fasste sich Andreas Ogris ein Herz und besuchte seinen Bruder im Krankenhaus. Da lag Ernst schon im Koma. "Ich habe lange mit dem Arzt gesprochen. Und er hat mich darauf vorbereitet, dass viel passieren müsste, dass der Ernstl das überlebt." Also setzte sich der ältere zu seinem jüngeren Bruder ans Bett und sprach ein letztes Mal mit ihm. "So was kommt ja immer wieder vor, dass man am Ende des Tages Dinge nicht ausgesprochen hat, wenn so etwas kurzfristig passiert. Aber ich glaube, dass er noch alles mitbekommen hat, als ich mit ihm geredet habe. Dass wir im Reinen sind. Das glaube ich und davon bin ich überzeugt." Andreas Ogris drückt die Zigarette aus und lächelt.

»Ich schmeiße ihm nix nach ins Grab, wenn es geht, nicht mal die Erde«

Die letzte Ehre wird er seinem Bruder am 13. April erweisen. Um 13 Uhr wird der ehemalige Mittelstürmer auf dem Stammersdorfer Friedhof beigesetzt. Wird Andreas Ogris seinem Bruder noch das Trikot mitgeben? "Ich schmeiße ihm nix nach ins Grab, wenn es geht, nicht einmal die Erde."

Ernst Ogris spielte bei der Austria, St. Pölten und der Admira, mit der er im Cupfinale 1992 stand. In seinem einzigen Länderspiel erzielte Ogris gegen Dänemark (1:2) das Tor für Österreich. Nach seiner Zeit bei Hertha BSC in der zweiten deutschen Liga (1994/95) beendete Ogris bei der Admira nach 154 Spielen (41 Treffern) seine Karriere. Seit 2008 trainierte er unterklassige Vereine, zuletzt den SV Eichgraben in NÖ.

Andreas Ogris absolvierte zu aktiven Zeiten knapp 350 Pflichtspiele für die Austria sowie 63 Partien (elf Treffer) für Österreichs Nationalteam. Ein Jahr lang kickte er in Spanien für Espanyol Barcelona. Seit 2004 ist die einstige Nummer sieben im Besitz der UEFA-Pro-Lizenz. Während der letzten Jahre fungierte Ogris als Cheftrainer im Amateur-bzw. Akademie-Bereich des FK Austria Wien.