News Logo
ABO

Patente auf Saatgut: Der Kampf für die Vielfalt

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
18 min
Artikelbild
©Bild: Getty Images

Im Frühjahr sorgte die Anmeldung von drei Patenten für Braugerste durch die internationalen Brau-Riesen Heineken und Carlsberg für Aufregung. Denn sie bedroht die Vielfalt beim wichtigsten Rohstoff von Bier, dem beliebtesten Getränk der Österreicher. Vor wenigen Tagen haben sich die EU-Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Position zur europäischen Saatgutverordnung geeinigt. Bauernverbände und kleine Züchter befürchten jetzt eine Monopolisierung des Saatguts.

EP2384110, EP2373154 und EP2575433 – hinter diesen Nummern verbergen sich drei von den internationalen Brau-Riesen Heineken und Carlsberg beim Europäischen Patentamt eingebrachte Patentanträge für spezielle Gerstenpflanzen und alle damit erzeugten Produkte, von Malz und Würze bis zum Bier selbst. Die neue Gerstensorte enthält weniger Dimethylsulfid, ein damit gebrautes Bier ist daher wohlschmeckender und hat eine lange Lagerfähigkeit. Und so wird auch weniger Energie für das Brauen nötig.

So weit, so unspektakulär, sollte man meinen. Patente auf Erfindungen sind seit 200 Jahren nichts Besonderes. Im Gegenteil: Genaue Regeln sind wichtig, damit Forscherinnen und Forscher, aber auch Unternehmen für ihren Aufwand entschädigt werden und deren Arbeit auch wirtschaftlich sinnvoll ist.

Patent auf Zufall?

Doch bei der Braugerste haben die Unternehmen die Rechnung ohne die europäischen Bauern, Sortenschützer und die unabhängigen kleinen Brauereien gemacht. Denn die sind der Ansicht, dass die Brau-Giganten zufällige Änderungen im Erbgut der Gerste patentieren möchten. Ein natürlicher Vorgang, den Pflanzenzüchter seit Tausenden von Jahren zur Selektion leistungsfähigerer Pflanzen nutzen.

„Eine Patentierung von Saatgut ist unserer Meinung nach gefährlich für die Lebensmittelproduktion, da nur mehr wenige große Konzerne die Rechte auf unsere natürlichen Ressourcen bekommen würden“, sagt Katherine Dolan, Leiterin Saatgut-Politik bei der Arche Noah, einem Verein zur Sortenerhaltung in Österreich.

Profitieren alle – oder wenige?

Beim jetzt gültigen Sortenschutz hat der jeweilige Saatguthersteller zwar das Recht auf einzelne Saatgutsorten, aber nicht auf ihre Nutzung zur Entwicklung neuer Sorten. Damit können Züchter ausgehend von diesen Pflanzen weiterzüchten und neue, verbesserte Sorten auf den Markt bringen – davon profitieren alle. Bei einem Patent wäre das unmöglich. Saatguthersteller müssten Lizenzen bei den Patentinhabern kaufen. Dolan warnt: „Das können sich die wenigsten dieser meist kleinen Unternehmen und schon gar kein einzelner Bauer leisten. Eine Patentierung würde den Fortschritt in der Pflanzenzucht verhindern.“

Gemeinsam mit anderen NGOs und kleinen Brauereien aus ganz Europa hat die Arche Noah daher beim Europäischen Patentamt Einspruch gegen die Patente von Heineken und Carlsberg eingelegt. Mit Erfolg, denn die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts hat die Patentansuchen wieder an die Prüfungsstelle zurückverwiesen.

Das Verfahren* muss neu gestartet werden. Mächtige Verbündete gibt es mit den europäischen Bauernvertretern. Denn auch die Landwirte sehen sich von einer drohenden Saatgut-Monopolisierung in ihrer Existenz bedroht. Anton Brandstätter, Geschäftsführer des Interessenverbands Saatgut Austria und im Österrei­chischen Bauernbund für die Saatgutpolitik zuständig, betont: „Wir sind für die Möglichkeit der Patentierung im Bereich der Gentechnik, aber sonst nicht.“

Die europäische Sortenschutzvereinbarung schützt neue Pflanzensorten effek­tiv – und erlaubt dennoch, dass andere Züchter auf diesen Sorten aufbauen und sie weiterentwickeln. Da klassische Pflanzenzüchtung rund zehn Jahre benötigt, bis eine neue Sorte auf den Markt kommt, hat jeder Züchter auch genügend Zeit, seine Forschungsinvestitionen wieder zurückzuverdienen. Das hat in Europa enorme Fortschritte in der Pflanzenzucht ermöglicht. „Bei einer Patentierung ist Weiterzüchten nur bei Bezah­lung von Lizenzen möglich. Das führt zu einer Monopolisierung, die wir entschieden ablehnen“, sagt Brandstätter.

Für Markus Liebl, Generaldirektor der österreichischen Brauunion, die zum Heineken-Konzern gehört, ist die Aufregung um die Braugerste nicht nachvollziehbar. „Da geht es rein um wissenschaftliche Forschung und nicht um die Praxis“, sagte er Ende April in einem Interview mit dem Radiosender Ö1. Es sei positiv, wenn an Getreidesorten und ihrer Verbesserung geforscht wird. Für die Praxis in Österreich seien die vom Mutterkonzern Heineken gemeinsam mit Carlsberg patentierten Gerstensorten unwichtig: „Wir verwenden die patentierten Gersten nicht. Unseren Bedarf erfüllen in Österreich zugelassene Braugerstensorten zur Gänze.“

Gesetz und technologischer Fortschritt

Der Fall zeigt exemplarisch, wie das Recht dem technologischen Fortschritt hinterherhinkt. Laut der seit den 1990er-Jahren gültigen EU-Biotechnologie-Richtlinie sind Patente auf Pflanzen nur zulässig, wenn die Züchtung durch gezielte genetische Eingriffe erfolgt – nicht durch natürliche Mutation.

Der Eingriff muss zudem jederzeit reproduzierbar sein, was bei natürlichen Mutationen nicht gegeben ist. Moderne Methoden wie CRISPR/Cas eröffnen eine Grauzone im Patentrecht: Mit ihnen lassen sich zufällige Mutationen gezielt nachbilden – und damit als technischer Eingriff deklarieren, was eine Patentierung ermöglicht.

Maria Krenn, Patentrechtsexpertin im Österreichischen Patentamt, sieht die Politik in der Pflicht: „Es gilt das Diskriminierungsverbot. Das heißt, dass grundsätzlich alles patentierbar ist, wenn es technisch, neu, erfinderisch und gewerblich anwendbar ist.“ Das betreffe auch Saatgut. Doch genau hier werde es heikel: Während gentechnisch verändertes Saatgut patentiert werden kann, ist die Rechtslage bei konventionell gezüchteten Pflanzen wie Braugerste weniger klar.

Blurred image background
 © Waltl&Waltl

Die Biopatentrichtlinie der EU sei bewusst offen formuliert worden, um eine breite Zustimmung der Mitgliedstaaten zu ermöglichen – doch diese Offenheit lasse heute zu viel Spielraum in der Auslegung. „Dieser feine Unterschied in der rechtlichen Betrachtungsweise hat schlussendlich auch Auswirkungen auf das Ja bzw. Nein, was die Patentierbarkeit der Braugerste betrifft“, erklärt Krenn.

Das Patentverfahren zur Braugerste wurde auf europäischer Ebene vorerst gestoppt – allerdings nicht inhaltlich, sondern wegen eines Verfahrensfehlers. Das Verfahren wurde zwecks Neubegutachtung an die Vorinstanz zurückverwiesen. Im Zentrum stehen sechs Verfahrens- und zehn Produktansprüche, die sich auf eine spezielle Gerstensorte (Triple-Null-Mutanten) beziehen.

Diese entwickelt im Brauprozess kaum Dimethylsulfid – eine geschmacklich unerwünschte Verbindung. Da bislang kein Stand der Technik genannt wurde, der diese Eigenschaften belegt, gilt eine Patentierung als wahrscheinlich. Weniger Chancen dürften die vier Produktansprüche auf das Getränk haben, das allein durch seinen niedrigen Dimethylsulfidgehalt definiert ist. Da es vergleichbare Produkte bereits gibt, ist eine Ablehnung dieser Ansprüche zu erwarten.

Österreich als Vorreiter

Angesichts der komplexen Rechtslage fordern Patentrechtsexperten und NGOs eine Anpassung des Rechtsrahmens an den Stand der Gen- und Biotechnologie. „Das Patentrecht ist ein technisches Schutzrecht – mit den Möglichkeiten der modernen Biotechnologie kommt es nur schwer zurecht“, sagt Maria Krenn.

Ein pauschaler Ausschluss bestimmter Erfindungen sei keine Lösung, denn dann würden Schutzgegenstände einfach anders formuliert. Gerade bei der Patentierbarkeit von Pflanzen bestehe noch erheblicher Klärungsbedarf. Österreich habe hier mit seiner strengeren Gesetzgebung eine Vorreiterrolle eingenommen.

Der Ruf nach klareren Regeln kommt nicht von ungefähr: Zahlreiche weitere Patentanträge auf Pflanzen sind bereits in Vorbereitung. Große Saatgutkonzerne und Agrarmultis beobachten das Verfahren zur Braugerste genau – und könnten bei einem positiven Bescheid nachziehen. Heineken und Carlsberg verweisen auf die verwendete Technologie und halten die Gerstensorten daher für patentierbar. Die Patentierung sei notwendig, heißt es, um eine rechtliche Grundlage zu schaffen, auf deren Basis Nutzungsgebühren verlangt werden können.

Lukratives Geschäft

Die Folgen dieser Patentpraxis lassen sich bereits beobachten: Unternehmen wie Bayer und Corteva haben Hunderte Patentanträge auf Pflanzen gestellt. Allein Corteva hält mit 1.430 Anträgen – meist auf Sorten aus Neuer Gentechnik – den weltweiten Spitzenwert. Die Biotech-Unternehmen argumentieren, Verfahren der Neuen Gentechnik seien natürliche, nicht nachweisbare Prozesse – und sollten deshalb nicht unter die EU-Kennzeichnungspflicht für Gentechnik fallen. Parallel bereiten sie neue Patentanträge vor, um technische Innovationen zu schützen und bestehende Regelungslücken im Patentrecht auszureizen.

Die Lizenzvergabe im Bereich der landwirtschaftlichen Biotechnologie ist ein lukratives, schnell wachsendes Geschäft. Corteva (früher Dow, DuPont und Pioneer) und Bayer (Eigentümer von Monsanto) kontrollieren bereits 40 Prozent des globalen industriellen Saatgutmarkts. Weltweit hat Corteva rund 1.430 Patente auf NGT-Pflanzen angemeldet, Bayer/Monsanto 119.

Beide Konzerne haben zudem umfassende Lizenzabkommen mit jenen Forschungsinstituten geschlossen, die die zugrunde liegenden Technologien entwickelt haben. Corteva dominiert nicht nur die Patentlandschaft bei NGT-Pflanzen, sondern ist auch der erste Konzern, der eine solche Pflanze in das EU-Zulassungsverfahren gebracht hat. Beim betreffenden Mais handelt es sich um eine patentierte Sorte, die gegen ein bestimmtes Herbizid resistent ist – entwickelt mit einer Kombination aus klassischer Gentechnik und der NGT-Methode CRISPR/Cas.

Blurred image background
 © Waltl&Waltl

Rechtliche Risiken

In der EU können Patente sowohl auf Produkte als auch auf Verfahren beantragt werden. Biotech-Konzerne sichern sich dabei nicht nur gentechnische Methoden, sondern auch die daraus resultierenden genetischen Merkmale. So hält Corteva etwa das Patent EP 2893023 auf ein Verfahren zur Genomveränderung und beansprucht damit geistige Eigentumsrechte an sämtlichen Pflanzen, Samen und Zellen, die diese „Erfindung“ enthalten, etwa in Brokkoli, Mais, Soja, Reis, Gerste oder Sonnenblumen („Product-by-Process“-Ansprüche).

Die Patentanträge sind oft bewusst weit gefasst, um einen möglichst umfassenden Schutz zu erzielen. Informationen, was in den Patenten enthalten ist, sind kaum zugänglich. Das erschwert es Züchtern, Landwirten und Produzenten zu erkennen, welche Eigenschaften patentiert sind, wofür Lizenzen nötig wären und wo rechtliche Risiken drohen.

Harter Interessenkampf

So ungern es Sortenschützer, Bauernverbände* und auch das zuständige Infrastrukturministerium hören – laut europäischem Patentrecht stehen die Chancen für eine Patentierung der Braugerste gut. Krenn: „Das Patentrecht teilt sich in drei Bereiche, in denen Patentschutz wirksam werden kann: Produkt, Verfahren und Verwendung. Wenn die Patenteinreichung in einem dieser Bereiche entspricht, muss ein Patent erstellt werden. Dazu sind Patentämter verpflichtet.“

Deshalb formiert sich Widerstand: NGOs, kleine Brauereien und Bauernverbände machen auch politisch mobil – im EU-Parlament und gegenüber der Kommission. Denn nur eine Erweiterung der EU-Biotechnologierichtlinie, die ein ausdrückliches Patentverbot für Pflanzen vorsieht, könnte eine Patenterteilung tatsächlich verhindern.

Das Europäische Patentamt selbst ist keine EU-Institution – ihm gehören auch Nicht-EU-­Staaten wie die Schweiz und Großbritannien an. Und in vielen dieser Länder sowie in EU-Staaten mit starker Pharmaindustrie fehlt das Interesse, die bestehende Richtlinie anzutasten.

Schlupflöcher schließen

„Die EU-Biopatentrichtlinie stammt aus den 1990er-Jahren und erlaubt Patente nur auf genetisch manipulierte Pflanzen“, erklärt Katherine Dolan. In der Praxis würden Konzerne und ihre Anwälte juristische Schlupflöcher nutzen, um auch konventionell gezüchtete – also nicht gentechnisch veränderte – Pflanzen patentieren zu lassen. „Wir fordern daher eine Verschärfung des Patentrechts, um solche Monopolisierungen zu verhindern.“

Doch die EU-Kommission und der Rat lehnen eine Änderung der Richtlinie bisher ab. Hinzu kommt: Das Europäische Patentamt ist keine EU-Institution, sondern agiert unabhängig. Um seine Praxis zu verändern, müsste das Europäische Patentübereinkommen geändert werden. Dafür müssten drei Viertel der 38 Mitgliedstaaten zustimmen, darunter Nicht-EU-Länder wie Großbritannien oder die Schweiz. „Diesbezügliche Verhandlungen auf allen Ebenen haben erst begonnen.“

Auch Christoph Then, Geschäftsführer des Gen-ethischen Netzwerks in Deutschland, fordert eine Reform der EU-Gesetzgebung – und einen freien Zugang zu allen Saatgutsorten für alle Züchter, um Pflanzen weiterentwickeln zu können. Mit einem Urteil rechnet er in den nächsten zwei Jahren. Er fordert zudem ein neues Gentechnikgesetz, das aktuelle biotechnologische Entwicklungen berücksichtigt. Entscheidend sei, dass das Patentrecht nicht den Sortenschutz ausheble und Züchtern weiterhin Zugang zu geschützten Sorten für die Weiterzucht offensteht.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 50/2025 erschienen.

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER