Warum der „Big Short“-Star seinen Hedgefonds schließt – und gegen Nvidia und Palantir wettet
Starinvestor Michael Burry, bekannt aus „The Big Short“, hat überraschend die Schließung seines Hedgefonds Scion Asset Management angekündigt. Seine Begründung: Er könne an den Börsen derzeit keine realistischen Bewertungen mehr finden und liege mit seiner Einschätzung „nicht im Einklang mit den Märkten“. Gleichzeitig wettet Burry mit millionenschweren Short-Positionen gegen die KI-Highflyer Nvidia und Palantir. Steckt dahinter Frust über einen überhitzten Tech-Markt – oder ein größeres strategisches Kalkül?
Abschied von Scion Asset Management – aus Frust über den Markt?
Mit einem Schreiben an seine Investoren vom 27. Oktober 2025 zog Michael Burry einen Schlussstrich unter seinen Hedgefonds. „Mit schwerem Herzen“ werde er die Fonds liquideren und den Anlegern ihr Kapital bis Jahresende zurückerstatten, abgesehen von einem kleinen Betrag für Prüfung und Steuern. In dem Brief räumt Burry ein, dass seine eigene Vorstellung von werthaltigen Investments schon seit einiger Zeit nicht mehr zur allgemeinen Marktlage passe: „Meine Einschätzung von Wertpapieren ist derzeit nicht – und war schon seit einiger Zeit nicht – im Einklang mit den Märkten“. Es klingt wie das Eingeständnis eines Börsenpessimisten, der sich von der Rally der KI-Aktien abgekoppelt fühlt.
Tatsächlich haben die großen Tech-Titel 2023/2024 eine schwindelerregende Entwicklung hingelegt. Künstliche Intelligenz gilt an den Börsen als nächstes großes Ding, und Unternehmen wie Nvidia – der Chiphersteller, dessen Grafikprozessoren die KI-Revolution befeuern – sowie Palantir – Anbieter von Datenanalyse-Plattformen mit KI-Fokus – zählen zu den größten Gewinnern dieser Euphorie. Nvidia erreichte zeitweise als erster Halbleiterkonzern eine Börsenbewertung von 5 Billionen Dollar und legte allein 2025 über 50 % Kursgewinn hin. Palantir wiederum stieg innerhalb weniger Jahre von Penny-Stock-Niveau zu einem über 400 Milliarden Dollar schweren Unternehmen auf; seit Anfang 2023 hat sich der Aktienkurs des Datenanalyse-Spezialisten laut Geschäftsberichten um das 28-Fache erhöht. Für Value-Investoren wie Burry scheinen derartige Bewertungen schwer nachvollziehbar – ein Grund, warum er nun offenbar die Reißleine zieht.
Burry selbst deutet an, dass persönliche und strategische Gründe hinter dem Schritt stehen. In seinem Abschiedsbrief bedankt er sich bei den Investoren und entschuldigt sich zugleich für den drastischen Entschluss. Branchenbeobachter sehen darin weniger einen endgültigen Rückzug als vielmehr den Übergang in ein neues Kapitel. „Burrys Entscheidung wirkt weniger wie ein ‚Aufgeben‘, sondern eher wie der Ausstieg aus einem Spiel, das er für grundlegend manipuliert hält“, interpretiert der Fondsmanager Bruno Schneller Burrys Schritt. Tatsächlich hat Burry die Registrierung seines Fonds bei der US-Börsenaufsicht SEC zum 10. November 2025 beendet – dadurch muss er keine regulären Portfolio-Berichte (13F-Filings) mehr veröffentlichen. Viele prominente Hedgefonds-Manager wandeln ihr Geschäft in solch geschlossene Familienfonds um, wenn sie keine Gelder Dritter mehr verwalten wollen oder den Regulierungsaufwand scheuen. Auch bei Burry dürfte dieser Aspekt eine Rolle spielen: In einem Post auf der Plattform X (Twitter) kündigte er an, es gehe „auf zu viel besseren Dingen ab dem 25. November“ – ein Hinweis, dass er im Hintergrund bereits an einer neuen eigenen Strategie arbeitet. Seinen bisherigen Anlegern empfahl er, sich künftig an seinen jungen Kollegen Phil Clifton zu wenden, den er als außergewöhnliches Talent lobt. Clifton gründete zeitgleich eine neue Investmentfirma namens Pomerium Capital. All das spricht dafür, dass Burry nicht das Handtuch wirft, sondern nur die Spielregeln ändert: Er verabschiedet sich vom regulierten Hedgefonds-Business und setzt künftig offenbar auf eigene Faust seine Überzeugungen um.
Short-Wetten gegen KI-Börsenlieblinge Nvidia und Palantir
Bemerkenswert an Burrys Kehrtwende ist, dass sie ausgerechnet auf dem Höhepunkt des KI-Booms kommt – und Burry diesen Hype frontal angreift. So offenbarten Scion Asset Managements jüngste Berichte erhebliche Wetten gegen Nvidia und Palantir. Laut dem offiziellen 13F-Portfolio-Report per Ende September 2025 hat Burry Put-Optionen auf 1 Million Nvidia-Aktien und 5 Millionen Palantir-Aktien gekauft. Diese Short-Positionen hatten zum Stichtag einen theoretischen Gegenwert (Notional) von rund 187 Millionen Dollar für Nvidia bzw. 912 Millionen Dollar für Palantir – zusammengenommen also über 1,1 Milliarden Dollar. Mit Put-Optionen sichert man sich das Recht, eine Aktie in der Zukunft zu einem festgelegten Preis zu verkaufen; sie gewinnen an Wert, wenn der Kurs des Basiswerts fällt. Burry setzte hier offenbar auf einen Kursrutsch der beiden Tech-Überflieger in den kommenden Jahren. Nach eigenen Angaben investierte er rund 9,2 Millionen Dollar in den Kauf von etwa 50.000 Palantir-Puts, die ihm bis 2027 einen Verkaufspreis von 50 Dollar pro Aktie garantieren – ein deutliches Signal, dass er Palantir auf lange Sicht für massiv überbewertet hält, denn zum Zeitpunkt des Deals notierte die Aktie bei weit über 170 Dollar.
Die große Short-Wette des Michael Burry weckt Erinnerungen an seinen legendären Coup während der US-Hypothekenblase 2008, der im Film The Big Short verewigt wurde. Doch richtet sich Burrys Skepsis diesmal gegen die KI- und Tech-Branche, die er für eine Blasenbildung anfällig hält. Er warnt seit Monaten vor exzessiver Euphorie: 75 % der Gewinne im S&P-500-Index seit Ende 2022 gingen allein auf KI-bezogene Aktien zurück. In einem Tweet zitierte Burry die Filmzeile „Sometimes the only winning move is not to play“ – manchmal sei es der einzige Gewinnzug, gar nicht mitzuspielen. Kurz darauf veröffentlichte er Charts, historische Vergleiche und sogar Star Wars-Meme, um zu verdeutlichen, dass der aktuelle KI-Boom Parallelen zur Dotcom-Blase der Jahrtausendwende aufweise. Seine Kernbotschaft: Viele Tech-Unternehmen könnten schon bald mit wachstumsbedingten Überinvestitionen und Ernüchterung konfrontiert werden – und die schwindelerregenden Bewertungen wären dann nicht haltbar.
Als fundamentale Begründung für seine Bedenken führt Burry zudem bilanzielle Ungereimtheiten an. Er beschuldigt die Tech-Giganten – von Microsoft und Google bis zu Oracle und Meta –, ihre milliardenschweren Investitionen in KI-Hardware (vor allem Nvidia-Chips und Rechenzentren) mit kreativer Buchführung schönzurechnen. Konkret wirft er ihnen vor, die Abschreibungsdauer für Server und Hardware künstlich zu strecken, um die ausgewiesenen Gewinne glattzubügeln. Seine Rechnung: Allein zwischen 2026 und 2028 könnten so Abschreibungen in Höhe von 176 Milliarden Dollar „versteckt“ werden, was die Gewinne der Branche in diesem Zeitraum entsprechend überhöht darstelle. Sollte Burry Recht behalten, wären die aktuellen Profitmargen vieler KI-Unternehmen also aufgebläht – ein riskantes Spiel, das irgendwann auffliegen könnte. Aus dieser Perspektive erscheinen seine Short-Engagements nicht wie blinder Pessimismus, sondern als warnender Fingerzeig auf mögliche Übertreibungen im Tech-Sektor.


Palantir CEO, Alex Karp
© IMAGO / Future ImageZwischen Zocker-Manöver und strategischer Absicherung
Burrys Offensive gegen Nvidia und Palantir hat in der Branche für Wirbel gesorgt – und prompt Gegenreaktionen provoziert. Palantir-Chef Alex Karp persönlich schoss in einem CNBC-Interview scharf gegen den prominenten Leerverkäufer. Es sei „völlig irre“ („batshit crazy“), genau auf jene Firmen zu wetten, „die das ganze Geld verdienen“, ätzte Karp mit Verweis auf die florierenden Geschäfte von Chipproduzenten und KI-Softwarehäusern. Er zeigte sich „getriggert“ davon, dass Short-Seller seine Firma ins Visier nehmen, und kündigte an, es solchen Spekulanten „heimzuzahlen“ – Palantir arbeite jetzt erst recht härter daran, Ergebnisse zu liefern und den Skeptikern Verluste zu bescheren. Tatsächlich konnte Palantir glänzende Zahlen vorweisen: Im dritten Quartal 2025 wuchs der Umsatz um 63 % auf 1,2 Milliarden Dollar, der Gewinn verdreifachte sich auf 477 Millionen. Karp unterstrich, Palantir leiste „edle Arbeit“ für die Gesellschaft und belohne nebenbei viele Kleinanleger, die auf den KI-Boom gesetzt haben. Die Marktkapitalisierung seines Unternehmens überstieg zuletzt die von Branchengrößen wie Costco oder Bank of America – Zahlen, die Burrys Untergangsszenario vorerst Lügen strafen.
Michael Burry ließ die öffentliche Spitze freilich nicht unbeantwortet. Auf X konterte er, es überrasche ihn „kein bisschen, dass Alex Karp und seine ganze ‚Ontologie‘ nicht einmal einen simplen 13F-Bericht verstehen“. Damit spielte Burry darauf an, dass die veröffentlichte Short-Position nur eine Momentaufnahme vom 30. September war – ob er die Wette überhaupt noch hält, bleibt sein Geheimnis. Tatsächlich deutete Burry per Tweet kurz nach Veröffentlichung der Zahlen an, dass er nicht mehr gegen Palantir short ist. In gewohnt kryptischem Humor schrieb er: „Fake News! Ich bin nicht 1,68 m groß“ – neben ein Foto, das ihn (recht groß) neben Schauspieler Christian Bale zeigt. Die Anspielung: „nicht short“ – weder körperlich noch finanziell. Begleitet war der Tweet mit einem Seitenhieb auf „falsche“ Journalisten, die 13F-Daten fehlinterpretieren. Börsianer vermuten, dass Burry seine Position sofort nach dem Kurseinbruch geschlossen hat: Palantir-Aktien fielen in den drei Tagen nach Karps Interview und der Quartalsbilanz um rund 15 % von $207 auf $175. Für Burry, der mutmaßlich günstigere Verkaufsoptionen hielt, dürfte dieser Rutsch zumindest einen Teilerfolg bedeutet haben. Nvidia büßte im gleichen Zeitraum etwa 7 % ein, der Nasdaq-Index erlebte seine schlechteste Woche seit Monaten – ein Wetterleuchten, das Burry in seinem Pessimismus bestärkt haben dürfte.
Ob Michael Burry seine Shorts auf die KI-Riesen letztlich als kurzfristiges Zocker-Manöver oder als längerfristige Absicherung verstand, bleibt offen. Bekannt ist, dass er parallel Call-Optionen – also positive Wetten – auf andere Branchen gesetzt hat, etwa auf den Öl-Dienstleister Halliburton und den Pharmakonzern Pfizer. Zudem hielt Scion zuletzt klassische Aktienbeteiligungen an konventionelleren Firmen wie Lululemon (Sportbekleidung), Bruker (Messtechnik) oder Molina Healthcare (Gesundheitsversicherung). Burry war also keineswegs voll auf Crash-Kurs, sondern suchte eine Balance: Hier Value-Titel und konservative Branchen – dort aggressive Absicherungen gegen Tech-Titel, die er für überteuert hielt. Dieses Gesamtbild deutet darauf hin, dass seine Short-Wetten Teil einer größeren Strategie waren, um sein Portfolio gegen einen möglichen Einbruch im Tech-Sektor zu wappnen, ohne komplett aus dem Markt auszusteigen.


Vivatech Fair 2025 in Paris, NVIDIA CEO Jensen Huang
© IMAGO / MAXPPPEin skeptischer Visionär verabschiedet sich (vorerst) von der Wall Street
Michael Burry hat Anlegern und Medien in den vergangenen Jahren ein Wechselbad der Gefühle beschert. Mal tauchte er monatelang ab, löschte seine Tweets, dann wieder kehrte er als mahnende Kassandra mit apokalyptischen Prognosen zurück – so auch zuletzt unter dem X-Pseudonym „Cassandra Unchained“. Die Schließung seines Hedgefonds markiert nun den vorläufigen Höhepunkt seiner Skepsis gegenüber den aktuellen Märkten. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Zum einen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen Burry schlicht keine unterbewerteten Chancen mehr sieht und eine gigantische Tech-Blase wittert. Zum anderen persönliche und strategische Motive: Burry entzieht sich mit dem Rückzug dem Druck der Öffentlichkeit und der Regulatoren, die seine Moves à la Big Short auf Schritt und Tritt beobachten – frei nach dem Motto: lieber im Verborgenen agieren als gegen den Strom schwimmen und dabei von allen Seiten kritisiert zu werden.
In der Tat erleben klassische Leerverkäufer aktuell eine schwere Zeit. Neben Burry hat dieses Jahr auch das berühmt-berüchtigte Short-Research-Haus Hindenburg Research entnervt aufgegeben und seine Pforten geschlossen – trotz aufsehenerregender Enthüllungen (u.a. über das Adani-Imperium in Indien) sah man sich schließlich mehr Gegenwind als Erfolg gegenüber. Jim Chanos, eine weitere Shortselling-Legende, klagte jüngst über fehlendes Verständnis an den Märkten, als er den Bitcoin-Investor Michael Saylor ins Visier nahm. Börsen, die scheinbar nur eine Richtung kennen, machen es contrarian Investoren denkbar schwer. Burry zieht daraus nun seine Konsequenz – aber vermutlich nur auf Zeit. Marktbeobachter wie Bruno Schneller rechnen fest damit, dass Burry in anderer Form wiederkommt: „Man sollte ihn nicht abschreiben. Er wird sich nur eine Weile im Verborgenen bewegen – möglicherweise als Family Office mit eigenem Kapital“. Das Datum 25. November hat Burry selbst als kryptischen Meilenstein genannt. Ob dann eine neue Investment-Idee von ihm das Licht der Welt erblickt oder ob es schlicht der offizielle Abschied von Scion Asset Management wird, bleibt abzuwarten.
Eines aber scheint klar: Michael Burry bleibt seiner Linie treu, gegen den Strom zu schwimmen. Indem er seinen Hedgefonds schließt und zugleich die Helden der KI-Rally ins Visier nimmt, unterstreicht er seinen Ruf als unbequemer Mahner an der Börse. Ob er diesmal richtig liegt oder dem Markt – wie zeitweilig in den letzten Jahren – erneut zu früh voraus war, wird sich zeigen. Fest steht: Burrys radikaler Schritt wirft ein Schlaglicht auf die extreme Stimmung an den Finanzmärkten. Zwischen Tech-Euphorie und Crash-Angst liefert der Mann hinter The Big Short damit den Stoff für das nächste Kapitel in der unendlichen Geschichte von Boom und Bust an der Wall Street.

