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Heini Staudinger: „Nicht deppert sein und schon bist du ein Rebell“

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15 min
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Heinrich „Steini“ Staudinger

©Matt Observe

Der Waldviertler Schuhproduzent Heinrich „Heini“ Staudinger legt sich wieder einmal mit dem System an und kündigt eine spektakuläre Finanz-Protestaktion gegen die Benachteiligung von regionalen Klein- und Mittelstandsunternehmen gegenüber internationalen Konzernen und Onlineplattformen an. Sein Motto: Gleiches Recht für alle.

Herr Staudinger, Sie sind ein erfolgreicher Unternehmer, gelten aber gleichzeitig als Kämpfer gegen das System und Rebell – wie kommt es zu dieser Zuschreibung?

Ich bin einmal gefragt worden: Wie wird man ein Rebell? Da musste ich wirklich erst kurz nachdenken – und dann habe ich gesagt: Es genügt schon einmal, nicht deppert zu sein –, und schon bist du ein Rebell (lacht). Den Mainstream und die Rahmenbedingungen der österreichischen Wirtschaft, die halte ich einfach für zerstörerisch.

Wie meinen Sie das?

Es gibt nicht den geringsten Zweifel, dass die österreichische Schuhindustrie zu den besten der Welt gehört hat. Kärnten zum Beispiel war eine Hochburg der Schuhindustrie – und heute? Heute ist alles kaputt. Nur noch ein Prozent der Schuhe, die in Österreich verkauft werden, werden noch hierzulande produziert. Es gibt nur mehr vier nennenswerte heimische Erzeuger. Normalerweise wird in Osteuropa produziert, zunehmend jedoch in Fernost. Das Thema internationale Abhängigkeit steht 2025 so sehr im Fokus wie noch nie. US-Präsident Trump hat das mit seinen Zöllen so richtig angeheizt.

Trifft Sie das?

Nein, wir liefern ja nur nach Deutschland und in die Schweiz. Es ist aber so, dass Schuhe von Herstellern wie Nike oder Adidas um zehn bis 20 Euro aus China rauskommen. Dann nehmen Sie beispielsweise einen Zoll von 145 Prozent, wie ihn sich Trump einfallen hat lassen, dann wären das bei zehn Euro 14,50 Euro Zoll. Da lachen ja die Hühner. In Österreich haben wir bei einem Schuh, der 180 Euro kostet, eine Abgabenquote von 80 Euro – in Form von Mehrwertsteuer, Lohnsteuer, Sozialversicherung, Pensionsversicherung und Kommunalsteuer. Und das in der Erzeugung, in der Verwaltung und im Verkauf. Und dann kommt ein Schuh um 20 Euro aus China – und die Abgaben betragen quasi null.

Eine klare Benachteiligung …

Ja. Von den 80 Euro Abgaben, die wir leisten, lebt ja unser System, die ganze Bürokratie und auch unser Sozialsystem, auf das wir so stolz sind. Und da frage ich mich schon: Warum hilft der Staat den Konzernen und nicht uns?

Inwiefern?

Es gibt ja eine riesige Paketflut – und wenn die Packerl schon zu uns kommen, dann sollten dafür zumindest dieselben Abgaben geleistet werden, die wir hierzulande zu leisten haben. Und wenn das nicht so ist, dann ist das eine mir völlig unverständliche Ungleichbehandlung. Jährlich kommen rund fünf Milliarden Pakete aus China in die EU. Laut einer stichprobenartigen Untersuchung der EU sind rund 65 Prozent der Packerl falsch deklariert, um Abgaben zu vermeiden oder zumindest zu vermindern. Zudem herrscht bis zu einem Wert von 150 Euro Zollfreiheit.

Wir fordern das System jetzt heraus und sagen: Falsch deklarieren können auch wir

Heinrich „Heini“ StaudingerUnternehmer

Das heißt, dem Staat, respektive der EU, entgehen enorme Summen?

Eine vereinfachte Rechnung: Nehmen Sie an, von den fünf Milliarden Paketen sind drei Milliarden falsch deklariert, und die Zollfreigrenze von 150 Euro ist ein wichtiger Grund dafür: Auf dieser Basis – drei Milliarden mal 150 – wäre das ein Umsatz von 450 Milliarden Euro – und die lösen normalerweise eine Mehrwertsteuersumme von 90 Milliarden Euro aus. Auf jeden Fall beträgt der Abgabenverzicht der EU gegenüber den Internetkonzernen Milliarden. Und auf das wird verzichtet, während wir von den Steuerbehörden mit eigentlich brutalen Methoden verfolgt werden. Deshalb fordern wir das System jetzt heraus und sagen: Falsch deklarieren können auch wir.

Und wie konkret?

Ganz konkret. Also, Sie stehen bei mir im Geschäft und kaufen einen Schuh um 180 Euro. Dann schlage ich Ihnen vor, sie bekommen ihn um 150 Euro, schreibe aber dafür eine Rechnung über 20 Euro. Das ist dieselbe Methode, wie sie die internationalen Versandriesen praktizieren – gleiches Recht für alle. Und dann nennen wir das Black Friday – Schwarzgeld am Freitag. Jedenfalls werden wir zum nächsten Steuerstichtag keine Mehrwertsteuer bzw. nur einen Teil an das Finanzamt überweisen.

Eine gewagte Aktion …

Wir haben etwas Ähnliches bereits 2019 mit der Mehrwertsteuerbefreiung von Paketen bis 22 Euro aus Drittstaaten gemacht, damals aber letztlich keine Anzeige und kein Strafverfahren bekommen. Deshalb werden wir jetzt die Mehrwertsteuer nicht einzahlen und gleichzeitig eine Selbstanzeige machen. Diese Ungerechtigkeit muss endlich groß thematisiert werden.

Für welche Produkte wollen Sie genau keine Mehrwertsteuer zahlen?

Auf Schuhe bzw. jene Produkte, in denen unser eigener Fertigungsanteil hoch ist. Es ist ein Drama, – vieles, was liebenswürdig ist in unserer Gesellschaft, ist arbeitsintensiv. Und weil auf den Arbeitskosten die höchsten Abgaben lasten, ist Arbeit diskriminiert. Arbeitsintensive Tätigkeiten wie die Herstellung von Schuhen oder Textilien, Gastronomie, Pflege usw.. Wenn bei uns eine Reparatur 60 Euro kostet, haben wir davon 30 Euro Staatsquote. Und um die 30 Euro kauft ein Diskonter fünf Paar neue Schuhe in China. Bei uns decken die 30 Euro in Wahrheit nicht einmal die Reparaturkosten ab; das ist eigentlich eine Subvention unsererseits an unsere Kunden. Aber es ist uns wichtig, dass der Schuh repariert wird.

Inwieweit tragen die Chinesen Schuld an dieser Entwicklung?

Wir haben absolut nichts gegen die Chinesen – die haben dieselben Sehnsüchte wie wir. Die Chinesen praktizieren jetzt das, was die Amerikaner und Deutschen gerne zusammengebracht hätten – eine Handelsdominanz. China war lange die billige Werkbank der Welt und hat dabei alles gelernt. Jetzt machen sie viele Dinge nicht nur gleich gut, sondern manches sogar besser als der Westen. Man denke nur an die Photovoltaikindustrie. Dramatisch wird es jetzt, weil es jetzt auch der europäischen Autoindustrie an den Kragen geht.

Schuhe sind für China also längst eine Nebensache?

Das billigste Produktionsland ist derzeit Äthiopien mit zehn Cent die Stunde. Auch wenn die Menschen dort billiger leben können als wir, so ist ein Monatslohn von 20 Euro doch eher Fluchtursache und nicht Lösung. Die Menschen dort sitzen mit ihrem Handy in Addis Abeba und sehen, was die Schuhe, die sie für den Weltmarkt herstellen, in Europa und den USA kosten. Das verstärkt die Fluchtursache.

Und wer ist Ihrer Meinung nach für diese Entwicklung verantwortlich?

Das sind schon die Rahmenbedingungen bei uns. Da handelt es sich um ein absolutes politisches Versagen. Es ist nicht einzusehen, warum wir für unsere Schuhe 80 Euro Staatsquote zu leisten haben, von diesen Abgaben lebt unser System. Die chinesischen Schuhe zahlen nichts. Das kann es nicht sein.

Und das bedeutet für Ihr Unternehmen?

Unser Leitspruch ist: Wir wollen ein sinnvolles Glied im Gelingen unserer Gesellschaft sein. Das ist uns sehr ernst. Das heißt, wir schaffen Arbeitsplätze in der Krisenregion Waldviertel, haben unsere GEA-Läden immer in den Ortskernen und sind in Schrems ein wesentlicher Tourismusfaktor. Von den 9.000 Nächtigungen kommen 8.000 von uns, weil wir auch einen Seminarbetrieb führen. In unsere GEA-Akademie kommen Gäste aus dem gesamten deutschsprachigen Raum und sorgen gewissermaßen auch für eine Verbundenheit des Waldviertels mit der Welt. Vor allem verlagern wir unsere Produktion nicht ins Ausland, nur damit wir unseren Gewinn steigern. Die Rahmenbedingungen machen uns das aber nicht einfach, sondern richtig schwer.

Das heißt in erster Linie die Besteuerung der Arbeitskosten?

Ja, aber nicht nur. Auch die momentane Regierung schafft es nicht, mutige Entscheidungen zu treffen: Das hieße beispielsweise die Probleme mit Müll, Verkehr und Energie anders angehen, aber um Gottes willen nicht, die Arbeit am höchsten zu besteuern. Sie schafft es nicht einmal, bei Beamtenpensionen mit mehr als 5.000 Euro im Monat die jährliche Inflationsanpassung auszusetzen. Bei uns im Unternehmen dagegen ist die kollektive Bescheidenheit eine Überlebensstrategie.

Sie bekennen sich ja auch zu einer möglichst nachhaltigen und ressourcenschonenden Produktionsweise. Kommen alle ihre Teile, die Sie verarbeiten, überhaupt aus Österreich?

Um 1900 gab es in der Stadt Wien bei zwei Millionen Einwohnern 15.000 Schuster; also ein Schuster auf gut 130 Personen. Und mittlerweile gibt es hierzulande keine einzige Gerberei, die Leder für Schuhe herstellt. Deshalb müssen wir das Leder aus Deutschland, Italien und der Türkei zukaufen. Das sind aber alles Gerbereien, die sich verpflichtet haben, so ökologisch wie möglich zu arbeiten. Das gilt auch für die in der Türkei. Grundsätzlich kaufen wir aber so regional wie möglich ein.

Zurück zur Falschdeklaration der Pakete der Onlineriesen. Wie soll da konkret Abhilfe geschaffen werden?

Jedes Paket einzeln zu überprüfen, ist unmöglich. Derzeit gibt es ja nur minimale Stichprobenkontrollen. Eine Möglichkeit wäre jedoch eine Paketgebühr bzw. -steuer. Man könnte ja zum Beispiel auf jedes Packerl eine 20-Euro-Stempelmarke kleben, das könnte dann leicht kontrolliert werden. Oder eben eine Plattformhaftung, wie sie auch der Handelsverband vorschlägt: In dem Fall würde bei Verstößen – auch was allgemeine EU-Standards betrifft – die jeweilige Onlineplattform europaweit delisted bzw. gesperrt werden.

Nachdem die USA die Zollfreigrenze für Warenimporte von 800 Dollar abgeschafft hat, sind dort die Umsätze der Fernostplattformen drastisch zurückgegangen, in Europa dagegen weiter gestiegen. Es gibt sicher verschiedene Möglichkeiten, gegen die systematischen Verstöße der Onlineriesen vorzugehen; wichtig ist jedenfalls, dass etwas passiert. Man kann es auch so sagen: Mit unserem Vorstoß wollen wir unserer Regierung auch helfen, mutigere Entscheidungen für unsere Gesellschaft zu treffen.

© Bild: Matt Observe

Steckbrief

Heinrich „Heini“ Staudinger

geboren
05.04.1953
Geburtsort
Vöcklabruck
Beruf
Unternehmer

Der gebürtige Oberösterreicher gründete 1980 in Wien-Josefstadt ein Schuhgeschäft, beteiligte sich an der Schremser Waldviertler Schuhwerkstatt und legte damit die Basis für das Unternehmen GEA. Bekannt wurde Staudinger aber nicht nur mit Schuhen, Möbeln und Naturmatratzen, sondern auch als Kämpfer gegen das System und seinen öffentlichen Konflikt mit der Finanzmarktaufsicht (FMA) über sein alternatives Finanzierungsmodell, bei dem er sich von Kunden Geld borgte, was von der FMA als Bankgeschäft betrachtet wurde. Damit gab er letztlich den Anstoß für das 2015 in Kraft getretene Crowdfunding-Gesetz. 2022 trat er bei der Bundespräsidentenwahl an und erreichte dabei 1,5 Prozent der Stimmen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 46/25 erschienen.

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