News Logo
ABO

Gletscherabbruch: Expertin für "Schutz unseres Lebensraumes"

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
10 min
Glaziologin Andrea Fischer verweist auf Häufung der Groß-Ereignisse
©APA, THEMENBILD, EXPA, JOHANN GRODER
Dass es zum Gletscherabbruch von Blatten kommen kann, hatte auch die Gletscherforscherin Andrea Fischer - im engen Austausch mit den Schweizer Kollegen - bereits im Blick. Gegenüber der APA spricht sie von einem vergleichsweise "wesentlich besser ausgebauten Messnetz für Permafrost und Massenbewegungen" in der Schweiz. Das Ereignis zeige aber auch auf: "Es geht um den Schutz unseres Lebensraumes." Die Tiroler Geographin Margreth Keiler sieht ebenfalls Handlungsbedarf.

von

Mit den Kollegen vom Schweizer Gletschermessnetz und vom Schweizer Permafrostmessnetz sei man "im permanenten Austausch", sagte Fischer. Im Vergleich zu der Schweiz seien in Österreich "nur sehr wenige Berggipfel oder Felsflanken mit Messgeräten bestückt", so die Glaziologin vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und "Wissenschafterin des Jahres 2023". Die Überwachung im Ost-Alpen-Raum, besonders im Hochgebirge, "wurde bisher noch nicht so stark instrumentiert". Einschätzungen basieren oft auf Kartierungen kleinerer Sturzereignisse oder Hinweisen der Bevölkerung und fachkundigen Personen: "Sie sehen oft Dinge, die dann an die Behörden weitergegeben werden, damit man eine Überwachung einleitet."

Satellitenbilder bzw. die "Radarinterferometrie" zur flächenhaften Bestimmung von großräumigen Bodenbewegungen funktioniere nur eingeschränkt, da es mitunter zur "ungünstigen Ausrichtung" der Flanken kommen könne. Bewegungen unter dem Eis sind sowieso nur schwer beobachtbar. Und: "Nicht jedes Ereignis hat zudem deutliche Vorzeichen", sagte Fischer. Bei den Modellierungen sei man sehr gut, es brauche Verbesserungen bei der Prognose, um Gefahrenstellen besser detektieren zu können.

Vielfach wird der Gletscherbergsturz im Schweizer Kanton Wallis als "Jahrhundertereignis" tituliert: "In meiner 25-jährigen Tätigkeit als Gletscherforscherin musste ich leider schon einige als Jahrhundert- oder Jahrtausendereignisse klassifizierte Events sehen", so Fischer. Es gebe einfach eine Häufung aufgrund des Klimawandels. Die statistische Einordnung dieser per se seltenen Ereignisse sei oftmals schwer: "Aber mit vier Ereignissen, die wir innerhalb nur weniger Jahre hatten, muss man hier mehr Augenmerk hinwenden und sich überlegen, wie wir damit umgehen."

Fischer erinnerte an die Groß-Ereignisse wie etwa den Felssturz am Tiroler Fluchthorn im Jahr 2023, bei dem etwa 1,5 Mio. Kubikmeter Masse abgingen. 2024 erfolgte der noch gewaltigere Felssturz am Piz Scerscen in der Schweizer Berninagruppe. 2017 hatte es bereits den Bergsturz von Bondo im Kanton Graubünden gegeben. Und nun eben jener von Blatten. "Ein Gebirge ist viel komplizierter als das Klimasystem, wenn man es berechnen möchte. Aber die Häufung von keinem auf vier Ereignisse in wenigen Jahren ist für mich ein Zeichen, dass hier der Klimawandel mitspielt", so Fischer.

In der Schweiz habe es historisch große Gletscherkatastrophen aufgrund der großen Sturzhöhen gegeben: "Die Schweizer Berge sind um 1.000 bis 1.500 Meter höher als die österreichischen." Siedlungen befinden sich unmittelbar unter dem Gletscher, "das gibt es in dieser Form bei uns mit dieser Topographie nicht". Hierzulande seien vor allem Flutwellen, die in Folge der Bergstürze entstehen könnten und die Talräume treffen, historisch ein Thema - so wie es derzeit in Blatten droht. Problematisch sei, dass heute die Siedlungsräume in der Nähe von Fließgewässern hierzulande stärker genutzt würden. Zudem gebe es mehr Infrastruktur im hochalpinen Raum, z.B. Straßen, Hütten und Staudämme, "die es so etwa um 1850 und früher noch nicht gab".

Auch das Bergmassiv Fluchthorn sei heute noch aktiv, so Fischer: "Es stellt sich immer auch die Frage, wie lange es braucht, bis das Gebiet wieder sicher ist. Es wird im Zuge des Klimawandels zu Ereignissen kommen, die es notwendig machen, dass wir Flächen, Wohnungen, Möglichkeiten schaffen, für Menschen, die an der Stelle, wo ihre Siedlungen für Jahrtausende sicher waren, nicht mehr leben können", so die Forscherin. Das sei historisch auch schon immer wieder passiert: "Aber wir müssen uns heute mit der großen Inanspruchnahme von Flächen neu darauf einstellen." Wichtig ist für sie zudem, das aktuelle Ereignis zum Anlass zu nehmen, um "ein Stück wieder wegzugehen von globaler Klimapolitik, sondern den Schutz unseres Lebensraumes stärker in den Blick zu nehmen". Auch in Anbetracht der Kosten, die mit dem Klimawandel verbunden sind: "Das sollte uns neue Energie und neue Kraft geben, um an den Klimazielen zu arbeiten. Es handelt sich um nichts Abstraktes und Globales, sondern es betrifft uns unmittelbar und sofort", so Fischer, die auch die Arbeit der Schweizer Behörden und Wissenschaft wie auch die Diszipliniertheit der Bevölkerung von Blatten und Umgebung lobte: "Das kann man sich nur als Beispiel nehmen."

Beim Ereignis von Blatten spielten bestimmte Grundbedingungen und verschiedene Faktoren zusammen, erklärte Margreth Keiler, die ebenfalls am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der ÖAW sowie am Institut für Geographie der Universität Innsbruck arbeitet. Es brauche unter anderem einen sehr hohen Gipfel und einen Gletscher "mit einer direkten Linie zu einem Gebirgsdorf" darunter: "Spontan wäre mir nicht eingefallen, wo wir in Österreich so eine Situation hätten, auch wenn ich nichts ausschließen kann."

Im Ötztal, Zillertal oder in Galtür gibt es laut der Expertin, die zehn Jahre an der Universität Bern tätig war, beispielsweise eine größere räumliche Distanz zwischen den Gletschern und den Siedlungspunkten. Generell seien "die Westalpen deutlich höher" und auch die Ortschaften höher gelegen als in den österreichischen Alpen, meinte auch sie im Gespräch mit der APA.

Den Klimawandel sieht die Forscherin nicht als direkten Auslöser solcher Ereignisse, sondern als eine von mehreren Komponenten. Der ständige Anstieg der Temperatur in den Alpen führe zum Tauen des Permafrosts, wodurch mehr Wasser in die Klüfte gelange, dort gefriere und wieder auftaue. Das wiederum erzeuge große Spannungen und lockere das Material: "Und dann wird irgendwann ein Schwellenwert erreicht, wo diese Massen brechen."

Im Hinblick auf den Klimawandel "müssen wir auf jeden Fall extrem rasch handeln, um die Emissionen zu reduzieren. Auch wenn wir auf Netto-Null kommen, werden wir in den nächsten 20 Jahren trotzdem Auswirkungen haben und es wird vermehrt zu großen Naturgefahren und Extremereignissen kommen", so Keiler unter Verweis auf einen Verzögerungseffekt.

Nicht vergessen werden dürfe laut der Expertin auch auf Kaskadeneffekte, wie Flutwellen, wenn beispielsweise das durch verschüttete Flussbetten aufgestaute Wasser keine Möglichkeit finde, sich einen Weg durch die Schuttmassen zu bahnen. In solch kritischen Situationen sei es auch nicht möglich, mit Baggern einen künstlichen Abfluss zu schaffen. Diese Kaskadeneffekte würden aktuell noch zu wenig berücksichtigt.

Das Risikomanagement beim Gletscherabbruch in der Schweiz habe gut funktioniert, es wurde rechtzeitig evakuiert. Eine extreme Herausforderung für die betroffene Gemeinde sieht Keiler nun in den sozialen Auswirkungen. "Wie geht man damit um, alles verloren zu haben? Wo werden die Personen leben? Und wie kann man das soziale Netzwerk aufrechterhalten?", gibt die Forscherin zu bedenken.

++ THEMENBILD ++ Glaziologin Andrea Fischer vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) bei einer Begehung des Jamtalferners am Donnerstag, 17. August 2023. Die gesamte hochalpine Landschaft um den einst massiven Eiskörper des Tiroler Jamtalgletschers ist in Bewegung. Das Tempo der Gletscherschmelze in den Ostalpen hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die einst massiven Eiskörper nahezu vor den Augen der Forscher zerbröseln. Der Jamtalgletscher wird in rund zehn Jahren größtenteils nicht mehr vorhanden sein.

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER