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Dual-Use - Weniger Berührungsängste bei österreichischen Unternehmen

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++ ARCHIVBILD ++ Drohnen sind aus der modernen Kriegsführung nicht wegzudenken
©APA, dpa, Felix Kästle
Verteidigung sei nicht bloß eine militärische, sondern eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit, werden europäische Politiker nicht müde zu betonen, seit die russische Aggression und die amerikanische Zurückhaltung die Notwendigkeit deutlich gemacht hat, sich künftig verstärkt um die eigene Sicherheit kümmern zu müssen. Das gilt auch für Österreich, wo nicht nur das Verteidigungsbudget erhöht wird, sondern auch immer mehr Firmen Sparten im Bereich "Defense" eröffnen.

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Wer an Österreichs Rüstungsindustrie denkt, dem kommt der Noricum-Skandal aus den 1980er-Jahren in den Sinn, als eine Tochterfirma der staatlichen VÖEST verbotenerweise Kanonen an die kriegsführenden Staaten Irak und Iran lieferte. Heute sind die Faustfeuerwaffenhersteller Glock und Steyr Arms und der Munitionshersteller Hirtenberger weltweit führende Unternehmen mit Sitz in Österreich. "Die österreichische Sicherheitswirtschaft erwirtschaftet 4,8 Milliarden Euro an Produktionswert, trägt mit 2,8 Milliarden Euro knapp ein Prozent zur Bruttowertschöpfung bei und sichert über 40.000 Arbeitsplätze direkt und indirekt", weiß der Vizegeneralsekretär der Industriellenvereinigung (IV), Peter Koren.

Laut Reinhard Marak von der Wirtschaftskammer Österreich haben die beiden von ihm geleiteten WKO-Arbeitsgemeinschaften Sicherheit & Wirtschaft und Industrielle Kooperation & Luftfahrttechnologie rund 170 österreichische Unternehmen als Mitglieder. Mittelbar sind es allerdings viel mehr: "Der Hersteller des Pandurs, General Dynamics European Land Systems Steyr in Wien Simmering, spricht von über 200 österreichischen Zulieferern für dieses Fahrzeug", erläutert Marak. "Und das österreichische Bundesheer hat zuletzt die Zahl von über 1.000 Lieferanten (inklusive Zulieferer) genannt." Gerade im Bereich der Komponentenzulieferung könnten nämlich "fast alle Technologien und Dienstleistungen auch militärisch genutzt werden", gibt er zu bedenken, "selbst beispielsweise die Semmeln, die der lokale Bäcker dem Bundesheer liefert".

Für Güter, die sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden können, wurde der Begriff Dual-Use eingeführt. Welche Güter darunter fallen, ist seit 1995 durch eine Verordnung der Europäischen Union geregelt. Die derzeit gültige Dual-Use-Verordnung wurde vor vier Jahren erlassen, trägt die Nummer 2021/821 und umfasst in der Druckversion 461 Seiten. Marak: "Diese Verordnung regelt den Export, die Vermittlung, die technische Hilfe, die Durchfuhr und die Verbringung von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck, also mit Gütern, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Die Verordnung enthält auch abschließende Listen von klar definierten genehmigungspflichtigen Gütern."

"Drohnen sind von Anfang an da genannt worden. Es ist nicht der Verwendungszweck, der sie zum Dual-Use-Gut macht, sondern die Tatsache, dass sie dort genannt sind", sagt Hannes Hecher, Geschäftsführer der Schiebel Elektronische Geräte GmbH. "Wir sind kein Militärgut. Wir wurden nicht dafür entwickelt. Es werden Drohnen aber in unserem täglichen Leben immer mehr State of the Art. Ich bezweifle, dass die Drohne an sich weiterhin als ein Dual-Use-Gut so drinnenbleiben wird."

Drohnen haben freilich das zeitgenössische Schlachtfeld revolutioniert und sind aus der modernen Kriegsführung nicht wegzudenken. "Das sind vollkommen unterschiedliche Kategorien. Das Problem ist: Es gibt dafür nur einen einzigen Begriff. Da fällt ein chinesisches Spielzeug, das sie auch zu Hause fliegen können, ebenso darunter wie eine DJI-Drohne, mit der sie Fotos aus der Luft machen, oder die First-Person View (FPV) Kamikaze-Drohnen wie wir sie jetzt in der Ukraine im Einsatz sehen und eigentlich eine Art von Munition sind. Dann gibt es ein mittleres Drohnensegment, in dem wir drinnen sind, die lange in der Luft bleiben können und mittlere Reichweite haben, und dann gibt es die Reaper, die ganz Großen, die wir von Afghanistan kennen und vom Irak. Die starten in England und sind 48 Stunden in der Luft. Alles das sind Drohnen - aber die Felder sind vollkommen unterschiedlich."

Vorzeigeprodukt von Schiebel mit Stammsitz in Wiener Neustadt ist der vor 25 Jahren entwickelte Camcopter S-100, ein rund drei Meter langer unbemannter Hubschrauber, der autonom oder ferngesteuert fliegen kann. Dass dieses Gerät auch für Militärs interessant ist, liegt auf der Hand. Die von Schiebel entwickelte Sensorik ließe sich vielfältig einsetzen, gibt Hecher zu - für die Landwirtschaft ebenso wie für die Küstenwache, modifiziert aber auch für die U-Boot-Abwehr oder die Suche nach Treibminen. "Und genau das ist das Interesse des European Defence Fund (EDF), wenn er ein Projekt auflegt zum Schutz von europäischen Gewässern." Dieser EU-Fonds verfügt für den Zeitraum 2021-2027 über ein Budget von fast 7,3 Milliarden Euro, wobei 2,7 Milliarden für die gemeinsame Verteidigungsforschung vorgesehen sind.

"Alle uns bekannten einschlägigen Forschungsprogramme auf EU- und nationaler Ebene (Horizon Europe, European Defence Fund, KIRAS und FORTE) sind klar abgegrenzt, entweder zivil oder militärisch", hält Reinhard Marak von der WKO gegenüber der APA fest. "Erst in letzter Zeit gibt es angesichts der veränderten Sicherheitslage Debatten darüber, ob unter den zivilen Forschungsprogrammen auch solche Projekte gefördert werden können, die auch militärisch genutzt werden können."

Als Wirtschaftstreibender wünsche er sich natürlich Erleichterungen, sagt Schiebel-CEO Hecher. "Dual-Use-Güter hatten es in der Vergangenheit schwer, an Finanzierungen heranzukommen, schwer, Exportunterstützung zu bekommen, schwer, Förderungen zu bekommen. Dual-Use war in allen drei Kategorien oft ein Ausschließungsgrund." Die Situation habe sich jedoch "massiv geändert. Dual-Use-Gut-Hersteller leiden nicht mehr so stark unter der Klassifizierung in der öffentlichen Meinung, und die Abgrenzung zum Militärgut wird fließend."

Deswegen hat man sich kürzlich dazu entschlossen, die Schiebel Defence GmbH in Wiener Neustadt und die Schiebel Aeronaval in Toulon, Frankreich, zu gründen. "Mit einer bewaffneten Variante gehen wir einen Schritt weiter. Das kann aber nicht mehr in der jetzigen Firmenkonstruktion entwickelt werden und bedarf einer ganz klaren organisatorischen Trennung. Hätten Sie mich vor drei Jahren gefragt, ob wir einmal ein militärisches Produkt entwickeln würden, hätte ich es kaum für möglich gehalten - und doch sind wir heute genau an diesem Punkt. Da war natürlich ein massiver Sinneswandel in Österreich und Europa der traurige Anlass. Wir sehen jetzt, dass Verteidigung per se nichts Schlechtes ist, sondern unser aller Überleben sichern könnte."

Auch der Deutsche Michael Mertin, seit 1. Mai CEO des österreichischen Leiterplattenherstellers AT&S, sieht "eine zunehmend aufgeschlossenere Diskussion der Bevölkerung und der Politik" diesen Themen gegenüber. Deswegen hat man sich auch bei dem Hochtechnologieunternehmen, das erst im Juni an seinem Hauptsitz in Leoben das europaweit erste Werk für die Forschung, Entwicklung und Produktion von IC-Substraten, dem wichtigsten Bestandteil moderner Hochleistungsmikrochips, eröffnet hat, dazu entschlossen, "das Portfolio um den Bereich Defense zu erweitern".

Für AT&S bedeute das "ein attraktives zusätzliches Geschäft, nicht das größte, aber eines, mit dem wir hoffentlich zur Sicherheit Europas und unserer Freunde beitragen können", versichert Mertin, der zunächst mit einem jährlichen Umsatz im mittleren zweistelligen Millionenbereich rechnet. "Im Dual-Use-Bereich gibt es in europäischen Staaten bereits Produkte von uns, die verteidigungsnahe eingesetzt werden. Wir werden das im nächsten Jahr deutlich ausweiten und dafür die entsprechenden Prozesse und Abläufe implementieren." Schließlich müsse man dann bestimmte Sicherheits- und Geheimhaltungsstandards erfüllen. "Das Unternehmen hält sich selbstverständlich an alle gesetzlichen Exportregularien."

Mertin bringt aus seiner Zeit bei Carl Zeiss und Jenoptik langjährige Erfahrung im Dual-Use-Bereich mit und weiß: "In sehr vielen Bereichen nimmt man zivile Produkte und entwickelt sie für den militärischen Bereich weiter, man macht sie robuster oder stattet sie mit einer anderen Energieversorgung aus." Das große Problem sieht er in den unterschiedlichen Stückzahlen. "Sie brauchen die Basis aus dem zivilen Bereich - und meist auch die Werke dazu. Für wenige militärische Stückzahlen allein können Sie keine eigene Produktion aufbauen. Mikroelektronik und hochwertige Leiterplatten, die für die Computerisierung im Verteidigungsbereich benötigt werden, sind ein klassisches Dual-Use-Thema."

Die weit fortgeschrittene Spezialisierung in dem sensiblen Bereich habe auch dank der Fertigungsstätten in Österreich das Interesse der Sicherheitsindustrie geweckt. "Da wir im High-End-Bereich die Einzigen in der westlichen Welt sind, die so etwas können, ist das natürlich interessant." Ohne zivile Standort- und Forschungsförderung wäre dieser Fortschritt nicht möglich gewesen, räumt der CEO ein: "Wir haben Förderungen erhalten, um Werke zu bauen und um solche Produkte weiterzuentwickeln. Wenn man Geschwindigkeit in militärischen Anwendungen haben will - gerade bei kleinen Stückzahlen -, lohnt sich eine gezielte Förderung."

Die Industriellenvereinigung setzt sich jedenfalls dafür ein, die Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung im Dual-Use-Bereich gezielt zu verbessern. Der Zugang österreichischer Unternehmen und Forschungseinrichtungen zu europäischen Programmen wie EDF und SAFE soll erleichtert werden", fordert IV-Vizegeneralsekretär Peter Koren und wünscht sich eine nationale Koordinationsstelle, die Förderberatung sowie Strukturhilfe bietet. "Ebenso wichtig sind Förderlogiken, die duale Technologien nicht strukturell benachteiligen, sondern ihren sicherheits- und wirtschaftspolitischen Mehrwert anerkennen."

(S E R V I C E - Ein Themenschwerpunkt zu "Dual-Use: Forschung im Graubereich?" ist auf APA-Science abrufbar unter https://go.apa.at/JHV3RgvB)

MARKDORF - DEUTSCHLAND: ++ ARCHIVBILD ++ (ARCHIVBILD VOM 2.2.2017) - FOTO: APA/dpa/Felix Kästle

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