von
APA: Sie leiten eine Taskforce der IV zur österreichischen Verteidigungsindustrie. Was war der konkrete Anlass, was waren die Ziele - und welche Ergebnisse gibt es?
Peter Koren: Die Taskforce "Security & Defence Industry" der Industriellenvereinigung ist vor dem Hintergrund einer sicherheits- und industriepolitischen Zeitenwende entstanden: Europa rüstet sicherheitspolitisch auf, neue EU-Instrumente für Verteidigungskooperationen entstehen, gleichzeitig war Österreichs Industrie in vielen Programmen unterrepräsentiert und der heimische Rechtsrahmen häufig unklar oder bremsend.
Vor diesem Hintergrund verfolgte die IV-Taskforce drei zentrale Ziele: Erstens sollte die Ausgangslage der österreichischen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie faktenbasiert analysiert werden. Zweitens ging es darum, jene rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Hürden zu identifizieren, die eine stärkere Beteiligung österreichischer Unternehmen erschweren. Und drittens sollte ein konkreter Aktionsplan mit klar formulierten, umsetzbaren Empfehlungen erarbeitet werden.
Das vorgelegte Aktionspapier bündelt zehn Maßnahmen für den Aufbau einer nationalen Verteidigungsindustriebasis, für klare rechtliche Grundlagen für Industriekooperationen, für vereinfachte und beschleunigte Genehmigungsverfahren, Rechtssicherheit im Neutralitätsrecht oder eine stärkere europäische Kooperation über gemeinsame Beschaffungen und Förderprogramme.
APA: Welche Rolle spielt Forschung in dem Zusammenhang? Gibt es Überlegungen, den Zugang zu Forschungsförderungsmitteln für auch militärisch nutzbare Bereiche zu erleichtern?
Koren: Forschung und Innovation sind aus Sicht der IV das Rückgrat einer modernen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Viele Schlüsseltechnologien, von Sensorik und Kommunikation über KI, Cybersecurity und Raumfahrt bis zu neuen Materialien, sind per se Dual-Use, also sowohl zivil als auch militärisch nutzbar. Deshalb setzt sich die IV dafür ein, die Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung im Dual-Use-Bereich gezielt zu verbessern. Dazu gehören mehrere Bausteine: Der Zugang österreichischer Unternehmen und Forschungseinrichtungen zu europäischen Programmen wie EDF und SAFE soll erleichtert werden. Zusätzlich fordern wir eine nationale Koordinationsstelle, die als "Single Point of Contact" fungiert und Förderberatung sowie Strukturhilfe bietet.
Ebenso wichtig sind Förderlogiken, die duale Technologien nicht strukturell benachteiligen, sondern ihren sicherheits- und wirtschaftspolitischen Mehrwert anerkennen. Kurz gesagt: Ja, es gibt ganz bewusst Überlegungen, den Zugang zu Forschungsförderung für auch militärisch nutzbare Technologien zu erleichtern - immer eingebettet in ein klares rechtliches und ethisches Rahmenwerk.
APA: Gibt es konkrete Initiativen, Forschung für zivile und militärische Anwendungen durchlässiger zu machen?
Koren: Die Industriellenvereinigung verfolgt hier den Grundsatz, Brücken zu bauen. Zu den vorgeschlagenen Initiativen gehört erstens eine deutlich stärkere Nutzung europäischer Dual-Use-Programme. Österreichische Unternehmen und Forschungseinrichtungen sollen aktiv in europäische Konsortien eingebunden werden, unterstützt durch gezieltes Matchmaking.
Zweitens fordert die IV den Aufbau nationaler Koordinations- und Service-Strukturen, etwa eines professionellen Fördercoachings und einer transparenten Förderdatenbank, die insbesondere Dual-Use-Projekte sichtbar macht und institutionell begleitet.
Drittens wollen wir Berührungsängste in der zivilen Forschungslandschaft abbauen. Ziel ist es, klar zu kommunizieren, dass es nicht um eine Militarisierung der Forschung geht, sondern um demokratisch kontrollierte sicherheits- und verteidigungspolitische Anwendungen, deren Bedeutung angesichts der globalen Lage erheblich wächst. Damit wird Forschung nicht "militarisiert", sondern verantwortungsvoll in beide Richtungen nutzbar gemacht.
APA: Wie sind Sie in dem Zusammenhang mit der derzeitigen Regelung für Dual-Use-Güter zufrieden - die ja auf eine taxative und verbindliche Liste zurückgeht?
Koren: Die EU-Dual-Use-Verordnung basiert auf einer verbindlichen, detaillierten Güterliste und strengen Genehmigungsverfahren. Grundsätzlich unterstützt die Industriellenvereinigung diesen Ansatz, da er sensible Güter klar definiert und damit ein hohes Maß an Sicherheit gewährleistet.
In der praktischen Anwendung zeigen sich jedoch drei zentrale Problemfelder: Erstens bestehen erhebliche Komplexitäten und Unsicherheiten, da Unternehmen häufig Schwierigkeiten haben, ihre Produkte eindeutig zu klassifizieren und die jeweiligen Genehmigungsanforderungen verlässlich einzuschätzen. Zweitens sind die Verfahren oftmals langwierig und schwer planbar, insbesondere wenn mehrere Rechtsregime - etwa Kriegsmaterialrecht, Militärgüterlisten und Dual-Use-Regelungen - gleichzeitig zur Anwendung kommen. Drittens fehlen praxistaugliche Leitlinien, die Unternehmen insbesondere im Spannungsfeld von Neutralitätsrecht und ESG-Vorgaben Orientierung bieten würden.
Wir plädieren als IV daher nicht für eine Reduktion der Kontrolle, sondern für mehr Klarheit, Effizienz und Rechtssicherheit. Dazu zählen eine präzisere Auslegung des Neutralitätsrechts, klare Exportleitlinien für Unternehmen sowie der gezielte Ausbau von Allgemeingenehmigungen und vereinfachten Verfahren, ohne die immerwährende Neutralität Österreichs infrage zu stellen.
APA: Wie viel Bewegung sehen Sie derzeit bei österreichischen Unternehmen, sich im Defence-Bereich stärker zu engagieren?
Koren: Im Vergleich zu früher sehen wir heute deutlich mehr Dynamik. Die steigenden Verteidigungsbudgets europäischer Staaten und die Ausweitung europäischer Sicherheits- und Verteidigungsprogramme haben das Interesse vieler Unternehmen geweckt. Dennoch zeigen IV-Analysen, dass österreichische Firmen in diesen Programmen weiterhin unterrepräsentiert sind und ein struktureller Aufholbedarf besteht.
Viele Unternehmen evaluieren derzeit, wie sie ihre bestehenden zivilen Kompetenzen, etwa in den Bereichen Luftfahrt, Sensorik, Softwareentwicklung, Mechatronik oder Werkstofftechnik, auf sicherheits- und verteidigungsrelevante Wertschöpfungsketten übertragen können. Dabei stoßen sie jedoch weiterhin auf Hemmnisse wie Rechtsunsicherheiten, unklare Finanzierungs- und ESG-Rahmenbedingungen sowie ein traditionell zurückhaltendes politisches Umfeld. Die Bereitschaft ist gewachsen und das Potenzial ist erheblich - doch ohne klare Rahmenbedingungen kann dieses Potenzial nicht vollständig ausgeschöpft werden.
APA: Weltpolitisch hat sich Enormes getan, die Verteidigungsindustrie boomt. Wo steht Österreich und die heimische Industrie in dieser Entwicklung?
Koren: Weltweit erleben wir eine deutliche Expansion der Verteidigungsbudgets. Viele europäische Staaten haben bereits das NATO-Zwei-Prozent-Ziel erreicht oder sogar überschritten. Österreich hat hier begonnen aufzuholen: Die Militärausgaben lagen lange unter einem Prozent des BIP, stiegen 2024 dann auf ein Prozent und sollen bis 2032 schrittweise auf zwei Prozent anwachsen.
Die österreichische Sicherheitswirtschaft erwirtschaftet 4,8 Milliarden Euro an Produktionswert, trägt mit 2,8 Milliarden Euro knapp ein Prozent zur Bruttowertschöpfung bei und sichert über 40.000 Arbeitsplätze direkt und indirekt. Im internationalen Vergleich bedeutet das: Österreich überzeugt in zahlreichen technologischen Nischen, etwa als hochspezialisierter Zulieferer oder High-Tech-Anbieter. Gleichzeitig besteht Nachholbedarf bei Sichtbarkeit und Beteiligung an großen europäischen Programmen und Wertschöpfungsketten. Die Industriellenvereinigung sieht die sicherheits- und verteidigungsrelevante Industrie daher als integralen Bestandteil einer modernen Industrie-, Standort- und Innovationspolitik.
APA: Sind allfällige Bedenken, zivile Forschungsergebnisse sollten nicht militärisch genützt werden, "Schnee von gestern" angesichts der Weltlage - oder hat es in Wahrheit eh nie eine Abschottungsmöglichkeit gegeben? Die Verzweiflung über die militärische Nutzung des Dynamits brachte den Chemiker Alfred Nobel einst dazu, die Nobelpreise zu stiften ...
Koren: Ethische Bedenken hinsichtlich militärischer Nutzung ziviler Forschung sind keineswegs überholt. In einer liberalen Demokratie muss die Frage nach dem Einsatz von Technologien immer ernsthaft und transparent behandelt werden. Gleichzeitig zeigt ein Blick in die Geschichte und Gegenwart der Technologieentwicklung, dass eine strenge Trennlinie zwischen zivilen und militärischen Anwendungen kaum praktikabel ist. Von der Luftfahrt über die Satellitentechnik bis zur Informationstechnologie haben viele zentrale Innovationen stets beiden Bereichen gedient.
Wir sind daher für eine realistische und verantwortungsvolle Anerkennung dieser Dual-Use-Realität. Dieses Prinzip umfasst klare Regeln, Transparenz und Kontrolle, insbesondere durch Exportkontrollrecht, Neutralitätsrecht, internationales Recht und demokratische Aufsicht. Ebenso setzt die IV auf strenge Compliance-Prozesse in Unternehmen und klare Leitlinien seitens des Gesetzgebers, um eine verantwortungsvolle Nutzung von Forschungsergebnissen zu gewährleisten. So soll Österreich den sicherheitspolitischen Anforderungen der Gegenwart gerecht werden, ohne dabei seine rechtsstaatlichen und ethischen Grundsätze zu gefährden.
(Die Fragen stellte Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Aktionspapier der IV-Taskforce "Security & Defence Industry": https://go.apa.at/aliLJpQd; Themenschwerpunkt zu "Dual-Use: Forschung im Graubereich?" auf APA-Science abrufbar unter https://go.apa.at/JHV3RgvB)
++ HANDOUT/ARCHIVBILD ++ ZU APA0096 VOM 17.12.2025 - Peter Koren, Vizegeneralsekretär der österreichischen Industriellenvereinigung, auf einem undatierten Archivbild. (UNDATIERTES ARCHIVBILD)
