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Berger bewies nach "Im Westen nichts Neues" und "Konklave" einmal mehr auf eindrückliche Weise, dass er ein Meister der großen Inszenierung ist. Eine überzogene und derart opulente Inszenierung, die auch Bergers Neigung widerspiegelt, seine Filme bis zur Maximalstufe aufzudrehen - unterstützt von Volker Bertelmanns wuchtigem Score und einem aufdringlich lauten Sounddesign.
Der Film, der auf dem gleichnamigen Roman von Lawrence Osborne basiert, erzählt die Geschichte vom selbst ernannten Lord Doyle (Colin Farrell), der im Glitzerkorsett Macaus seiner Spielsucht erliegt. Hier verbringt er seine Tage und Nächte in den Casinos, lässt sich volllaufen und verspielt das wenige Geld, das er noch hat.
Als ihm seine Schulden über den Kopf wachsen, kreuzt sich sein Weg mit zwei verwandten Seelen, die der Schlüssel zu seiner Rettung sein könnten. Die geheimnisvolle Casinoangestellte Dao Ming (Fala Chen) scheint ihm seinen moralischen Kompass zurückzugehen, während ihm die Privatdetektivin Cynthia Blithe (Tilda Swinton) dicht auf den Fersen ist, um seine Schulden zu begleichen und ihn stets mit den Dingen konfrontiert, vor denen er wegläuft.
Der Film handelt aber nur indirekt von Spielsucht. "Es ist eigentlich ein Film über Spiritualität und die Suche nach einem eigenen Weg in einem Leben voller Entscheidungen", erklärte Berger in San Sebastián. Seine Figur sei jemand, "der seinen Weg verloren hat und am Rande der Leere lebt, ohne moralischen Kompass, unter einem Mantel aus Lügen und Süchten. Mir gefiel das Drehbuch, weil es keine konventionelle Erlösungsgeschichte ist, sondern vielmehr das Porträt eines Menschen am Rande der Bedeutungslosigkeit, der durch Begegnungen insbesondere mit der Figur der Dao Ming beginnt, seine Fehler zu erkennen", ergänzte Colin Farrell.
Farrells großartige Darstellung ist ohne Zweifel das Herzstück des Films: verletzlich, charmant und doch auf erschreckende Weise leer. Virtuos stellt er eine buchstäblich verlorene Seele dar, die Höllenfahrt eines Mannes, der den Boden unter den Füßen verloren hat und sich nach Erlösung sehnt, ohne es selbst zu wissen.
Dafür ist Macaus glitzernde Casinowelt die perfekte Bühne. Mehr noch: "Macau ist praktisch ein Protagonist im Film. Es ist ein elektrisierender Ort, ein Angriff auf die Sinne, mit helleren Lichtern, höheren Springbrunnen und intensiveren Farben als jede andere Stadt. Alles im Film - die Farben, die Musik, die Atmosphäre - entspringt dieser Energie. Dieser Überfluss an Fülle war der perfekte Kontrast zu unserem Protagonisten, einem verlorenen Mann auf der Suche nach spiritueller Wiederentdeckung", erklärte Edward Berger.
Wie sich der Protagonist im schrillen Luxus und Neon-Überschwang der Stadt verliert, verliert sich aber auch Berger in schrillen stilistischen Exzessen. Die Bildergewalt, die wuchtige Musik und das Sounddesign sind derart dominant und überzogen, dass die visuelle und akustische Reizüberflutung emotionale Tiefe überlagert. Ob "Ballad of a Small Player" die Jury überzeugen kann, die am Samstagabend die Goldene Muschel vergibt, bleibt also abzuwarten.
Es ist bereits das zweite Mal, dass sich Berger in der nordspanischen Küstenstadt auf dem Festival von San Sebastián um die Goldene Muschel bewirbt. Vergangenes Jahr trat er mit seinem Vatikan-Thriller "Konklave" im offiziellen Wettbewerb an, ging damals aber leer aus.
Der Film zeigt aber, dass Berger ein cleverer, kommerziell denkender Regisseur ist. Sein Mix aus Drama, Thriller und surrealen Fieberträumen, der ab 29. Oktober auf Netflix verfügbar ist, entspricht ganz dem Geschmack der großen Filmstudios, die Regisseure lieben, die eine große Performance liefern und sicher zwischen Genres, Sprachen und Schauplätzen wechseln können. Auch deshalb dürfte man wohl mit Berger Gespräche führen, die Dreharbeiten zum sechsten "Bourne"-Film zu übernehmen.
(Von Manuel Meyer/APA)
(S E R V I C E - www.sansebastianfestival.com)