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"Die Briefe könnten unspektakulär erscheinen, wenn man sie an den konfliktbeladenen Korrespondenzen mit Paul Celan oder mit Max Frisch misst", schreibt Hans Höller in seinem Vorwort. "Doch geht es in Bachmanns Briefwechsel mit Heinrich Böll um das Gegenteil, um die Vermeidung von persönlichen Konflikten. Denn beide wollen, vom Literaturbetrieb vereinnahmt, in der freundschaftlichen Zuneigung und Nachsicht ihre Selbstachtung bewahren und sich über die Vermarktung des Schreibens, dem sie das gelebte Leben zum Opfer bringen, austauschen."
Böll und Bachmann lernten einander im Mai 1952 in Niendorf an der Ostsee kennen, als die 25-jährige Österreicherin erstmals an einer Tagung der Gruppe 47 teilnahm und mit einer Gedichtlesung samt Schwächeanfall gehörig Eindruck hinterließ. Das erste der 122 nun publizierten Korrespondenzstücke (58 stammen von Bachmann, 64 von Böll) ging im Dezember von Bachmann an den "lieben Heinrich" und war eine Antwort auf einen verloren gegangenen Brief, mit dem Böll die Korrespondenz eröffnete und sich darin wohl für eine Rezension Bachmanns einiger seiner Kriegserzählungen in der österreichischen Kulturzeitschrift "Wort und Wahrheit" bedankte.
"In Bachmann-Biographien kommt Böll nur am Rande vor, das Gleiche gilt für Bachmann in Böll-Biographien", heißt es in dem Renate Langer herausgegebenen und mit einem umfangreichen Fußnoten- und Anmerkungsapparat versehenen Band, der nun eine langjährige Freundschaft zwischen dem um neun Jahre älteren deutschen Autor und der ihn bald in der öffentlichen Aufmerksamkeit überflügelnden jungen Kollegin belegt. Bachmann begegnet dem Älteren mit Respekt und lässt sich in etlichen Fragen des Umgangs mit Verlegern gerne beraten. Denn so verschieden die Lebensumstände der beiden sind (Böll schlägt sich als Familienvater mit Hausbau und Geldsorgen herum, Bachmann sucht die Unabhängigkeit und strebt gen Süden), so ähnlich sind ihre täglichen Probleme im Literaturbetrieb.
Die Frage "Was machen wir bloss aus unserem Leben?", die Bachmann im Februar 1956 aufwarf, in der Folge in den Briefen von beiden Seiten mehrfach angesprochen wurde und dem Band auch den Titel gegeben hat, haben Böll und Bachmann unterschiedlich beantwortet. Private Enthüllungen oder umfangreiche poetologische Debatten sucht man in der Korrespondenz vergeblich. Der letzte Brief ist eine förmliche Einladung Heinrich Bölls an Ingeborg Bachmann im Juli 1972 zu einer Tagung "Sport und Nationalismus".
Am 17. Oktober 1973 sitzt Böll gerade an einem Brief an seinen Freund Lew Kopelew, als er die Nachricht vom Tod Ingeborg Bachmanns und die umgehende Bitte des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" erhält, einen Nachruf zu verfassen. Der Text ist in dem Band erhalten. "Ich denke mit Schmerz an sie, mit Zärtlichkeit und in Freundschaft, und ich denke an die siebenundvierzigjährige Frau wie an ein Mädchen, und ich wehre mich gegen etwas, das leicht gesagt ist: der Tod habe sie erlöst", heißt es darin. "Nein, diese Art der Erlösung suchte sie nicht; ich würde sie gern selber fragen, ob ich mich täusche."
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll: "Was machen wir aus unserem Leben? Der Briefwechsel". Herausgegeben von Renate Langer. Mit einem Vorwort von Hans Höller. Suhrkamp Verlag, Piper, Kiepenheuer & Witsch, 488 Seiten, 45,30 Euro)
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