Erfahren Sie, warum bei Zotter Grammeln, Blut oder sogar Schnitzel in die Praline kommen, wie Familie Zotter das Bean‑to‑Bar‑Unternehmen nachhaltig führt und welche Ideen die nächste Generation für Klima, Tierwohl und Schoko‑Innovation hat.
Essen Sie gerne Schokolade?
Julia Zotter: Natürlich. Wenn ich in der Produktion bin, komme ich auf ca. acht bis zehn verschiedene Stück Schokolade, das ergibt eine bis zwei Tafeln pro Tag.
Wie halten Sie Ihre Figur?
Ich trainiere, damit ich essen kann. Ich trainiere regelmäßig: Krafttraining und Kampfsporttraining – eine Art Kung Fu. Und ich fahre mit dem Rad den Weg von mir zu Hause in Feldbach die acht Kilometer hierher in die Arbeit.
Welche Schokolade haben Sie am liebsten?
Hmmmm, schwere Frage. Das ist bei mir wirklich stimmungs- und wetterabhängig. Heute ist es eher kühl und bewölkt, da esse ich entweder eine sehr fruchtige, zitruslastige Schokolade oder eine sehr mollige. Die Schokoladen, die wir gerade neu herausbringen, sind besonders spannend – die probiere ich die ganze Zeit. Und die Underdogs.
Was sind Underdogs?
Zum Beispiel die Algen-Karamell-Ananas-Schokolade, unsere am schlechtesten verkaufte handgeschöpfte Schokolade. Ich mag sie irrsinnig gerne. Sie ist sehr komplex und hat einen schönen Spannungsbogen. Sie hat ein karamellig-fruchtiges Vorspiel, im Hauptakt kommen die Ananas und die schmelzige Textur stärker zum Vorschein. Erst am Ende zeigen sich die Algen, das ist leicht umami und salzig. Wenn man die Schokolade nicht achtsam isst, merkt man die Algen gar nicht, dann schmeckt sie wie eine normale schöne Ananas-Karamell-Schokolade. Nur wenn man sie langsam schmelzen lässt und die karamellisierten Algenstücke langsam auszuzelt, erschließt sich die Schokolade voll und ganz.
Wird die Algen-Karamell-Ananas-Schokolade noch verkauft?
Ja, schon. Aber es kann sein, dass sie einmal am Ideenfriedhof landet, weil neue schräge Schokoladen kommen. Vor Kurzem haben wir die Schnitzelpraline entwickelt. Daraus wird vielleicht eine neue Schokolade.
Ist da wirklich Schnitzel drinnen?
Wir haben das Schnitzel in seine Einzelteile zerlegt. Karamell-Nougat vermittelt die Röstaromen, dazu kommen Butterbrösel, ein bisschen Waffelkrokant für das Knusprige, natürlich muss auch getrockneter Zitronensaft sein. Grammeln repräsentieren das Schnitzel, neu ist die „Fleischwolle“. Ein Schweinsfilet, das vom langsamen Kochen ausgefasert wurde und dann in einer speziellen Sojasaucemischung langsam gebraten wurde. Sieht aus wie Zuckerwatte. Wir salzen auch Eidotter ein und Pommes kommen in Form hauchdünner Kartoffelchips in Milchschokolade gedreht.
Wie lange hat die Produktentwicklung gedauert?
Im Prinzip wenige Minuten. Ich habe mit meinem Vater darüber nachgedacht – und dann gehen die Ideen wie bei einem Pingpongspiel hin und her. Wir können eine Idee gar nicht ganz langsam über Monate entwickeln.
Wie viele neue Schokoladen kommen pro Jahr?
Das ist ein Streitthema. Wir haben ja mittlerweile fast 700 und es werden jedes Jahr mehr. Wir tun uns schwer, alte rauszunehmen. Heuer gibt es zwei neue Produktlinien und bei den handgeschöpften Schokoladen kommen jedes Jahr zwischen fünf und zehn neue heraus.
„Die Sautanz-Schokolade enthält Grammeln und Blut, das abgekocht wird. Wenn man es langsam zum Stocken bringt, entsteht so eine schöne seidene Struktur in der Ganache.“
— Julia Zotter
Wie viele Ideen sind auf dem Friedhof gelandet?
In unserer gesamten Karriere haben wir 2000 Rezepte entworfen, die gedanklich am Friedhof liegen.
Gibt es eine Kombination, die für Sie gar nicht geht?
Auch ein Streitthema (lacht). Ich bin nie mit der Kombi Ananas und Paprika zurechtgekommen, mein Vater steht voll drauf. Es gibt kaum etwas, was wir nicht in das Sortiment bringen. Etwa Fisch – und sogar Schnecken. Man muss nur die richtige Schokolade als Basis dafür finden.
Welche anderen schrägen Schokoladen fallen Ihnen noch ein?
Die Sautanz-Schokolade mit Grammeln und Blut, das abgekocht wird. Wenn man es langsam zum Stocken bringt, entsteht so eine schöne seidene Struktur in der Ganache.
Gibt es Lieblingszutaten?
Meine Kolleg*innen meinen, dass in meinen Adern Karamell fließt. Es lässt sich super mit anderen Zutaten kombinieren und ich habe die Textur so gern. Seit Jahren scheitere ich allerdings an einem veganen Karamell, das zäh ist und nicht auskristallisiert.
Stimmt es, dass die Grammelschokolade der Ausgangspunkt für die Entwicklung der Schokoladen- und Tierwelt in Riegersburg war?
Die „GrammelNuss“ war unsere erste richtig arge Schokolade, die um 2001 entstanden ist. Die österreichische Desserseele meinte damals, dass es fast blasphemisch ist, Grammeln in Schokolade zu tun. Nur in Süddeutschland hat sie perfekt funktioniert. Wir haben uns gefragt, warum. Bis wir draufgekommen sind, dass die deutschen Kunden einfach nicht wussten, was Grammeln sind. Sie glaubten, es seien Nüsse. So haben wir gelernt, dass die Sorte geschmacklich kein Problem hat, sondern bloß vorurteilsbehaftet ist. Das war der Anstoß für die Idee, das Running Chocolate und das Schokoladen-Theater zu verwirklichen. Dort kann man die Schokoladen probieren, auch wenn sie auf den ersten Blick arg wirken.
Funktionieren auch die schrägen Schokoladen im Verkauf oder sind sie mehr ein Liebkind von euch?
Sie brauchen definitiv länger. Wir haben das Glück, dass wir sie länger mitziehen können, bis sie sich etablieren.
Sie wollten einmal Astronautin werden?
Meine Eltern haben mich nie dazu gedrängt, die Firma weiterzuführen. Astronautin zu werden, war bis zu meinem 15. Lebensjahr ein ernstes Thema für mich. Der Umschwung kam, als wir die Schokoladenherstellung auf bio und fair umgestellt haben. Seitdem können mein Bruder und ich uns nichts vorstellen, was cooler oder besser wäre.
Ihre Familie hat einen Tiergarten mit Rindern, Wasserbüffeln, Schweinen, Schafen u.v.m. Sie waren beim Schlachten mancher Tiere dabei. Was war das für eine Erfahrung?
Schwierig. Ich persönlich denke: Wenn ich Fleisch essen will, sollte ich einmal dabei gewesen sein. Selbst geschlachtet habe ich Hühner, Gänse und Truthähne. Wenn dich ein Tier anschaut und dir vertraut und ich mir denke: Okay, jetzt mache ich es – diesen Schritt zu machen, ist hart. Danach hat man wirklich viel Respekt und mir ist es wichtig, das ganze Tier zu verwerten.
Das Unternehmen Zotter ist seit Jahren auf Erfolgskurs. Hatten Sie auch Tiefen?
Tiefen gehören zum Unternehmertum dazu. Mit 25 bin ich nach Shanghai gegangen, um ein Geschäft aufzubauen. Eine sehr harte Zeit. Ich war oft auf mich allein gestellt und hatte viel weniger Erfahrung als jetzt. Auch zwischen meiner chinesischen Kollegin und mir war es wegen kultureller und charakterlicher Unterschiede ein langes Zusammenraufen. Wir wollen beide das Gleiche, aber auf unterschiedliche Art. Der Aufbau hat gut begonnen, aber meine Geschäftspartnerin ist in das Unternehmen hineingewachsen und ich konnte die Führung an sie übergeben. Loszulassen war für mich anfangs schwierig. Ich musste lernen, nicht alles mikromanagen, sondern die anderen Erfahrungen und Fehler machen zu lassen.
Wie sieht es mit dem Loslassen bei Ihrem Vater aus?
Mein Vater möchte nächstes Jahr in Pension gehen. Die Verantwortung wird zwar auf mich übergehen, aber die Zusammenarbeit wird noch immer da sein. Das ist das Schöne in einem Familienunternehmen.
Sind Sie immer einer Meinung mit Ihrem Vater oder gibt es Reibflächen?
Wir kommen sehr gut miteinander aus, haben eine ausgezeichnete Gesprächs- und Streitkultur. Wir sind nicht immer einer Meinung, aber wir wollen nicht auf Biegen und Brechen etwas durchsetzen. Man lässt gewisse Themen einfach ein paar Tage liegen und redet dann weiter. Auch mit meinem Bruder komme ich super aus. Wir könnten aber nicht miteinander wohnen. Er ist die Ordnung und ich bin das Chaos.
Sie haben Ihren Vater einmal als Verrückten bezeichnet.
Das lässt sich schwer abstreiten. Aber ich finde „verrückt“ sehr positiv. Immer wieder kreiert er eine Schokolade, die wahnsinnig verrückt wirkt, aber eigentlich mit der Zeit geht – meistens weiß es die Zeit aber noch nicht.
Wie sehen Sie die klimatische Entwicklung der Erde?
Derzeit sind andere Probleme dringender, aber auch zeitbegrenzter. Der Klimawandel dagegen wird uns langfristig betreffen. Es gibt noch viel zu tun, aber ich bin optimistisch. Ich glaube, dass wir durch den Klimawandel kommen werden. Was wir uns aber fragen müssen: Wie wird unsere Welt dann aussehen und wie kommen wir damit zurecht?
„Immer wieder kreiert mein Vater eine Schokolade, die wahnsinnig verrückt wirkt, aber eigentlich mit der Zeit geht – meistens weiß es die Zeit aber noch nicht.“
— Julia Zotter
Julia Zotter (Steckbrief)
Jahrgang 1987, ist die Älteste in der zweiten Generation von „Zotter Schokolade“, die ihr Vater Josef Zotter in Bergl bei Riegersburg gründete und aufbaute. Julia wuchs mit Schokolade auf und kennt jede Station des Unternehmens ganz genau. Zotter Schokoladen ist ein weltweiter Pionier am Bean-to-Bar-Schokoladenmarkt. Die Produkte begeistern mit höchster Qualität, sind oft schrill, manchmal auch provokant. Bio und fair sind Grundwerte; Julia kümmert sich auch um ökologisch nachhaltige und sozial verantwortliche Produktion. Sie spricht sechs Sprachen (u. a. Chinesisch, Spanisch, Portugiesisch) und besucht Kakaobauern regelmäßig vor Ort.
www.zotter.at