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Tichanowskaja und Tichanowski wollen weiterkämpfen

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Tichanowskaja und Tichanowski setzen Kampf fort
©APA, HERWIG HÖLLER
Jahrelang hat die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja wiederholt, dass das Regime in Minsk ihren Mann Sergej im Gefängnis völlig isoliere und sie nichts über sein Befinden wisse. Seit seiner überraschenden Freilassung am 21. Juni ist dies anders: In einem gemeinsamen Interview mit der APA machte das Ehepaar Ende der Woche in Vilnius klar, den Kampf für ein demokratisches Belarus fortzusetzen. Tichanowski selbst gab sich nach fünf Jahren Haft ungebrochen.

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"Ich habe von Sergejs Freilassung erfahren, als er mich an jenem Tag von der litauischen Seite der belarussisch-litauischen Grenze anrief", erzählte Tichanowskaja in der litauischen Hauptstadt. Freilich habe sie gewusst, dass sich ihr Gatte auf einschlägigen Listen befinde, und auch erwartet, dass es im Zusammenhang mit dem Treffen des US-amerikanischen Sondergesandten Keith Kellogg mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko zu Freilassungen kommen werde. Aber auch die Amerikaner hätten bis zum Ende nicht gewusst, wen das Regime in Minsk konkret freilassen würde.

Er habe im vergangenen Jahr erstmals gehört, dass er in Freiheit kommen könnte, sagte seinerseits Tichanowski. Seit August hätten ihn zunächst Bürokraten besucht, seit Jänner auch Mitarbeiter des KGB sowie der zum Regime übergelaufene Blogger Roman Protassewitsch, dessen Verhaftung aus einer zur Landung in Minsk gebrachten Linienmaschine 2021 für einen diplomatischen Skandal gesorgt hatte.

"Man hat mir gesagt, dass ein Gefangenenaustausch vorbereitet wird und ich da berücksichtigt werden soll", erklärte er. Auch im Hinblick auf eine Freilassung sei ihm kurz vor Neujahr sein Ehering entzogen worden, offiziell als Teil zur Kompensation von zehn Millionen Dollar Schaden, den Oppositionsdemonstrationen im Jahr 2020 verursacht hätten und für die er trotz seiner Inhaftierung allesamt verantwortlich gewesen wäre.

Konkretes habe sich im Gefängnis Nummer 8 in der Stadt Schodino jedoch erst am Tag vor seiner Freilassung abgezeichnet. Er sei zum Packen seiner Sachen aufgefordert worden und nach dem Verlassen seiner Zelle seien ihm ein Sack über den Kopf gestülpt, Handschellen angelegt und er vom KGB abtransportiert worden. "Ich habe verstanden, dass ich entweder gefoltert werden soll, um irgendwelche Aussagen zu machen, zur Zusammenarbeit gezwungen werden soll oder in Freiheit komme", erzählte Tichanowski, der in Folge in das als unter der Bezeichnung "Amerikanerin" bekannte wie berüchtigte KGB-Gefängnis in Minsk gebracht wurde.

In der "Amerikanerin" sei ihm dann offenbart worden, dass er freigelassen werden solle. Nachdem er aus Freude begonnen habe, sein populäres Wahlkampflied aus dem Jahr 2020 zu singen, in dem von einstürzenden Gefängnismauern die Rede ist, sei er aufgefordert worden, dies zu unterlassen. In seiner Zeit im Gefängnis Nummer 8 in Schodina, in dem er in Einzelhaft gehalten worden sei, keine Briefe empfangen konnte und auch Probleme hatte, Zahnbürsten zu bekommen, wäre derartiges Singen zu gefährlich gewesen. "Sie hätten mich zu einem Innenhof führen können, der für Erschießungen verwendet wird", erzählte Tichanowski.

Der 46-Jährige, der vor seiner Verhaftung im Mai 2020 als Blogger bekannt war und zunächst selbst als Präsidentschaftskandidat hatte antreten wollen, dies jedoch dann zwangsläufig seiner Frau überlassen musste, ist nach Jahren im Gefängnis sichtlich gealtert und hat Gewicht verloren. Sein gesundheitlicher Zustand sei jedoch besser als erwartet, kommentierte er. Freilich seien noch weitere Analysen ausständig. "Hier gibt es aber eine europäische Bürokratie. Es war schwieriger, einen Arzttermin zu bekommen als etwa den polnischen Präsidenten Andrzej Duda zu treffen", klagte er.

Trotz des Erfolgs von Donald Trumps Sondergesandtem Kellogg, der durch seinen Besuch in Minsk neben Tichanowski auch 13 weitere Belarussen in Freiheit brachte, plädieren die Eheleute unisono für keine Zugeständnisse an das Regime in Minsk ohne grundlegende politische Veränderungen sowie die Aufrechterhaltung von Sanktionen. "Lukaschenko ist ein politisches Tier und hat das schon hundert Mal gemacht, Gefangene entlassen, um Sanktionen loszuwerden", erklärte Tichanowskaja.

Explizit rät sie hochrangigen europäischen Politikern ab, nach Minsk zu reisen, Lukaschenko derart zu legitimieren und zu einer "Business as usual"-Politik zurückzukehren. "Wir haben auch dem österreichischen Bundeskanzler Christian Stocker beim Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Tirana im Mai unsere Haltung erläutert", sagte die Oppositionsführerin. Für jene Unterstützung der belarussischen Zivilgesellschaft, die Österreich in den letzten fünf Jahren geleistet habe, sei man sehr dankbar, betonte sie.

Im Interesse Europas sei es jedenfalls, dass Belarus ein Mitglied der europäischen Familie werde und dass die politischen Grenzen Europas östlich von Belarus verliefen, erklärte Tichanowskaja. Ihr Heimatland solle daher nicht nur aus einem humanitären Blickwinkel, sondern auch im Zusammenhang mit Sicherheitsfragen gesehen werden. Würden Sanktionen abgeschafft und Lukaschenko nachgegeben werden, bliebe er doch jener Politiker, der Russland diene und das Land auch für etwaige russische Angriffe zur Verfügung stellen würde.

Konkrete Pläne für eine Reise nach Österreich haben Tichanowskaja und Tichanowski einstweilen nicht. "Ich werde kommen, wenn mich die österreichischen Belarussen und Belarussinnen einladen", erklärte Tichanowski, der auch von einem vergangenen Aufenthalt mit seiner Gattin in Wien erzählte. Insbesondere erinnerte er sich daran, dass eine amerikanische Fastfood-Kette anders als in seiner Heimat in Österreich auch Bier ausschenkte. Was er nicht beobachten konnte: Während seiner Haftzeit hat diese Kette Belarus verlassen und hat dort auch alle ihre Restaurants geschlossen.

(Das Gespräch führte Herwig G. Höller/APA)

Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja mit ihrem kürzlich freigelassenen Mann Sergej Tichanowski (r.) in einem Interview mit der APA-Austria Presse Agentur in Vilnius am Freitag, 4. Juli 2025.

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