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Die Atommacht Indien macht die Atommacht Pakistan für den Anschlag verantwortlich, bei dem am Dienstag vergangener Woche im beliebten Urlaubsort Pahalgam im indischen Teil Kaschmirs 26 Touristen erschossen wurden. Die pakistanische Regierung bestreitet jegliche Beteiligung. Die Region im nördlichen Himalaya ist seit der Unabhängigkeit Indiens und Pakistans 1947 geteilt. Beide Länder beanspruchen Kaschmir für sich und führten bereits zwei Kriege um das Gebiet.
Seit dem Anschlag liefern sich Soldaten beider Seiten Schusswechsel im Grenzgebiet. Die Spannung zwischen den beiden Atommächten ist gefährlich hoch. Pakistan droht, auf jede Aggression Indiens zu reagieren.
"Viele Inder fordern Vergeltungsmaßnahmen gegen Pakistan", sagt Praveen Donthi von der Denkfabrik International Crisis Group (ICG). Zudem stehe die Regierung in der Kritik, unfähig zu sein, die Zivilbevölkerung zu schützen. "Die Inder haben sofort mit einer Eskalation gegenüber Pakistan begonnen", beobachtet Mélissa Levaillant vom Thinktank European Council on Foreign Relations (ECFR). "Aber was genau wollen die Inder eigentlich? Das ist nicht ganz klar, vor allem weil die pakistanische Unterstützung für terroristische Gruppen doch stark zurückgegangen ist."
Die aktuelle Situation erinnert an 2019, als in Pulwama im indischen Teil Kaschmirs bei einem Anschlag 40 indische Paramilitärs getötet wurden. Die Verantwortung dafür übernahm Jaish-e-Mohammed (JeM), eine pakistanische Islamistengruppe, die angeblich Verbindungen zum pakistanischen Auslandsgeheimdienst hat. Indien flog daraufhin zum ersten Mal seit dem Krieg von 1971 Luftangriffe gegen das Nachbarland. Pakistan schoss ein indisches Flugzeug ab und nahm einen Piloten gefangen.
"Damals wurde die Lage schließlich auch dank des diplomatischen Drucks durch Washington entschärft", sagt Analyst Donthi. Ob sich die US-Regierung auch heute derart einsetzen würde, ist fraglich. "Die USA haben mit der Ukraine, Gaza und dem Atomabkommen mit dem Iran genug zu tun, was Peking eine Chance bieten könnte, sich einzumischen", befürchtet Colin Clarke vom Soufan Center, einer Denkfabrik in New York. "Aber angesichts der engen Beziehungen Chinas zu Pakistan ist es wenig wahrscheinlich, dass Indien China als objektiven Vermittler sieht."
Mit der Regierung von US-Präsident Donald Trump "besteht die Gefahr, dass sich die USA weniger engagieren", sagt auch Levaillant. "Ihre Beziehung zu Pakistan hat sich verschlechtert, und Islamabad ist kein strategischer Trumpf mehr im Umgang mit den Taliban in Afghanistan."
Wie sich der Konflikt entwickeln wird, ist den Experten zufolge völlig offen. "Es ist unklar, ob Indien militärisch gegen seinen Nachbarn vorgehen wird", sagt Donthi. Noch halte der Waffenstillstand an der Demarkationslinie, die beide Länder trennt. "Aber Neu-Delhi könnte sich zu einem Angriff entschließen, vor allem, wenn es sich durch die weltweite Unterstützung nach dem Anschlag ermutigt fühlt."
Levaillant hält es für "wahrscheinlich, dass beide Armeen Truppen zusammenziehen werden. Aber wir stehen noch ganz am Anfang der Krise, und es gibt noch viele Unbekannte". Eine Ungewissheit, die nicht gerade beruhigend ist: "Manchmal, vor allem zwischen langjährigen Gegnern, bekommt die Trägheit die Oberhand (...) und macht die Situation viel gefährlicher", warnt Clarke. Zumal beide Länder Atombomben besitzen. Eigentlich ist deren Einsatz seit 1945 tabu, aber der russische Präsident Wladimir Putin drohte im Krieg gegen die Ukraine seit 2022 immer wieder damit.
"Es gibt einen enthemmten globalen Kontext, der zeigt, dass sich die roten Linien beim Thema Atomwaffen tatsächlich verschieben", stellt Levaillant fest. Im konkreten Fall "ist das Eskalationsmanagement riskant, da die pakistanische Nukleardoktrin sehr unklar ist". Die Inder könnten jedoch versuchen, "diese Doktrin auf die Probe zu stellen und zu zeigen, dass sie sich ein Stück Territorium aneignen können, ohne dass die Pakistaner zurückschlagen".