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Die Krankheit, die vor allem durch Infektionen ausgelöst wird, hat schon vor der Corona-Pandemie zehntausende Menschen in Österreich betroffen. Durch die hohe Zahl an Covid-Infektionen hat sich die Zahl der ME/CFS-Patienten und -Patientinnen stark erhöht und damit auch die Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt. Trotzdem - und trotz der offiziellen Anerkennung der Krankheit durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits im Jahr 1969 - herrscht nach wie vor ein eklatanter Versorgungsmangel für die Betroffenen, wie die ÖG ME/CFS auch am Montag neuerlich betonte.
Unter dem Motto "unversorgt seit 1969" werden zwischen 16.00 und 18.00 Uhr wieder Feldbetten am Heldenplatz aufgestellt, die symbolisch für die schwerkranken Patienten stehen. Am Abend werden Sehenswürdigkeiten in ganz Österreich zur Awarenesssteigerung blau beleuchtet. Zu den teilnehmenden Standorten gehören neben dem Wiener Riesenrad auch die Lichtdecke am Wiener Praterstern, die Donaukanalbrücken und der Hochstrahlbrunnen in Wien sowie das Wiener Volkstheater.
In Graz erstrahlen der Uhrturm und das Orpheum Graz in Blau, in Linz das ARS Electronica Center und das Lentos Kunstmuseum, in Salzburg das Schloss Mirabell und der Kongress Salzburg. Lichtinstallationen gibt es u.a. auch beim Goldenen Dachl in Innsbruck, beim Lindwurm in Klagenfurt und am Klangturm St. Pölten.
"ME/CFS ist sicher in den vergangenen Jahren mit viel Einsatz von Betroffenen-Organisationen wie der ÖG ME/CFS bekannter geworden", so Hainzl gegenüber der APA. Dennoch höre man viel zu oft: "Das kenne ich gar nicht". Für die Aufklärungsarbeit brauche es neben den ehrenamtlich tätigen ME/CFS-Erkrankten, die "teilweise aus den Betten heraus" und "mit letzter Kraft" einen Protest organisieren, auch den Einsatz von gesunden Menschen - "und vor allem öffentlich finanzierte Aufklärung in großem Maßstab".
Mittlerweile gäbe es zwar mehr Forschung, mehr Aufklärung und Fortbildungen. Auf der anderen Seite würden sich aber Dogmen halten - "und das war die Überzeugung der psychosomatischen Ursache bei ME/CFS jahrzehntelang", verwies Hainzl auf das Abschieben der somatischen Krankheit auf die Psyche.
Für ME/CFS-Betroffene habe sich in ihrem Alltag bis heute kaum etwas verändert, so die Patientenvertreterin. "Es gibt immer noch keine Behandlungsstellen, keine Versorgungsstrukturen - und um soziale Absicherung müssen die Patientinnen und Patienten immer noch jahrelang gerichtlich kämpfen." Betreffend der gesundheitlichen Versorgung höre man "immer wieder die Ausrede, dass die Forschung noch keine Heilung bietet und daher keine Behandlungszentren geschaffen werden können" - ein Punkt, der Hainzl besonders verärgert.
Denn es gebe "viele Erkrankungen, die noch nicht heilbar sind", trotzdem lasse man diese nicht einfach "völlig medizinisch unversorgt, sondern schafft spezialisierte Stellen, um Symptome zu managen und Lebensqualität zu erhalten". Dies brauche es auch für ME/CFS. "Alles andere ist unmenschlich und einer modernen Gesellschaft unwürdig." Medizinisch sei ein Großteil der ME/CFS-Betroffenen "de facto unversorgt", verwies Hainzl auf nur "eine Handvoll Privatärzte und -ärztinnen, die sich mit dem Thema beschäftigen", viele davon könnten keine neuen Patientinnen und Patienten mehr annehmen.
Dass Patienten mit ME/CFS große Probleme bei der sozialen Versorgung haben - etwa bei der Beantragung von Berufsunfähigkeits-/Invaliditätspension bzw. Rehageld sowie Pflegegeld -, habe auch eine vergangene Woche von APA, ORF und der Rechercheplattform Dossier veröffentlichte Recherche gezeigt, so Hainzl. Von den seitens Betroffener zur Verfügung gestellten und dann ausgewerteten Anträgen wurden in Summe 79 Prozent von der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) abgelehnt. Seitens der Gutachter wurden teils veraltete Diagnosen gestellt und die Ursprungsdiagnose ME/CFS oder Post Covid fand im überwiegenden Teil der ausgewerteten Gutachten (56 Prozent) gar keine Berücksichtigung.
"Seit Jahren machen wir auf die gravierenden Missstände aufmerksam, die bei der Absicherung von ME/CFS-Betroffenen herrschen. Wir haben Berichte und Fälle an die Politik übergeben, Ansuchen zur Gesetzesänderung gemacht und Maßnahmen im Nationalen Aktionsplan zu PAIS mitformuliert. Trotzdem gibt es bis heute keine konkreten Schritte." Stattdessen werde die Situation oft verharmlost oder kleingeredet, sagte Hainzl.
Die ÖG ME/CFS beobachte seit Jahren, dass die Expertise zu ME/CFS bei Gutachterinnen und Gutachtern "weitgehend fehlt" und "Betroffenen gesagt wird, dass sie nicht krank seien". Immer wieder sei von Verantwortlichen auch zu hören, dass es aktuell zu wenig Forschungsergebnisse zum Beispiel zu Biomarkern, Ursachen oder zu wirksamen Medikamenten gibt, um Betroffene abzusichern. "Für uns ist das kein Grund, Menschen mit ME/CFS völlig im Stich zu lassen", betonte die Patientenvertreterin. Für andere Erkrankungen sei so eine Argumentation "undenkbar".
Auch zeige diese, womit Betroffene in deren Alltag konfrontiert seien: "Während im Gesetz steht, dass Absicherung bei Krankheit unabhängig von der Ursache auf Basis der vorliegenden Symptome zugestanden werden soll, stellt man ME/CFS immer wieder infrage und lehnt dabei Unterstützung trotz schwerer Symptome oft ab."
Die vielfachen Verweise der Politik auf die Selbstverwaltung der PVA, aufgrund derer man kein Durchgriffsrecht hätte, lässt Hainzl nicht gelten. Gespräche zur Absicherung würden mit dieser Begründung oftmals mit Bedauern beendet. Vermittelt werde seitens der Politik, dass man "weder Einblick im Sinne von Transparenz noch Einflussmöglichkeiten oder Verantwortung" habe. Gleichzeitig vermittle die PVA, "dass sie bloß im Rahmen der Gesetze und Vorgaben aus dem Ministerium ausführend ist".
Selbstverwaltung werde "bei den Missständen rund um ME/CFS so zu einem Schlagwort, mit dem sich alle aus der Verantwortung für strukturelle Lösungen ziehen". Oftmals werde seitens der Verantwortungsträger auch erklärt, dass überhaupt keine Problemfälle oder Beschwerden zur Absicherung von ME/CFS bekannt seien. Strukturelle Fehlentscheidungen würden aber gar nicht sichtbar werden, da es keine zentrale Beschwerdestelle oder Kontrollinstanzen für Begutachtungen gebe.
Erfreut zeigte sich Hainzl über die Ankündigung von Gesundheitsstaatssekretärin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ), die am Freitag im ORF rasche Schritte ankündigte, um den im Vorjahr vorgestellten "Nationalen Aktionsplan zu postakuten Infektionssyndromen (PAIS)", worunter auch ME/CFS fällt, umzusetzen. Entscheidend sei, dass dem gezeigten Verständnis jetzt auch "konkrete Schritte" folgen müssten, betonte Hainzl.
Zu Aussagen der Staatssekretärin, dass der Aktionsplan aus ihrer Sicht leider nicht so erarbeitet worden sei, "dass alle Stakeholder mit dabei gewesen sind" und dass etwa die PVA oder die Länder "nicht wirklich eingebunden" gewesen wären, sagte Hainzl, diese Diskussion sei bereits kurz nach der Veröffentlichung des Plans durch den Dachverband der Sozialversicherungsträger angestoßen worden "und überrascht uns sehr".
Denn am Ende des entsprechenden Dokuments des Aktionsplans (abrufbar unter: https://go.apa.at/PqccjqRd) sind alle Beteiligten transparent aufgelistet - "darunter mehr als 20 Vertreter und Vertreterinnen von Ländern und PVA, teils aus leitenden Funktionen". "Wir haben ihre Mitarbeit im Prozess als sehr aktiv erlebt und gehen daher von einem Missverständnis aus und nicht vom Versuch, den NAP zu schwächen oder von Inhalten abzulenken."
Die Forderung an die Politik lautet daher auch auf einer raschen Umsetzung der im Aktionsplan gelisteten Maßnahmen. Außerdem brauche es mehr Forschungsförderung. Hainzl verwies auch auf das an der MedUni Wien 2024 eingerichtete Referenzzentrum für postvirale Syndrome, dieses leiste "enorm viel, z.B. in den Bereichen Wissensaufbereitung und -weitergabe". Das Zentrum müsse langfristig gesichert und angemessen ausgestattet werden. Gleichzeitig betonte sie, dass das Zentrum nicht als konkrete Anlauf- bzw. Behandlungsstelle diene. "Hier müssen diejenigen die Verantwortung übernehmen, die sie auch haben", blickte Hainzl in Richtung Politik.