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Netanyahu hält trotz Hungersnot in Gaza an Kriegszielen fest

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IPC-Initiative sieht 132.000 Kinder in Gaza vom Hungertod bedroht
©AFP, APA
Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu hält auch nach der Erklärung der Hungersnot im Bezirk Gaza durch internationale Experten unbeirrt an seinen Kriegszielen fest. Die von der islamistischen Terrororganisation Hamas "inszenierte Hungerkampagne wird uns nicht davon abhalten, unsere Geiseln zu befreien und die Hamas zu beseitigen", sagte er in Reaktion auf den aufsehenerregenden Bericht der weltweit als Autorität für Ernährungssicherheit anerkannten IPC-Initiative.

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Netanyahu hatte zuvor Pläne für die Einnahme der Stadt Gaza im Norden des abgeriegelten Gazastreifens gebilligt. Israels Militär bereitet sich darauf vor, die Schätzungen zufolge rund eine Million Bewohner in Zeltlager im Süden umzuquartieren.

Laut der IPC-Initiative ist das Leben von 132.000 Kindern unter fünf Jahren wegen Unterernährung bedroht. 41.000 davon würden als besonders bedrohliche Fälle betrachtet, doppelt so viele wie bei der vorherigen Einschätzung im Mai. Es geht um den Bezirk Gaza, in dem auch die Stadt liegt.

"An manchen Tagen kann ich nur ein kleines Brot und eine Tomate finden, um sie zwischen drei Kindern zu teilen", klagt Mariam al-Scheikh. Ihren Kindern etwas zu essen zu beschaffen, sei ein täglicher Kampf, berichtet die 34-Jährige aus der Stadt Gaza der Deutschen Presse-Agentur. Sie sei oft stundenlang auf der Suche nach Brot oder Lebensmittelkonserven. Nachts hört sie das jüngste ihrer Kinder vor Hunger weinen. "Mehr als eine halbe Million Menschen im Gazastreifen sind mit katastrophalen Bedingungen konfrontiert, charakterisiert durch Hunger, Armut und Tod", heißt es in dem Bericht der IPC-Initiative.

Netanyahu bezeichnete den Bericht als eine "glatte Lüge". Nach israelischer Darstellung basiert die Einschätzung der IPC-Initiative auf falschen Angaben der Hamas. "Der Bericht ignoriert bewusst Daten, die den Autoren in einem Treffen vor seiner Veröffentlichung vorgelegt wurden und übersieht die in den letzten Wochen unternommenen Bemühungen zur Stabilisierung der humanitären Lage im Gazastreifen völlig", erklärte die zuständige israelische Behörde Cogat. Um welche Daten es sich dabei handelt, blieb jedoch offen.

UN-Generalsekretär António Guterres sprach im Zusammenhang mit der Hungersnot von Vorsatz. Was nun passiere, sei der "vorsätzliche Zusammenbruch der Systeme, die für das menschliche Überleben notwendig sind". Als Besatzungsmacht habe Israel eindeutige Verpflichtungen. Israel weist solche Aussagen und Vorwürfe stets zurück. Das Land wirft wiederum den UN vor, im Gazastreifen bereitstehende Hilfslieferungen nicht verteilt zu haben. Israel verfolge keine Politik des Aushungerns, sondern der Hungerprävention, betonte Netanyahu. "Die Einzigen, die in Gaza absichtlich dem Hunger ausgesetzt werden, sind die israelischen Geiseln", erklärte er.

Israel steht unter erheblichem internationalen Druck, das Leid der Palästinenser im Gazastreifen zu lindern. Berichte über unterernährte Kinder lösten weltweit Empörung aus und trugen dazu bei, dass Länder wie Frankreich, Kanada und Australien Pläne zur Anerkennung eines palästinensischen Staates ankündigten. Deutschland stoppte einen Teil der Waffenexporte an Israel, nachdem Israel erklärt hatte, es werde den Gaza-Krieg noch ausweiten.

Einen Tag vor Veröffentlichung des IPC-Berichts hatte die israelische Führung die militärischen Einsatzpläne für die Einnahme der Stadt Gaza genehmigt. Verteidigungsminister Israel Katz kündigte intensive Angriffe an. "Die Tore der Hölle werden sich bald über den Mördern und Vergewaltigern der Hamas in Gaza öffnen – bis sie Israels Bedingungen zur Beendigung des Krieges zustimmen". Andernfalls werde die Stadt zerstört. In Israel wurde spekuliert, dies könne eine Verhandlungstaktik sein, um die Hamas unter Druck zu setzen.

Israels Forderungen für eine Beendigung des Krieges sind die Entwaffnung der Hamas, die Rückführung aller Geiseln, die Entmilitarisierung des Gazastreifens, die Sicherheitskontrolle über das Küstengebiet durch Israel sowie eine Zivilverwaltung, die weder von der Hamas noch der im Westjordanland regierenden Palästinensischen Autonomiebehörde ausgeübt wird. Netanyahu stellte nun neue Verhandlungen über die Freilassung der Geiseln und ein Ende des Krieges zu Bedingungen in Aussicht, "die für Israel akzeptabel sind".

Wenige Tage zuvor hatte die Hamas nach eigenen Angaben einem Vorschlag der Vermittler für eine Waffenruhe zugestimmt hatte. Dabei handelt es sich laut Medienberichten um eine angepasste Fassung eines zuvor bereits verhandelten Vorschlags des US-Sondergesandten Steve Witkoff. Er sieht eine 60-tägige Feuerpause vor, während der zehn lebende Geiseln im Gegenzug für palästinensische Häftlinge freikommen. Insgesamt befinden sich im Gazastreifen noch 50 Geiseln, von denen mindestens 20 am Leben sein sollen.

Netanyahu hatte sich zuletzt laut Medienberichten nur zu einem Abkommen bereit erklärt, wenn dabei alle Geiseln auf einmal freikommen und der Krieg zu Israels Bedingungen beendet wird. Indirekte Verhandlungen über eine neue Waffenruhe waren bisher erfolglos und zuletzt unterbrochen. Die Vermittler - die USA, Katar und Ägypten - bemühen sich um Wiederaufnahme der Kontakte.

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