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Mehr als 300 Zivilisten bei Kämpfen in Syrien getötet

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Sharaa greift gegen aufmüpfige Assad-Anhänger hart durch
©APA/APA/SANA/-
Bei den schwersten Kämpfen in Syrien seit dem Machtwechsel im Dezember haben Sicherheitskräfte der neuen Regierung laut Berichten auch Hunderte Zivilisten getötet. "Wir sprechen von mindestens 304 Zivilisten", sagte der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel-Rahman, am Samstag im Interview mit der arabischen Abteilung des britischen Senders BBC. Interimspräsident Ahmed al-Sharaa drängte die Anhänger des früheren Assad-Regimes zu kapitulieren.

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Die in Großbritannien ansässige Beobachtungsstelle, die den Konflikt über ein Netzwerk von Informanten verfolgt, berichtete von mehreren Massakern in verschiedenen Gebieten an der Mittelmeerküste. Zudem gebe es seit Ausbruch der Kämpfe am Donnerstag Hinweise auf weitere Gräueltaten, "die in den nächsten Stunden dokumentiert werden", sagte Abdel-Rahman weiter.

Am Donnerstag waren bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des gestürzten Präsidenten Bashar al-Assad und Sicherheitskräften der neuen Regierung eskaliert. Neben Zivilisten wurden auch mehr als 200 Kombattanten auf beiden Seiten getötet. Die Gefechte konzentrieren sich auf das Gouvernement Latakia, eine Hochburg der Alawiten, der auch Assad angehört.

Die alawitischen Kämpfer müssten sich ergeben, "bevor es zu spät ist", sagte Sharaa am Freitag in einer Rede auf Telegram. In seiner Ansprache sagte Sharaa weiter: "Sie haben sich gegen alle Syrer gewandt und einen unverzeihlichen Fehler begangen. Der Gegenschlag ist gekommen." Sharaa erklärte bei Telegram zudem, die Übergangsregierung werde sich weiterhin dafür einsetzen, dass lediglich staatliche Vertreter über Waffen verfügen. Es werde keinen unkontrollierten Waffenbesitz mehr geben. Die islamistische Übergangsregierung sprach von einem "groß angelegten" Einsatz, der auf "die Überreste von Assads Milizen und ihre Unterstützer" ziele.

Unter den Toten seien mindestens 93 Sicherheitskräfte der Interimsregierung sowie 120 bewaffnete Angreifer, hatte die Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Samstag berichtet. Nach Angaben der in Großbritannien ansässigen Beobachtungsstelle sollen zudem mehr als 160 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, von Kämpfern der neuen Machthaber quasi exekutiert worden sein. Übergangspräsident Sharaa erklärte am Freitag, dass jeder, der Übergriffe gegen Zivilisten begehe, hart bestraft werde. Berichte über Massaker erwähnte er jedoch nicht.

Was die Hinrichtungen betrifft, erklärte die Beobachtungsstelle: "Die überwiegende Mehrheit der Opfer wurde von mit dem Verteidigungs- und dem Innenministerium verbundenen Elementen exekutiert." Beide Ministerien stünden unter der Kontrolle der von den Islamisten geführten Behörden. Von der Beobachtungsstelle und Aktivisten veröffentlichte Videoaufnahmen zeigten Dutzende vor einem Haus aufgestapelte Leichen in Zivilkleidung. Daneben waren Blutflecken und weinende Frauen zu sehen. Weitere Aufnahmen zeigten Männer in Militäruniform, die aus nächster Nähe auf Menschen schossen. Die Beobachtungsstelle bezieht ihre Informationen von einem Netzwerk von Aktivisten in Syrien, die meist nicht sofort unabhängig überprüft werden können.

Der UNO-Syrien-Gesandte Geir Pedersen äußerte sich besorgt über "sehr beunruhigende Berichte über zivile Opfer". Er rief alle Seiten auf, von Aktionen abzusehen, die "Syrien destabilisieren und einen glaubwürdigen und integrativen politischen Übergang gefährden" könnten.

Kämpfer unter Führung der islamistischen HTS-Miliz hatten Anfang Dezember Damaskus erobert und die jahrzehntelange Herrschaft von Assad an der Spitze eines säkularen Polizei- und Geheimdienstregimes beendet. Seit ihrer Machtübernahme hat die neue syrische Führung wiederholt versichert, die Minderheiten im Land schützen zu wollen. Die Alawiten fürchten jedoch Vergeltungsmaßnahmen gegen ihre Gemeinschaft - sowohl als religiöse Minderheit als auch wegen ihrer Treue zur Assad-Familie.

Die HTS ist aus der Al-Nusra-Front, dem syrischen Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida, hervorgegangen. Sie wird vom Westen weitgehend als "Terrororganisation" eingestuft - auch wenn sie versucht, sich ein neues, gemäßigtes Image zu geben.

Derweil teilte das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) mit, dass seit Assads Sturz mehr als 300.000 syrische Flüchtlinge in ihre Heimat zurückgekehrt seien. Überdies seien auch 900.000 syrische Binnenvertriebene nach Syrien zurückgekehrt, sagte UNHCR-Sprecherin Céline Schmitt am Freitag bei einer aus Damaskus per Videoschaltung abgehaltenen Pressekonferenz. Insgesamt seien damit seit Anfang Dezember 1,2 Millionen Menschen zurückgekehrt. Es handle sich aber immer noch um "die größte Flüchtlingskrise der Welt".

Unterdessen beschloss die Schweiz am Freitag mit sofortiger Wirkung zusätzliche Sperren von Vermögenswerten in Höhe von 99 Millionen Franken (rund 104 Millionen Euro), wovon laut einer Mitteilung der Regierung "rund zwei Drittel auf Mitglieder der ehemaligen Assad-Regierung und ihrer Entourage entfallen". Damit solle sichergestellt werden, dass "diese Vermögenswerte, die möglicherweise unrechtmäßig erworben wurden, unabhängig von den Entwicklungen im Sanktionsbereich gesperrt bleiben". Sollte sich die illegale Herkunft der Gelder herausstellen, wolle Bern sie "zugunsten der syrischen Bevölkerung zurückzuerstatten".

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