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Bereits im November letzten Jahres hatte der Salzburger Landtag einstimmig beschlossen, eine entsprechende Anlaufstelle für ME/CFS-Patientinnen und -Patienten und deren Angehörige einzurichten. Nach der Konkretisierung der Pläne regte sich jedoch seitens Patientenvertretern Kritik am geplanten Konzept. Anlässlich des internationalen "Severe ME Awareness Day" am 8. August erneuerten nun mehrere Selbsthilfegruppen die Bedenken, wonach die Pläne für die Patienten ungeeignet seien.
Es sei "enttäuschend", wie die Salzburger Landesregierung mit schwer kranken ME/CFS-Betroffenen umgehe, erklärte die Sprecherin der Salzburger Post Covid & ME/CFS Selbsthilfegruppe, Regina Leimüller, in einem Statement gegenüber der APA. "Statt eine spezialisierte ME/CFS-Behandlungsstelle aufzubauen, die die Symptome lindert und den Zustand der Betroffenen stabilisiert bzw. verbessert, wird an der ausgeschriebenen Drehscheibe-ins-Nichts festgehalten, die den Betroffenen nichts bringt." Auch werde behauptet, dass dort eine spezialisierte Behandlung stattfinden soll, "obwohl das nicht in der Ausschreibung steht", verwies sie auf eine Ausschreibung der Salzburger Ärztekammer sowie auf das damit verknüpfte und vom Land Salzburg herausgegebene Anforderungsprofil. Die Empfehlungen von Expertinnen und Experten sowie Betroffenenorganisationen würden ignoriert, man beharre auf "Symbolpolitik".
Auch die Salzburger "Plattform für Menschenrechte" hat eine Stellungnahme veröffentlicht, die das aktuelle Konzept des Landes kritisiert. Zwar solle in der Anlaufstelle die Diagnose gestellt, dann aber zu Haus- und Fachärzten weiterverwiesen werden. "Haken an der Sache" sei, dass es im ganzen Land Salzburg keine ME/CFS-Spezialistinnen oder Spezialisten im öffentlichen Bereich gäbe, zu denen man hin überweisen könne.
Die bundesweit tätige Österreichische Gesellschaft für ME/CFS (ÖG ME/CFS) schließe sich der Kritik der Plattform für Menschenrechte an, hieß es am Freitagnachmittag. Salzburg habe mit dem Landtagsbeschluss hohe Erwartungen geweckt - doch statt einer spezialisierten Versorgung soll nun nur eine Drehscheibe nach Tiroler Vorbild entstehen. "Ohne Behandlungsstruktur, zu der man die Patient:innen lenken kann, ist das eine Fehlinvestition, die Betroffenen nicht hilft und nur das Budget belastet.", sagte die stellvertretende Obfrau der ÖG, Sandra Leiss. Es brauche "endlich eine spezialisierte Versorgung, die dem Schweregrad und der Komplexität der Erkrankung gerecht wird", die Einbeziehung von Betroffenen sei dabei "essenziell".
Anlässlich des Awareness Tages stelle man fest, "dass schwer pflegebedürftige ME/CFS-Erkrankte weiterhin ohne medizinische Versorgung alleine gelassen werden", ergänzte ÖG ME/CFS-Obmann Kevin Thonhofer. Pflegende Angehörige in allen Bundesländern seien "am Ende ihrer Kräfte". Zu deren Unterstützung veröffentliche die Gesellschaft nun eine Pflegeanleitung - "als Notmaßnahme, weil staatliche Hilfe weiter ausbleibt".
Gutschi hatte im Juli erklärt, es gebe bereits Interessenten aus verschiedenen Fachbereichen - wie diese Anlaufstelle genau aussehen werde, hänge auch von den Medizinerinnen und Medizinern ab, die sich bewerben würden: Entweder werde die Anlaufstelle in eine bestehende Ordination integriert oder man eröffnet eine neue Ordination, hieß es laut einem damaligen Bericht der "Salzburger Nachrichten". Geld vom Land Salzburg soll es für die Anlaufstelle nicht geben, die Tätigkeiten sollen über die regulären Kassenleistungen abgerechnet werden, erklärte Gutschi laut der Zeitung.
Insbesondere an diesem Punkt entzündet sich die Kritik der Salzburger Patientenorganisationen. Eine spezialisierte ME/CFS-Behandlungsstelle durch reguläre Kassentarife zu finanzieren, sei nicht möglich, da Kassenpositionen die bei ME/CFS notwendige Diagnostik und Behandlung nicht abdecken würden. "Will man das trotzdem mit regulären Kassentarifen machen, bekommen die Patienten und Patientinnen nicht die nötige Diagnostik und Behandlung, weil die Arztpraxis dafür nicht vergütet wird", so die Salzburger Selbsthilfegruppe. Dies sei einer der Hauptgründe, warum sich bisher im niedergelassenen Kassenbereich niemand auf ME/CFS spezialisiert habe.
Gefordert werden deshalb finanzielle Mittel vom Land Salzburg. Auch verwies die Selbsthilfegruppe darauf, dass entsprechende Mittel via Finanzausgleich für die Einrichtung derartiger Stellen vorgesehen sind. Die spezialisierte Behandlungsstelle müsse in der ambulanten Fachversorgung angesiedelt sein, beispielsweise in einem Facharztzentrum oder einem Ambulatorium - und nicht in einer Primärversorgungseinheit oder Hausarztpraxis. Hausärzte könnten eine schwere komplexe Multisystemerkrankung nicht spezialisiert behandeln, das wäre auch bei anderen schweren komplexen Erkrankungen "undenkbar".
Ein Sprecher von Salzburgs Gesundheitslandesrätin Daniela Gutschi (ÖVP) sagte zuvor auf APA-Anfrage, auf die Ausschreibung der Ärztekammer hätten sich "erfreulicherweise mehrere Ärzte gemeldet". Nun müsse man mit den Bewerbern ihre Konzepte besprechen, dann erst könne man sagen, wo die Anlaufstelle stationiert sein wird.
Der geäußerten Kritik Betroffener, wonach nur eine Koordinierungsstelle ausgeschrieben worden sei und nur mit der Diagnose und der Überstellung an verschiedene Fachärzte den Betroffenen nicht geholfen wäre, trat der Sprecher entgegen: "Es soll dort auch Behandlungsmöglichkeiten geben. Wegen der vielfältigen Symptome der Krankheit wird aber die Zuholung von Experten notwendig sein." Zudem sei in den Konzepten eine aufsuchende Versorgung vorgesehen, wenn Patientinnen und Patienten zu schwach sind, das Haus zu verlassen.
Österreichweit beobachte man seitens der ÖG ME/CFS in Wien, Burgenland und - "anfänglich" - in der Steiermark "vorsichtige Bewegung" in der Frage der Schaffung von Behandlungsstellen, hieß es am Freitag. In Niederösterreich gebe es Ankündigungen, aber bisher keine konkreten Schritte. Kärnten, Oberösterreich und Vorarlberg würden das Thema "weitgehend ignorieren".
Mit der Corona-Pandemie sind post-akute Infektionssyndrome (PAIS) verstärkt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt - und damit auch ME/CFS. Als Auslöser fungieren auch andere Virusinfektionen wie etwa Influenza oder Pfeiffersches Drüsenfieber, auch Traumata oder bestimmte Medikamente bzw. Toxine gelten als mögliche Trigger. Laut Angaben der MedUni Wien dürften in Österreich aktuell zwischen 70.000 und 80.000 Personen von ME/CFS betroffen sein.