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"Jede Stunde zählt", sagte der Vorsitzende der Konferenz, der ecuadorianische Botschafter Luis Vayas Valdivieso. "Wir schaffen die Grundlagen für ein globales Werkzeug, das die Zukunft der Umweltgeschichte verändern könnte." Mehr als 160 Staaten sind bei den Verhandlungen bis zum 14. August dabei. Die EU gilt in vielerlei Hinsicht als Vorreiter, etwa mit dem Verbot von Einweg-Plastik wie Strohhalmen und Plastikbesteck. Dass weltweit so strikte Standards erreicht werden, gilt jedoch als unrealistisch.
Von der Umweltstiftung WWF heißt es: "Plastikmüll zerstört Lebensräume, gefährdet Tiere und Menschen und vergiftet Ökosysteme." Weltweit nutzten die Menschen nach Schätzung des UNO-Umweltprogramms (UNEP) im vergangenen Jahr 500 Millionen Tonnen Plastik, fast doppelt so viel wie 25 Jahre zuvor. 400 Millionen Tonnen davon dürften schnell als Müll enden, so UNEP. Ohne Maßnahmen verdreifache sich die Müllmenge bis 2060. Ein Viertel des Plastikmülls in Flüssen und Meeren stammt der Wissensplattform "Our World in Data" zufolge von Plastiktüten und -flaschen.
Mikro- und Nanoplastik nimmt man über die Nahrung, das Wasser und die Luft auf, wie Geoökologe Stefan Krause, Professor an der Universität Birmingham, sagt. "Sie gelangen schon im Mutterleib über die Plazenta an das ungeborene Baby." Es wurden auch Ablagerungen in Arterien nachgewiesen. Laminat- und Teppichböden könnten etwa vor allem krabbelnde Kinder belasten. Partikel, die wieder ausgeschieden werden, könnten vorher Additive im Körper freisetzen. "Viele Stoffgruppen beeinflussen die endokrinen Systeme, einige sind krebserregend", sagt Krause. Über das endokrine System steuert der Körper mit Hormonen komplexe Körperfunktionen.
Das Abkommen soll die Produktion, das Design und die Entsorgung von Plastik umfassen. Es soll weniger produziert werden, Produkte sollen möglichst mehrfach verwendet und recycelt werden können, und was übrig bleibt, soll umweltschonend entsorgt werden. Wie das gehen soll, ist umstritten. "Es ist Zeit für Mut, nicht Kompromisse", sagt Florian Titze vom WWF. "Ein Abkommen auf kleinstem gemeinsamen Nenner wird die Plastikkrise nicht lösen."
Eine Reihe Länder will möglichst nur Absprachen zur Abfallbeseitigung und keine Produktionsbeschränkungen. Umstritten ist auch, ob nur gewünschte Ziele oder klare, verbindliche Maßnahmen festgelegt werden. Gestritten wird, wer wie viel zur Finanzierung etwa für Recyclinganlagen in ärmeren Ländern beiträgt: Regierungen oder Herstellerfirmen oder eine Mischung aus beidem.
Mehr als 100 Länder von Antigua und Barbuda bis Vanuatu haben sich für einen starken Vertrag mit klaren Auflagen auch zur Begrenzung der Produktion ausgesprochen, darunter auch die EU sowie viele afrikanische, asiatische und lateinamerikanische Staaten. Sie machen aber nur 30 Prozent des Marktanteils und ein Viertel der Weltbevölkerung aus. Die rund 300 Firmen und Finanzinstitutionen der "Unternehmerkoalition für einen ehrgeizigen Plastikvertrag" sind auch für einen "robusten Vertrag mit globalen Regeln und einheitlichen Verpflichtungen". China, das Land mit der größten Plastikproduktion, hat national schon Produktionsbeschränkungen geplant.
Die meisten Kunststoffe werden aus Öl hergestellt, deshalb verhindern vor allem die Ölstaaten einen ehrgeizigen Vertrag, darunter Iran, Saudi-Arabien, die Golfstaaten und Russland. Sie wollen nur über Müll und Recycling sprechen. Die US-Regierung unter Donald Trump schafft Regulierungen aller Art gerade ab. "Dadurch hat sich die Lage bei den Verhandlungen nicht gerade vereinfacht", heißt es aus Verhandlerkreisen. Die USA sind mit China die größten Herstellerländer von Plastik - in Europa ist es Deutschland.
Sollte es eine Einigung geben, gäbe es nächstes Jahr eine diplomatische Konferenz zur Unterzeichnung. Die Ratifizierung in den einzelnen Ländern dürfte mehrere Jahre dauern. In Genf werden Vertreter von mehr als 160 Staaten erwartet, ebenso hunderte Teilnehmer von Umweltorganisationen und Industrielobby-Verbänden. Deutschland ist mit einer Delegation vor Ort vertreten, aber die EU verhandelt für alle Mitgliedsstaaten.
Microplastics and mesoplastic debris are pictured at the Almaciga Beach, on the north coast of the Canary Island of Tenerife, on July 14, 2018, during a cleaning operation organized by the NGO 'Canarias Libre de Plasticos' (Canary Islands free of plastics). (Photo by DESIREE MARTIN / AFP)