Über das mythische Sommerloch, das Jahr für Jahr mit einem beliebten Sommertheater im öffentlich-rechtlichen Fernsehen beendet wird. Rituale sind wichtig. Aber manchmal braucht es auch Mut und Kreativität, wenn wirklich etwas weitergehen soll.
Es ist unter Experten umstritten, ob es überhaupt existiert, aber wenn ja, dann nähern wir uns jetzt langsam seinem Ende: jenem des Sommerlochs. Auch Saure-Gurken-Zeit genannt, wobei es sich, laut Wikipedia, möglicherweise um eine Verballhornung des jiddischen Begriffs Zóres- und Jókresszeit handelt, „Zeit der Not und Teuerung“, was ja in Zeiten wie diesen hervorragend passt.
Die paar Wochen im Sommer also, in denen der offizielle Politikbetrieb pausiert und die Redaktionen urlaubsbedingt so schlecht besetzt sind, dass sie oft vorproduzierte oder recherchearme Berichte bringen, die bei den Konsumentinnen und Konsumenten den Eindruck erwecken, es geschehe gerade nichts Berichtenswertes in der Welt. Was natürlich nicht stimmt – siehe USA, siehe Gaza, siehe Ukraine usw. –, aber Sommer für Sommer wider besseren Wissens ein wohliges Gefühl der Entschleunigung erzeugt.
Zu Ende geht das Sommerloch, so wollen es die ungeschriebenen, aber ehernen Regeln des politmedialen Komplexes in Österreich, wenn der ORF in der ersten Augusthälfte unter großem medialen Getöse auf Eigen-, aber auch auf Fremdkanälen seine „Sommergespräche“ beginnt. Eine Institution seit vielen Jahren, und eine ambivalente Angelegenheit.
Es war schon immer so: Das ist überhaupt das Hauptmotto, nach dem diese Republik funktioniert
Kein anderes Format bringt den Event-Charakter von Politikberichterstattung so sehr auf den Punkt wie dieses. Die übertriebene Fokussierung auf Show und Inszenierung und die – je mehr der Mitbewerb in die Krise schlittert – zunehmend konkurrenzfreie Diskurshoheit des ORF, die hier ungeniert zur Schau gestellt wird. In keinem anderen Medium erzeugt ein einzelnes Interview so viel Aufmerksamkeit, selbst wenn es inhaltlich völlig ident sein sollte.
Auf der anderen Seite stehen die erhellenden Momente, die entstehen können, wenn „gute vorbereitete“ Interviewer auf „guter vorbereitete“ Interviewte treffen. 45 Minuten (quasi) Live-Interview, das ist verdammt lang. Da kann viel gesagt werden. Leider ist von dem Grundgedanken, mit Abstand vom Tagesgeschäft offen über die großen Fragen zu philosophieren, oft nicht mehr viel übrig. Politiker verstecken sich vor allem in Vorwahlzeiten gern hinter Floskeln, manchmal sogar hinter dreisten Lügen.
Aber wie auch immer es sei, da müssen wir durch, es wäre kein Sommer, wenn nicht irgendwann auf „Liebesg’schichten & Heiratssachen“ die „Sommergespräche“ folgten, während vor den Fenstern langsam die Bäume und Wiesen gelb werden und die ersten Herbststürme ins Land ziehen.
Heilige Rituale
Es war schon immer so: Das ist überhaupt das Hauptmotto, nach dem diese Republik funktioniert, es war schon immer so, und deshalb muss es auch so bleiben. Natürlich, Rituale sind wichtig. Vor allem in Zeiten, in denen sich rechts und links Selbstverständlichkeiten in atemberaubende Selbstverständlichkeiten auflösen.
Und deswegen sollen die „Sommergespräche“ bitte in alle Ewigkeiten fortgeführt werden – in Weingärten und auf Seebühnen, in „Stasi-Verhörzimmern“ (zit. Herbert Kickl) und Hochhäusern, unter Elefantengetröte und Entengeschnatter. Rituale bergen aber auch eine Gefahr. Dass man es so macht, wie es immer schon gemacht wurde, weil der Mut, die Kreativität, vielleicht auch die Dreistigkeit, die es bräuchte, um neue Dinge zu erfinden, fehlen.
Schmales Zeitfenster
Ist das die Falle, in die die nicht mehr so neue Bundesregierung tappt? Die erste Erleichterung, einer FPÖ-geführten Regierung „entkommen“ zu sein, lässt langsam nach. Aber nach der Nationalratswahl ist vor der Nationalratswahl und Konfliktvermeidung kein abendfüllendes Programm, schon gar nicht in Zeiten wie diesen. Die Latte liegt hoch: Im Herbst, wenn alle mit ihren Ritualen fertig sind und der Ernst des Lebens wieder beginnen darf, müssen ernsthafte, tiefgreifende Reformvorschläge auf Schiene gebracht werden. Bevor die Angst vor der FPÖ wieder so groß wird, dass gar nichts mehr geht.
Es ist ein schmales Zeitfenster, das womöglich darüber entscheidet, wie sich diese Republik weiterentwickelt. Man sieht es an den USA, man kann es aus den selbstbewussten Interviews mit AfD-Politikern ablesen: Wenn Rechte gut vorbereitet an die Macht kommen, bleibt kein Stein auf dem anderen. Gehen wir, um die letzten Wochen dieses Sommers unbeschwert genießen zu können, einfach davon aus, dass die schwarz-rot-pinke Koalition diese Grundlage ihrer Existenz nicht vergessen hat, und mit Hochdruck an den Lösungen großer Probleme arbeitet, während sie uns mit Sommerlochthemen Sand in die sonnen- und chlorgeröteten Augen streut.
Und erfreuen uns des Sommerlochs, solange es dauert. Ein Neunjähriger, berichtete die Washington Post, errichtete einen kleinen Stand am Straßenrand und bot seinen Kunden nach einem kurzen Vorgespräch gratis individuelle Komplimente an. Was das mit den „Sommergesprächen“, Ritualen und der österreichischen Bundesregierung zu tun hat? Nichts. Alles. Wer anders denkt, schafft es mit einem alten Plastiktisch und einem selbst geschriebenen Kartonschild in die internationalen Nachrichten. Einen schönen Restsommer!
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 33+34/25 erschienen.