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Lehrer finden Orientierungsklassen nicht praxistauglich

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Mehraufwand für Schulen befürchtet
©APA, EVA MANHART
Flüchtlingskinder sollen nach ihrer Ankunft in Österreich künftig zuerst einige Zeit in sogenannten Orientierungsklassen verbringen. Die Pflichtschullehrergewerkschaft warnt in ihrer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf, dessen Begutachtungsfrist gerade geendet hat, vor Problemen in der Umsetzung und Belastungen für die Schulleitungen. Indes wollen auch Psychologen eingebunden werden, Tirol und Vorarlberg befürchten Kosten und das Finanzministerium verlangt eine Evaluierung.

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Grundsätzlich begrüßt die Gewerkschaft, dass eine Regelklasse künftig erst bei entsprechender schulischer Reife und grundlegenden Fähigkeiten und Fertigkeiten besucht werden soll. Die Frage sei aber, wie die geplanten Orientierungsklassen "mit einem erheblichen Mangel an Fachpersonal und Ressourcen ohne weitere (außer-)schulische Unterstützungsmaßnahmen effektiv und zielführend umgesetzt werden können", heißt es in dem vom Vorsitzenden Paul Kimberger (FCG) gezeichneten Schreiben. "Im Sinne einer notwendigen schulischen Organisations- und Planungssicherheit" sollten die Orientierungsklassen außerdem erst mit Schulbeginn 2025/2026 eingeführt werden und nicht unterm Schuljahr.

Laut Gesetzesentwurf sollen schulpflichtige Kinder und Jugendliche, die etwa in Flüchtlingslagern aufgewachsen sind und keine Erfahrung mit Bildungseinrichtungen haben, mit ihren Eltern zu einem Orientierungsgespräch mit einer Schulleitung geladen werden. Kinder, die nicht nur Förderung in Deutsch brauchen, sondern auch Probleme bei altersgerechten Grundkompetenzen haben (Erkennen von Schriftzeichen und Symbolen, Motorik, soziales Verhalten, Verstehen sozialer Regeln), können dann bis zu sechs Monate einer Orientierungsklasse zugeteilt werden.

Die Pflichtschullehrergewerkschaft erwartet hier allerdings in der Praxis Komplikationen. Für sie ist unklar, wie die Schulleitungen diese Gespräche mit Personen, die u.a. das System Schule nicht kennen und nicht Deutsch sprechen, zielführend durchführen sollen. Auch die Frage, ob bundesweit genug Dolmetschkräfte dafür vorhanden sind und welche Konsequenzen es gibt, wenn Eltern zum Gespräch nicht kommen oder sich "dekonstruktiv" verhalten, ist für sie nicht geklärt. Skeptisch sehen die Lehrervertreter auch, dass bei schulartenübergreifenden Orientierungsklassen Volksschulkinder mit deutlich älteren Jugendlichen gemeinsam unterrichtet werden müssten.

Für Schulleitungen, vor allem in den von Zuwanderung besonders betroffenen Ballungsräumen, befürchtet die Gewerkschaft einen deutlichen Mehraufwand durch die Orientierungsklassen, dabei sei gerade erst ein Entlastungspaket für die Direktionen erarbeitet worden. Die Gewerkschaft plädiert deshalb dafür, dass die Orientierungsgespräche direkt von den Bildungsdirektionen übernommen werden.

Der Berufsverband Österreichischer PsychologInnen plädiert in seiner Stellungnahme wiederum dafür, bei den Orientierungsgesprächen auch die Schulpsychologie oder niedergelassene Klinische Psychologen einzubinden, "um Fehleinschätzungen und Stigmatisierungen zu vermeiden und eine faire und kindgerechte Integration zu gewährleisten". Gerade bei Kindern mit Fluchthintergrund oder aus instabilen Lebensverhältnissen sei das Risiko für nicht erkannte psychische Störungsbilder oder nicht erkannten Förderbedarf hoch.

Die Industriellenvereinigung (IV) regt an, dass Personen mit einer Qualifikation in Sprachförderung, Alphabetisierung oder interkultureller Pädagogik beim Orientierungsgespräch dabei sind. Außerdem sollte aus Sicht der IV auch die Möglichkeit geschaffen werden, Schüler, die in der Deutschförderklasse überfordert sind, der Orientierungsklasse zuzuweisen.

Das Netzwerk Sprachenrechte äußert die Befürchtung, dass die Orientierungsklassen zu einer Verlängerung der umstrittenen Deutschförderklassen führen könnten und stellt in Frage, nach welchen Kriterien und von welchem Fachpersonal die Zuweisung erfolgen soll. Sollten, wie in den Deutschförderklassen, in den Orientierungsklassen Kinder verschiedensten Alters gemeinsam unterrichtet werden, erschwere das außerdem die individuelle Förderung.

Die Tiroler Landesregierung wiederum pocht in ihrer Stellungnahme auf zusätzliche Ressourcen für Landeslehrer, Schulleitungen und Schulbehörden. Die vorgesehene Änderung dürfe "nicht auf Kosten der Länder" gehen. Auch das Land Vorarlberg will geklärt haben, wer die Durchführung der Orientierungsgespräche finanziert. Die Gemeinden, die für die Schulgebäude der Pflichtschulen zuständig sind und damit einen zusätzlichen Platzbedarf decken müssten, pochen ebenfalls darauf, dass "der Mehraufwand zur Gänze von Bundesseite abgedeckt wird".

Das Finanzministerium wünscht sich seinerseits eine Evaluierung der Maßnahme, bei der zwei Lehrpersonen in einer vergleichsweise kleinen Klasse unterrichten sollen. Um bei den Orientierungsgesprächen eine bundesweit einheitliche Vollziehung sicherzustellen, sollte es außerdem einen Leitfaden mit detaillierten einheitlichen Vorgaben geben. Auch das Bundeskanzleramt drängt in seiner Stellungnahme auf Konkretisierungen zur geplanten Umsetzung.

++ THEMENBILD ++ Ein Klassenzimmer beim Besuch einer Sommerschule am Dienstag, 23. August 2022 in Wien. Am Montag hat in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland zum dritten Mal die Sommerschule begonnen, bundesweit nutzen diesmal fast 40.000 Schüler das zweiwöchige Angebot.

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