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Harte Debatten bei den "Wiener Kongressen" der Festwochen

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"Wiener Kongresse": Debatten bei den Festwochen
©APA, Wr. Festwochen, Ines Bacher
Der erste Teil der von Festwochen-Chef Milo Rau inszenierten "Wiener Kongresse" zu Kulturkriegen und "Cancel Culture" ist am frühen Sonntagabend mit dem Votum einer Jury zu Leitfragen und einem weiteren Votum des Festwochen-"Rats der Republik" zu Ende gegangen. Mehr als 11 Stunden lang waren Expertinnen und Experten zu Einschätzungen zum Krieg im Gaza-Streifen, zu politisch motivierten Entlassungen sowie zu Kulturpolitik in Österreichs Nachbarschaft befragt worden.

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Zur brisantesten Frage des Wochenendes, ob Genozid und versuchter Genozid völkerrechtlich zulässige Begriffe für das Vorgehen der israelischen Streitkräfte in Gaza seien, kamen drei Jurorinnen und ein Juror angesichts von zwei gegen zwei Stimmen zu keinem Urteil. Die deutsche Journalistin Amina Aziz, die deutsch-amerikanische Literaturwissenschafterin Elisabeth Bronfen und die österreichische Politikwissenschafterin Monika Mokre entschieden jedoch mehrheitlich, dass der Gebrauch des Begriffs "Genozid" propagandistisch, aber nicht antisemitisch sei. Gleichzeitig konstatierte die Jury jedoch eine grundrechtswidrige Einschränkung der Meinungsfreiheit zu Israel und Gaza, sahen aber die Notwendigkeit besonderer Wachsamkeit bei diesen Fragen in Österreich und Deutschland.

In der Causa der von der Universität Bonn gekündigten Politikwissenschafterin Ulrike Guérot sprachen sich die Jurorinnen und der Juror zwar mehrheitlich gegen politisch motivierte Kündigungen aus, sahen aber inhaltliche Vorwürfe gegen Guérot für erwiesen an und auch ihre konkrete Kündigung für zulässig. Zur kulturpolitischen Situation in der Slowakei und in Ungarn sahen sie Eingriffe in die Kunstfreiheit und erklärten mehrheitlich, dass Umbesetzungen von Führungsposten im Kulturbetrieb nach einem Machtwechsel verständlich, aber nicht legitim seien. Abschließend votierten anwesende Vertreterinnen und Vertreter des Festwochen-Gremiums "Rat der Republik" mehrheitlich für eine maximale Meinungsfreiheit bei den Diskursformaten des Festivals.

Die Situation in der östlichen Nachbarschaft Österreichs war am Sonntagnachmittag detailliert besprochen worden: Zumindest laut den Ausführungen einer Expertin und von zwei Experten aus der Slowakei hat dies aber weniger mit "Cancel Culture", sondern mehr mit der Zerstörung von Kulturinstitutionen zu tun. Der im vergangenen August entlassene Direktor des Slowakischen Nationaltheaters Matej Drlička verglich Kulturministerin Martina Šimkovičová mit der Comicfigur Homer Simpson, die in einer Atomfabrik auf einen roten Knopf drücken und damit die ganze Welt zerstören könne. "Es ist viel einfacher, die Kultur anzugreifen, als die realen Probleme der Menschen zu lösen", sagte der Autor Michal Hvorecký.

Rechte Stimmen aus der Slowakei fehlten indes. Nicht nur die Kulturministerin selbst, sondern auch der im Programmheft noch angekündigte Journalist Jaroslav Daniška hatte abgesagt. Er wolle nicht zu einem Festival kommen, das mit zwei kuschelnden Männern auf einem Poster werbe, hatte er wissen lassen und damit auf jenes Plakatsujet verwiesen, dass kurz vor der Eröffnung der Festwochen am Schwarzenbergplatz zerstört worden war.

Thematisiert wurde schließlich auch die Situation in Ungarn, wo Manifestationen unterschiedlicher Geschlechteridentitäten im öffentlichen Raum mittlerweile verboten sind. Der Leiter der Medienschule am regierungsnahen Mathias-Corvinus-Collegium in Budapest Boris Kálnoky verteidigte diese Entscheidungen der ungarischen Regierung. "Kunst wie auch Medien sind Teil des vorpolitischen Raums, in dem gesellschaftlicher Diskurs Gestalt annimmt und sich dann auch irgendwann in Wahlergebnisse verwandelt. Natürlich versuchen alle politischen Kräfte Einfluss zu nehmen", erläuterte er und lobte zudem die Fähigkeit von Premierminister Viktor Orbán, zu spüren was die Menschen wollten. Die Budapester Dragqueen Valerie Divine berichtete indes, dass sie trotz der gesetzlichen Lage einstweilen keine Probleme habe, in ihrer Rolle in Kunsträumen zu performen.

Brisanter waren zwei Sitzungen am Samstag gewesen. In Anwesenheit der deutschen Politikwissenschafterin Ulrike Guérot selbst war ihre Entlassung durch die Universität Bonn debattiert und wurde diese auch angesichts eines eher fragwürdigen Plagiatvorwands der Uni mehrheitlich als politisch motiviert dargestellt. Guérot selbst hatte vor ihrer Entlassung in deutschen Fernsehtalkshows Umstrittenes zur Corona-Politik bzw. zu Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine artikuliert. Letzteren bezeichnete Guérot am Samstag als "russisch-ukrainischen Angriffskrieg". Polemische Kritik an der Haltung zur Ukraine kam insbesondere von der ukrainischen Kunstaktivistin Inna Schewtschenko. "Nicht jeder Fall eines öffentlichen Intellektuellen ist 'Cancel Culture'. Manchmal ist es bloß die Schwerkraft", sagte Schewtschenko und erntete im Publikum dafür Beifall.

Der Samstag selbst hatte mit einer außerplanmäßigen Intervention von Milo Rau begonnen. Der Regisseur der "Kongresse" entschuldigte sich für einen Eröffnungsredner vom Freitagabend, "Welt"-Herausgeber Ulf Poschardt. Dieser habe erklärt, dass ihn der Vergleich mit Hitler frei mache und seine Liebe zum israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu zum Ausdruck gebracht, der wie der Führer der Hamas vom Internationalen Strafgerichtshof als Verbrecher gesucht werde, erklärte Rau. "Wir haben diesen Menschen nicht unterbrochen oder des Saales verwiesen, weil er in jenem Moment offensichtlich verwirrt war", sagte der Festwochen-Chef und wurde selbst kurz Zeit später von der Kongress-Vorsitzenden Alexia Stuefer korrigiert. "Netanyahu wird als mutmaßlicher Verbrecher gesucht", sagte sie. Die Unschuldsvermutung sei hier unbedingt hervorzuheben.

Neben Fragen zum Begriff "Genozid" und Gaza drehte sich eine zentrale Diskussion um die Charakterisierung von Hamas. "Für mich ist die Hamas eine bewaffnete Gruppe, im Völkerrecht sprechen wir ungern vom Terrorbegriff", sagte Amnesty International Österreich-Geschäftsführerin Shoura Zehetner-Hashemi. Terror sei eine Strategie und dies einfach eine juristische Einschätzung, ohne dass Hamas in irgendeiner Form als Widerstandsbewegung gesehen oder gutgeheißen werde, betonte sie. Erst auf Nachfrage erklärte die Amnesty-Vertreterin, akzeptieren zu können, dass Hamas auf einer EU-Terrorliste stünde und die Gruppe in Österreich eine "terroristische Vereinigung" sei.

"Es ist extrem enttäuschend, dass diese Menschen als Kämpfer porträtiert werden", replizierte auf Zehetner-Hashemi der im deutschen Exil lebende Palästinenser Hamza Howidy. Er berichtete, wie die Hamas die Leiber von Gegnern durch die Straßen habe schleifen und Kritiker erschießen habe lassen. Der zuvor per Videokonferenz zugeschaltete Präsident der Deutsch-israelischen Gesellschaft, Volker Beck, warf noch während der Sitzung via X, ehemals Twitter, Zehetner-Hashemi vor, Terror als Strategie zu verharmlosen und forderte auf, dass die Amnesty-Geschäftsführerin von Demokraten nicht mehr ernst genommen werden solle.

Mehrmals war am Wochenende von der Relevanz sozialer Medien für die Fragestellungen die Rede. In der Sitzung zu Guérot erläuterte der an der Universität Luxemburg tätige Philosoph Harry Lehmann, dass eine aktuelle "Cancel Culture" in den USA seit etwa 2013 zu beobachten sei, dem Jahr, in dem Smartphones in eine größere Rolle zu spielen begonnen hätten. Eine neue Medienkultur führe dazu, dass sich sogenannte Gruppenpolarisierungsprozesse, die Verschiebung von Positionen zum radikalen Pol, in Institutionen medial verstärken ließen. Während früher in den Institutionen eher versucht worden sei, nicht zu eskalieren, sei diese Praxis in einer neuen digitalen Medienwelt außer Kraft gesetzt und nähmen Institutionen nunmehr extremere Positionen ein. Universitäten würden deshalb etwa auch zunehmend auf Canceln und Entlassen setzen.

"Netzwerke und die Algorithmen der Tech-Oligarchen schwächen unsere Demokratie", klagte auch der slowakische Autor Hvorecký im Zusammenhang mit der Verbreitung von Verschwörungstheorien und extremistischen Haltungen im Internet. Die für eine Säuberungswelle in slowakischen Kulturinstitutionen verantwortliche Kulturministerin Šimkovičová stünde für einen sich im Netz verbreitenden "digitalen Faschismus". "Der kommt bei vielen auch gut an", sagte er.

WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA / Wr. Festwochen/Ines Bacher

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