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Ein hoher Prozentsatz der Ärztinnen und Ärzte aus der Babyboomer-Generation gehe in den kommenden Jahren in Pension, sagte Steinhart bei einer Pressekonferenz in Wien. "Das steht der Problematik gegenüber, dass die Bevölkerung wächst" - und betreuungsintensiver werde. Und die Zahl der Kassenärzte sei in den vergangenen 20 Jahren mehr oder weniger unverändert geblieben. Im gleichen Zeitraum wuchs aber die Bevölkerung von rund acht Millionen Menschen auf rund 9,2 Millionen an.
Als besonderes Problem sprach Steinhart die Abwanderung der in Österreich Medizinstudierenden an: "Ein Drittel der Medizinerinnen und Mediziner wird hier nicht versorgungswirksam" - diese kehren in ihre Heimat zurück oder in Länder, in denen attraktivere Arbeitsbedingungen vorzufinden sind. Mit der politischen Forderung nach mehr Medizinstudienplätzen, wie sie aktuell von Gesundheitsstaatssekretärin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) kommt, kann man in der Ärztekammer weiterhin nichts anfangen. "Diese Lücke lässt sich auch durch mehr Studienplätze nicht effektiv schließen - wir würden bloß noch mehr gut ausgebildete Ärztinnen und Ärzte an das Ausland verlieren, was bei uns beträchtliche Zusatzkosten zur Folge hätte", hieß es dazu in einer Presseunterlage.
Kammeramtsdirektor Lukas Stärker, der gemeinsam mit Steinhart die neue Statistik präsentierte (abrufbar auf der ÖÄK-Homepage unter https://www.aerztekammer.at/daten-fakten), verwies darauf, dass per 31. Dezember 2024 52.005 Ärztinnen und Ärzte in Österreich tätig waren. Das entspricht einem Plus von 2,7 Prozent gegenüber dem Jahr davor. Davon waren 9.620 Turnusärzte, 12.882 Allgemeinmediziner, 29.385 Fachärzte und 118 approbierte Ärzte. Von den 52.005 eingetragenen Ärztinnen und Ärzten sind 49,9 Prozent (25.968) weiblich. Am höchsten sind die Frauenanteile in der Allgemeinmedizin (60,8 Prozent) und unter den Turnusärzten (56,4 Prozent). Unter der Fachärzteschaft sind 43 Prozent Frauen.
Auch Stärker verwies auf die Problematik der alternden Ärzteschaft: In den vergangenen zwanzig Jahren habe sich vor allem der Anteil der über 55-Jährigen beträchtlich vergrößert. Zum Jahresende 2024 waren 33,3 Prozent der Gesamtärzteschaft über 55 Jahre alt. Zum Vergleich: Zwischen 1990 und 2000 lag dieser Anteil noch konstant bei etwa 17 Prozent.
Die große Gruppe der über 55-Jährigen erreicht in den nächsten zehn Jahren das Regelpensionsalter - oder wird es überschreiten. Kammeramtsdirektor Stärker bezifferte diese Zahl mit 18.189. Daraus ergebe sich ein jährlicher Nachbesetzungsbedarf von 1.818 pro Jahr - "allein um eine Aufrechterhaltung des Status Quo der Kopfzahl zu gewährleisten". Berücksichtige man darüber hinaus weitere Faktoren - etwa dass Frauen, die jetzt einen höheren Anteil stellen, typischerweise noch früher das Pensionsalter erreichen, ergebe sich ein potenzieller jährlicher Nachbesetzungsbedarf von rund 1.932 Ärztinnen und Ärzten pro Jahr.
Derzeit habe Österreich zahlenmäßig genügend Ärztinnen und Ärzte, um die Gesundheitsversorgung abzusichern, betonte Steinhart. "Es gibt keinen Ärztemangel an sich. Sondern einen Ärztemangel im öffentlichen System", sagte Steinhart.
Auf längere Perspektive hingegen sehe die Situation nicht gut aus. Dem angeführten Nachbesetzungsbedarf von bis zu über 1.900 neuen Ärztinnen und Ärzten pro Jahr würden österreichweit jährlich 1.756 Studienplätze für Humanmedizin gegenüberstehen (ohne Privatunis). Dies klinge auf den ersten Blick ausreichend, so Steinhart. Man dürfe aber nicht vergessen, dass rund ein Drittel der Absolventinnen und Absolventen nicht im österreichischen Gesundheitssystem versorgungswirksam werden. "Diese Lücke müssen wir schauen, dass wir die so gut es geht schließen können."
Auch verwies der Präsident darauf, dass es einen Wandel des Arztberufes als Ganzes gäbe, etwa auch durch den Trend zur Teilzeit bzw. der sinkenden Bereitschaft, eine sehr hohe Stundenanzahl zu leisten. Die neue Generation wolle anders arbeiten, mehr Zeit für Patientinnen und Patienten haben, aber auch für Familie und Privatleben. Dieser Situation müsse man Rechnung tragen: "Um dem zu entsprechen müssen die Arbeitsbedingungen - sowohl stationär als auch im niedergelassenen Bereich - flexibler werden", sagte Steinhart.
Das bedeute Teilzeitmodelle, Teil-Kassenverträge und Job-Sharing - ebenso Anstellungsmöglichkeiten sowie die Möglichkeit der gleichzeitigen Tätigkeit im öffentlichen System und im Wahlarztsystem. Österreich müsse international konkurrenzfähige Arbeitsbedingungen anbieten, wenn man die Ärztinnen und Ärzte im Land behalten will oder jene aus anderen Ländern gewinnen möchte, betonte er. "Wir müssen ein Drittel mehr motivieren, hier bei uns ins System einzusteigen."
Dringend nötig sei auch ein deutlicher Bürokratieabbau sowohl in Kassenarztpraxen als auch in Krankenhäusern. Unnötige Bürokratie koste Zeit, die man dringend für die Patientenbetreuung benötige - und verringere die Arbeitszufriedenheit.
Nötig ist laut Ärztekammer-Sicht auch eine bessere Ausstattung der elektronischen Gesundheitsakte ELGA. Auf europäischer Ebene brauche es eine EU-weite Quote von Mindeststudienplätzen, um "Sogwirkungen" zwischen den Ländern zu minimieren. Und Absolventinnen und Absolventen des Medizinstudiums in Österreich müssten sofort nach Studium-Abschluss Ausbildungsstellen angeboten werden.
Als relevant bezeichnete Steinhart auch eine "grundlegende Reform" der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). Die ÖGK müsse endlich wieder ihrer "Kernaufgabe" nachkommen, nämlich der Versorgung der Bevölkerung mit genügend Kassenärzten. Um den Bedarf zu decken brauche es mindestens 1.000 zusätzliche Kassenstellen. Es brauche "echte Strukturreformen" und keine "kleinlichen Diskussionen" über einzelne Untersuchungen oder über Wahlärzte.