Die Ökonomin Sigrid Stagl erforscht, wie grüne Wirtschaft funktionieren kann. Sie kritisiert den inkonsequenten Kurs der jetzigen Regierung und erwartet sich von der künftigen ein klares Bekenntnis zum Klimaschutz. Zudem ist die WU-Professorin überzeugt, dass nur ein Siebtel der Autos notwendig wäre, ohne Mobilität einzubüßen. Die frei werdenden Parkflächen könnten begrünt werden.
Steckbrief
Univ.Prof. Dr.in Sigrid Stagl
Sigrid Stagl ist Ökonomin am Department für Sozioökonomie mit den Schwerpunkten Nachhaltiges Arbeiten, Ökologische Makroökonomie, integrierte Bewertungsmethoden und sozioökonomische Theorien des Handelns.
Nach dem Studium an der WU Wien folgen Studien-, Forschungs- und Lehraufenthalte an der University of Leeds sowie an der University of Sussex. Anschließend kehrte Stagl an die WU zurück. Dort gründete die Ökonomin 2014 das Institute for Ecological Economics.
Zuerst ein Hitzesommer, dann das verheerende Hochwasser: Was müsste die neue Regierung nach der Wahl endlich im Bereich Klimaschutz umsetzen?
Das Wichtigste, was ich mir von der künftigen Regierung erwarte, ist Climate Leadership. Damit meine ich, dass sich die Regierung ganz klar zum Pariser Klimaabkommen* bekennt und sich auch daran hält. Es muss von der Politik das Signal kommen, dass wir die Umsetzung nur gemeinsam schaffen können, obwohl es für uns teuer wird. Aber es nicht zu tun, wird noch teurer.
*Pariser Klimaabkommen: In dem von 195 Staaten unterschriebenen Übereinkommen ist festgehalten, dass die globale Erderwärmung auf maximal zwei Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten begrenzt werden soll. Dazu müssen die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf netto null gesenkt werden.
Welche konkreten Maßnahmen wären aus Ihrer Sicht notwendig?
Es gibt einen Blueprint für das, was nötig ist, zum Beispiel im nationalen Energie- und Klimaplan. Vielleicht gibt es dazu noch Verbesserungsvorschläge. Aber die Richtung muss die Gleiche bleiben. Was nicht funktionieren wird, sind laufend widersprüchliche Signale zu senden – beispielsweise anzukündigen, zu dekarbonisieren, gleichzeitig sind wir aber ein Autoland und wollen eigentlich den Verbrennungsmotor noch verbessern. Dieses ständige Hin-und-her-Wanken bringt nichts.
Sie sprechen die Autoindustrie an. Gerade hier gibt es in Österreich viele wirtschaftliche Interessen, Stichwort Zulieferer.
Natürlich wird die Umsetzung nicht immer leicht. Die Autoindustrie ist ein klassischer Fall, der ganz stark davon betroffen ist. Da hat es zunächst geheißen, wir stellen auf Elektromobilität um. Das war ganz klar und entspricht dem globalen Trend. Und dann haben die europäischen Autokonzerne zunächst – zu lange gestützt von der europäischen Regierung – zugewartet. Letztlich haben sie das Verbrenner-Aus bis 2035 akzeptiert und sogar angekündigt, es schneller umzusetzen. Daraufhin hat die Politik signalisiert, der Verbrennermotor sei aber etwas Großartiges, und wir machen jetzt Synthetic Fuels. Diese ständige Strategieänderung der Politik von einem Tag auf den anderen kostet volkswirtschaftlich gesehen sehr viel und bringt langfristig keinen Nutzen.
Es gibt viele Menschen die Angst haben, durch eine Veränderung ihren Arbeitsplatz zu verlieren und Wohlstand einzubüßen.
Die Gefahr besteht natürlich. Je mehr Veränderung, desto mehr Menschen sind davon betroffen. Und da ist es ganz wichtig: Wenn Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren, sollte es nicht nur darum gehen, zu sagen, dann sucht euch woanders einen Arbeitsplatz, sondern darum, sie bei dieser Transformation zu unterstützen, indem man die zukunftsfähige Version ihres Jobs findet. So sollten beispielsweise Menschen, die früher im Energiebereich mit fossilen Energieträgern gearbeitet haben, eine Umschulung zu erneuerbaren Energieträgern erhalten. Das Entscheidende ist aber, das nicht dem Individuum umzuhängen, sondern es als gesellschaftliche Aufgabe zu sehen und die Menschen in dieser Veränderung zu unterstützen.
Ein Ziel, das immer wieder im Wahlkampf genannt wird, ist Wirtschaftswachstum. Lassen sich Wachstum und Klimaschutz überhaupt in Einklang bringen?
Es ist möglich. Wir haben erst kürzlich eine Studie mit dem Wegener Center für Klima und Globalen Wandel an der Universität Graz durchgeführt, in der wir drei verschiedene Szenarien für Österreich aufgezeigt haben. Eines davon ist Green Growth, also ein grünes Wachstumsszenario. Das ist aber davon abhängig, dass sehr viel grüner Strom importiert wird. Und da ist die große Frage, wo dieser aktuell herkommen soll. Das zweite ist ein Transitionsszenario, das vorsieht, das österreichische Energiesystem wirklich umzubauen und so viel grünen Strom in Österreich zu produzieren, dass wir autark und nicht mehr von Energieimporten abhängig sind. Der große Vorteil dabei wäre: Die Wertschöpfung bleibt in Österreich, und die Arbeitsplätze in Österreich werden gefördert. Im dritten Szenario geht es darum, gleichzeitig auch die soziale Gerechtigkeit zu erhöhen.
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Eine gut funktionierende Wirtschaft, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit, das klingt perfekt. Aber ist es wirklich so leicht umzusetzen?
Natürlich braucht das neue Institutionen, neue Praktiken. Es ist notwendig, den Energiesektor umzustellen. Außerdem haben wir versucht, mit Transitionsszenarien, bei denen die Einkommensverteilung adressiert wird, u. a. Möglichkeiten zu schaffen, den Zugang zu Geräten und zu Diensten mit Sharingmodellen für alle zu ermöglichen.
Man müsste also nichts mehr besitzen, sondern könnte sich alles ausborgen?
Ja, es könnte beispielsweise ein Community Center geben, in dem man Geräte wie Bohrmaschinen online buchen und dann ausborgen kann. Denn für die paar Mal im Jahr, die man eine benötigt, muss man keine eigene besitzen. Im Gegenteil: Wenn ich mir eine ausborge, wird sie gewartet und ist in einem guten Zustand. Außerdem brauche ich keinen Platz, an dem ich sie aufhebe. Wenn man das mit vielen Dingen macht, benötigt man deutlich weniger Lagerflächen. Gleiches gilt auch für Autos.
Aber glauben Sie, dass da alle mitmachen würden, oder wären es nicht wieder die reichen Menschen, die sagen: Ich will meine eigene Bohrmaschine und verzichte nicht aufs Auto?
Es geht nicht darum, dass verboten wird, sich eine Bohrmaschine privat anzuschaffen, sondern darum, ein Angebot zu schaffen. Natürlich profitiert man von einem Netzwerkeffekt. Je mehr das Sharingmodell nutzen, desto enger kann das System sein. Wenn es nicht viele in Wien nutzen, dann gibt es vielleicht nur eine Handvoll derartige Community Center, und man muss weit fahren, um eine Bohrmaschine auszuborgen. Ebenso sollten Autos nicht verboten werden. Aber Studien zeigen, dass man nur ein Siebtel der Autos benötigen würde, um die gleiche Mobilität zu gewährleisten. Also niemand hätte Einschränkungen, in dem Sinne, wie viel man fährt, sondern es würden einfach viel weniger Autos ungenutzt irgendwo parken. Diese freiwerdenden Flächen durch weniger benötigte Parkplätze könnte man wiederum begrünen und die Städte somit attraktiver und nachhaltiger gestalten. Wenn nur ein Siebtel der Autos produziert würde, bräuchte man außerdem viel weniger Materialien, wie Stahl, Aluminium und Lithium. Das wäre aus Umweltperspektive sehr erfreulich.
Aber gerade das Auto ist in Österreich ein wichtiges Statussymbol für viele Menschen. Kann man das eine Gesellschaft dahingehend ändern?
Natürlich ist es bei der Bohrmaschine leichter als beim Auto. Es gibt beispielsweise Untersuchungen, dass Menschen, die im Großraumbüro arbeiten und den ganzen Tag Reizen ausgesetzt sind, die 20 Minuten Heimfahrt im Auto als Me-Time genießen und brauchen. Das sind schon nachvollziehbare Begründungen und ernst zu nehmende Aspekte für das menschliche Wohlbefinden. Da ist es nicht so trivial, einfach nur zu sagen, na komm, jetzt lern einfach, dass das Emissionen hat und sei rational, oder finanzielle Anreize zu geben und zu glauben, dann wird es schon werden. Trotzdem ist ein wichtiger Klimaschutz-Faktor, den motorisierten Individualverkehr zurückzuschrauben. Das heißt aber nicht, dass niemand ein Auto besitzen darf. Fällt es jemandem ganz, ganz schwer, bemüht sich diese Person aber in einem anderen Bereich besonders, umweltfreundlich zu sein, dann sei es so.
Ich glaube nicht, dass man zu sehr ins Social Engineering kommen sollte, um allen Menschen alles vorzuschreiben. Es ist wichtig, den Menschen Handlungsräume zu geben, dort, wo es ihnen leichter fällt, zuerst umweltfreundlich zu werden.
Irgendwann wird sich jeder auch in den Bereichen, die schwer fallen, umstellen müssen. Kann eine künftige Regierung das steuern?
Natürlich gibt es da Möglichkeiten. Unser Handeln ist natürlich beeinflusst von unseren Präferenzen und unseren Einstellungen, aber gleichzeitig auch von den Strukturen, in denen wir agieren. Das ist einerseits die physische Infrastruktur. Wenn ich mit der U-Bahn schneller bin oder Radwege sicher sind und ich mich dabei auch noch sportlich betätige, dann werde ich nicht auf die Idee kommen, mir ein Auto anzuschaffen. Es geht aber auch um soziale Infrastruktur. Wenn ich zum Beispiel mit einem SUV vor unser Institutsgebäude fahren würde, würden meine Kolleginnen und Kollegen fragen, ob ich verrückt sei. In anderen sozialen Gruppen wiederum gewinnt man mit einem großen Auto sozialen Status.
In den nächsten Jahren wird sich in Bezug auf das Auto also nicht viel verändern?
Wenn wir überlegen, was sich in den letzten Jahrzehnten alles verändert hat, merkt man schon, dass sich auch diese Normen und diese Kultur verändern können. Ein Beispiel ist das Rauchen. Vor ein paar Jahren war es noch gang und gäbe, in geschlossenen, öffentlichen Räumen zu rauchen. Das wäre heute undenkbar. Man sieht also, dass sich soziale Normen ändern können, aber es benötigt Zeit.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 38/2024 erschienen.