Mehrere Todesopfer, Sachschäden in unabsehbarer (Millionen-)Höhe. Die Hochwasserkatastrophe hat den Osten Österreichs schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die Politik, mitten im Wahlkampf, bemüht sich um Empathie und Krisenfestigkeit. Aber wie stehen die Chancen, dass sich auch langfristig etwas ändert?
Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer besucht in Jeans und Pulli das Krisenzentrum der Einsatzkräfte, die wohl auch ohne Politikerbesuch wüssten, was zu tun ist. Der Traiskirchner Bürgermeister und SPÖ-Chef Andreas Babler dirigiert in Feuerwehrjacke die Notmaßnahmen in seiner Stadt. FPÖ-Chef Herbert Kickl im Flanellhemd demonstriert in einem Video Mitgefühl. Und Klimaministerin Leonore Gewessler meldet sich von der zentralen Straßenaufsicht der Asfinag (auch dort würde der Betrieb ohne ihren Besuch klaglos laufen).
Währenddessen kämpfen Zehntausende Feuerwehrleute gegen die schlimmsten Auswirkungen eines Hochwassers, von dem die Betroffenen sagen, so etwas hätten sie in ihrem Leben noch nie gesehen. Menschen versuchen, ihr Hab und Gut zu retten. Oft warten sie Stunden auf die völlig überlastete Feuerwehr, die mit dem Auspumpen von Kellern gar nicht mehr nachkommt, weil es erst einmal gilt, Leben zu retten.
Offiziell macht der Wahlkampf in diesen Tagen Pause. Inoffiziell grübeln PR-Strategen, wo der schmale Grat zwischen Empathie und Krisenmanagement auf der einen Seite und billiger Anbiederung auf der anderen verläuft. Das alles im Endspurt eines Wahlkampfs, in dem das Thema Klimakrise bisher kaum eine Rolle gespielt hat.
53 Tropennächte in der Wiener Innenstadt im Sommer? Ließen Politik und Wähler kalt. Werden nun die Fluten einen Einfluss darauf haben, wo man am 29. September sein Kreuzchen macht?
Werden sie die Politik jener ändern, die bisher über „Klimahysteriker“ gehöhnt haben (die FPÖ) oder davon schwadroniert, dass es „für die Untergangsapokalypse keinen wissenschaftlichen Beweis“ gebe (der Bundeskanzler)?
Rund zehn Prozent der Wahlberechtigten sind zwei Wochen vor der Nationalratswahl noch unentschlossen. Politikexperten erwarteten nur noch wenig Bewegung am Wählermarkt. So war es jedenfalls vor dem Hochwasser.
Was macht die Flut mit uns?
Die Bilder überfluteter Landstriche, eines reißenden Stromes durch die Wiener Innenstadt, versunkener Autobahnen machen betroffen. Aber verändern sie, wie wir denken, handeln oder wählen? Schwindet die Betroffenheit, sobald der Schlamm weggeputzt ist?
Der Umweltpsychologe Norman Schmid lebt selbst im Hochwassergebiet rund um St. Pölten. In der Nacht auf Sonntag musste er zur Schaufel greifen und das Wasser umleiten, als sich ein Rinnsal nahe seinem Haus zur bedrohlichen Gefahr ausgewachsen hatte. Auch dem Gebäude, in dem seine Ordination in St. Pölten untergebracht ist, kam das Hochwasser bedenklich nahe. Ihm gibt das zu denken, er will die Schutzmaßnahmen künftig intensivieren.
Doch das Verhalten der Menschen folgt meist anderen Mechanismen, weiß er. Wir würden es nicht aushalten, ständig im Alarmmodus zu sein. Gewohnte Verhaltensmuster zu ändern, „kostet uns zu viel Kraft, daher lassen wir es lieber bleiben“, sagt er auf die Frage, ob die Bilder vom Wochenende Menschen zu klimaschonendem Verhalten animieren könnten. „Der Mensch verändert sich nicht gerne, außer es geht um etwas extrem Positives, dann geht es flotter.“
Dabei hätten Verhaltensänderungen überwiegend positive Effekte für den Einzelnen, sagt Schmid. Wer handelt, hat weniger Angst vor Krisen. Wer zum Beispiel sein Haus dämmt, spart Kosten, erhöht seine Zukunftsresilienz. „Leute, die sehr umweltaffin sind und viel in Richtung Nachhaltigkeit machen, fühlen sich gut dabei.“ Und verlören oft die gute Laune, wenn sie sehen, wie wenig andere tun. „Dafür können allerdings die Menschen nichts. Man muss der Politik vorwerfen, dass sie in Sachen Klimamaßnahmen Verunsicherung sät.“
Zudem schlägt bei den meisten ein Phänomen durch, das sich kognitive Dissonanz nennt. Man will gut sein und richtig handeln, doch wenn das nicht gelingt, etwa indem man doch viel mit dem Auto fährt oder fliegt, redet man das Problem klein und die Bemühungen der anderen schlecht.
Was meist übersehen wird, ist, dass Veränderungen nicht wehtun müssen“, sagt der Umweltpsychologe. „Man muss nicht alles über Bord werfen, man kann sein Verhalten anfangs ja auch nur ein bisschen modifizieren.“ Freilich, die menschliche Psyche ist dafür nicht gebaut. „Belohnungen werden nicht gern aufgeschoben. Und wenn das Belohnende klimaschädlich ist, dann kann man halt nichts machen. Das ist unsere Grundtendenz. Dabei geht es ja auf lange Sicht nicht um Klimaschutz, sondern um Menschenschutz. Dem Klima ist es egal, wie das Klima ist.“
Ein Opfer des Populismus
Die Umweltexpertin Katharina Rogenhofer hat 2018 Fridays For Future Österreich mitgegründet, war Sprecherin des Klimavolksbegehrens und leitet heute das Kontext Institut für Klimafragen. „Sehr gespannt“ sei sie, sagt sie, ob das Hochwasser das Bewusstsein der Menschen verändern werde. „Noch ist großteils Krisenkommunikation angesagt. Ich bin nicht sicher, ob in den nächsten ein, zwei Wochen auch über notwendige strukturelle Veränderungen gesprochen wird. Hochwasser haben in der Geschichte Österreichs ja schon manchmal etwas verändert. Vielleicht ist jetzt tatsächlich der Zeitpunkt, an dem Klima wieder ein entscheidendes Thema wird. Vielleicht ist es aber auch damit gegessen, dass die Parteien versprechen, Geld zur Verfügung zu stellen, und dass Menschen ihre Keller auspumpen. Die große Frage ist ja: Müssen wir das jährlich machen oder nur alle elf Jahre, weil wir gute Klimapolitik machen?“
Dazu, dass die Klimakrise im Wahlkampf bisher kaum ein Thema war, meint die Expertin: „Den Menschen ist vor allem das wichtig, was als wichtig kommuniziert wird. Das waren zuletzt Teuerung, Inflation, der Angriffskrieg auf die Ukraine. Krisen, die die Menschen auch selbst gespürt haben und die daher höher auf der Agenda sind. Dazu kommt, dass der Zusammenhang zwischen Wetter und Klima nicht thematisiert wird. Es regnet viel, wir haben Überflutungsopfer – aber es wird nicht gesagt, dass das mit der Klimakrise zusammen hängt und dass es auch systemische Änderungen geben muss.“
Zudem seien wichtige Maßnahmen wie etwa das EU-Renaturierungsgesetz* unter die Räder des Wahlkampfes gekommen. „Bei der Debatte darum ging es nicht um Katastrophenschutz. Sie wurde mit Desinformation und Populismus so zugespitzt, bis nur noch übrig blieb, ob Bauern Schmetterlinge zählen müssen oder nicht. Was das Ganze natürlich ins Lächerliche zieht.“ Im FPÖ-Wahlprogramm werde das Thema Klima insgesamt auf Klimahysterie reduziert.
*Erklärung: Das Renaturierungsgesetz sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten der EU Maßnahmen setzen, um Ökosysteme wiederherzustellen. Dazu zählen die Vernässung trockengelegter Moore, die Aufforstung der Wälder und Begrünung in städtischen Gebieten. Zudem sollen Flüsse mehr Raum bekommen, um Hochwässer zu vermeiden. Das alles soll dazu beitragen, die angestrebte Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.
Klima, Wirtschaft, Eigennutz
Selbst wer nicht von einer Sache überzeugt ist, über den persönlichen Vorteil oder Schaden ist er dennoch anzusprechen. Noch lässt sich zwar nicht abschätzen, wie viel die Hochwasserschäden kosten werden, doch die Regierung hat bereits zugesagt, finanzielle Hilfe zu leisten. Der Spielraum in kommenden Budgets für andere Maßnahmen wird dadurch kleiner. Eine Studie des Complexity Science Hub kommt zu dem Schluss, dass die direkten und indirekten Kosten (etwa durch unterbrochene Lieferketten) der Klimakrise in Europa zu BIP-Verlusten von mehr als zehn Prozent führen könnten, was einen Verlust von Wohlstand bewirkt. Wird dieser für den Einzelnen spürbar, könnte das die Erwartungen an die Politik verändern.
Wie künftige Regierungen darauf reagieren sollen? Mit „Climate Leadership“, wünscht sich die Umweltökonomin Sigrid Stagl im Interview mit News. Im laufenden Wahlkampf geht es den meisten Parteien allerdings eher darum, die Wirtschaft nicht durch Klimapolitik zu bremsen.
Das Klima und die Wahl
Das Klima und die Wahl Bisher hat das Klimathema im Wahlkampf vor allem mit negativem Vorzeichen Platz gefunden. ÖVP und FPÖ buhlen um die Skeptiker. Der Kanzler leugnete in seiner Österreich-Rede den – längst geführten – Beweis für die Klimakrise. Die FPÖ kalauert von „Klimahysterikern“. Für die nähere Zukunft darf man risikofrei folgende Prognose wagen: Die Parteien werden es nicht aushalten, bis zum 29. September das Hochwasser als Wahlkampfthema auszulassen. Politikexperte Thomas Hofer warnt schon jetzt vor politischer Überinszenierung, sieht allerdings im Nachgang der Krise Chancen für Grüne und ÖVP. Für die einen, weil es ihr politisches Kernthema betreffe, für die anderen, weil sich die Menschen bei Krisen zunächst einmal um ihre Anführer, also die Regierenden scharen.
Dagegen spricht ein Blick auf die Ergebnisse der EU-Wahl am 9. Juni 2024. Am Tag davor richtete ein Unwetter in der Steiermark und in Kärnten verheerende Schäden an. In beiden Bundesländern gewann die FPÖ die Wahl souverän.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 38/2024 erschienen.