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Musikexperte Tschürtz: "Eurovision ist ein eigenes Genre"

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Aktualisiert
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8 min
Dank JJ kehrt der Song Contest zurück nach Österreich
©APA, KEYSTONE, GEORGIOS KEFALAS
Das ganze Land ist im Song-Contest-Fieber: Dank JJs Triumph beim 69. Wettbewerb in Basel kehrt das musikalische Kräftemessen 2026 zurück nach Österreich. Mitgefiebert hat am Wochenende auch Musikexperte Hannes Tschürtz, dessen Agentur Ink Musik am Vorauswahlprozess für den diesjährigen ESC beteiligt war. Mit der APA sprach der Labelbetreiber über das Besondere des Siegertitels "Wasted Love", die Bedeutung des Bewerbs und seinen Tipp für den Austragungsort 2026.

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APA: Was war Ihr Gedanke, als Sie "Wasted Love" zum ersten Mal gehört haben?

Hannes Tschürtz: Der erste Gedanke war tatsächlich: Wenn er das singen kann, dann gewinnt er. (lacht) Ich habe es gehört, bevor ich alle anderen Beiträge gehört habe. Wir haben ein ESC-Songwritingcamp für den ORF gemacht und haben da sehr schöne Songs entwickelt. Die sind dann Zweiter und Dritter geworden in der internen Vorausscheidung, weil dieser Titel einfach viel zu gut war. Die einzige Sorge war, dass man durch die hohe Stimme ein bisschen in das Fahrwasser des letzten Jahres ("The Code" von Nemo, Anm.) gelangt. Aber die Nummer ist trotzdem so einzigartig und so besonders, dass das schnell vergessen war.

APA: Besonders war auch die Inszenierung, die sich stark vom Rest des Feldes abgehoben hat. Wie wichtig war dieser Aspekt?

Tschürtz: Extrem. Es gibt kaum etwas, wo die visuelle Komponente so bedeutend ist, wie beim Song Contest. Schon das Video hatte im Vorfeld einen großen Effekt, um diesen Hype, wenn man es so nennen will, herzustellen. Beim Song Contest selber basiert das eher auf einer subtilen Note. Es gibt Dinge, die sehr auffällig sind, aber meistens das betonen, was da ist. Das kann übertriebener Kitsch sein oder ultratrashig, wenn man an den finnischen Beitrag denkt. Aber es hat den Punkt sehr deutlich gemacht, was es ist und das unterstrichen. Das hat für unsere Nummer auch gegolten. Er hat jetzt nicht gewonnen, weil das schwarz-weiß war. Aber es hat alles betont, was zwischen den Zeilen mit dieser Nummer passiert: Diese schöne Brücke zwischen klassischer Musikwelt und Pop.

APA: Wann war der Moment, als Sie dachten, dass der Sieg realistisch ist?

Tschürtz: Ich habe am Samstagabend den Kopf geschüttelt und gedacht: Der gewinnt das wirklich! (lacht) Ich kenne das Team leider nur ganz flüchtig. Aber man freut sich für die Leute, dass dieser ganze Wahnsinn irgendwann auch tatsächlich belohnt wird. Wann haben wir es geglaubt? Ich weiß nicht. Ich habe ein wenig Sorge gehabt, dass ein trashiger Titel gewinnt, und das mag ich als Musikmensch nicht so. So was wie der schwedische Beitrag heuer, das darf aus meiner Sicht nicht gewinnen. (lacht) Fair enough, das gehört zum Song Contest dazu, aber dass es das Höchste ist? Aber aus irgendeinem Grund einigt sich Europa beim Song Contest meist auf etwas, was dann im Endeffekt eh okay ist.

APA: Welchen Stellenwert hat der Song Contest für die Musikbranche generell?

Tschürtz: Es ist natürlich eine riesengroße Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit. Aber schaut man sich die Entwicklung der Musik in den vergangenen 20 Jahren an, dann sieht man: Eurovision ist ein eigenes Genre geworden. Es ist eine Bubble geworden, die nicht unbedingt in sich geschlossen ist, aber eine extrem starke Eigendynamik entwickelt hat. In der Globalisierung und Diversifizierung der Musik gibt es so viele verschiedene Spielfelder. Der Contest hat nicht mehr diesen Allgemeingültigkeitsanspruch wie vielleicht vor 30 oder 40 Jahren, als die ganze Familie Samstagabend da gesessen ist, und am nächsten Tag hat es jeder gekauft. Nichtsdestotrotz geht ein riesengroßer Effekt davon aus, weil du Musik im ganzen Jahr niemals so schnell so öffentlich machen kannst. Man darf nicht vergessen, dass JJ eigentlich nicht existiert hat in der Musikbranche. Das ist seine erste Single. Das ist natürlich ein gigantischer Start, den du ohne Song Contest so nicht haben kannst. Und für die Branchenbedeutung: Es ist ein schönes Signal, dass hier sehr originelle, sehr kreative, sehr gute Musik gemacht wird.

APA: Nun kommt der ESC wieder nach Österreich. Gleichzeitig gibt es einen großen Spardruck in vielen Bereichen. Welche positiven Auswirkungen kann der Bewerb da haben?

Tschürtz: Ich halte die budgetäre Situation wie alle anderen auch für extrem herausfordernd. Gleichzeitig ist in der Arbeit mit der politischen Ebene in den vergangenen Jahren extrem viel Positives passiert. Man hat langsam verstanden, dass diese kleinen, unorganisierten, feingliedrigen Strukturen der Musikwirtschaft auch etwas wahnsinnig Positives haben können. Es wird sehr stark an der Branche selber liegen, aus dem Song Contest etwas zu machen. Der Staat wird nicht hergehen und Millionen über uns ausschütten. Aber die Aufmerksamkeit zu nutzen und das bestenfalls so zu orchestrieren, dass man es unter effizientem Einsatz von Mitteln zuwege bringt, für diese gesamte Branche was abzuleiten. Dafür wird man die Politik brauchen. Ich glaube auch, dass das geht. Es gibt sehr viele gute Ideen dazu. Es wird ein sehr interessantes Jahr für alle werden.

APA: Offen ist, wo der Bewerb über die Bühne gehen wird. Wird es wieder Wien werden?

Tschürtz: Ich habe da nichts zu sagen. (lacht) Mein Tipp wäre Innsbruck, weil die sich vor zehn Jahren schon extrem bemüht haben. Außer Wien haben nicht viele Städte oder Orte die Infrastruktur, das wirklich zu stemmen. Seriöse Kandidaten sind in Wirklichkeit Wien, Graz und Innsbruck. Und Graz sehe ich nicht. Die finanzielle Herausforderung und dass der letzte Bewerb hier noch nicht so lange her ist, spricht vielleicht eher gegen Wien. Aber niemand würde ein Problem damit haben, wenn es wieder Wien wird. Der Bewerb vor zehn Jahren war fantastisch organisiert und durchchoreografiert. Von daher könnte man auch argumentieren: Das ist eine Form von Routine, und man macht es einfach noch mal so. Aber mein Tipp wäre tatsächlich Innsbruck, weil sich das auch mit dem Jubiläum der Olympischen Spiele von 1976 trifft. Außerdem: Den Song Contest ins konservative Kernland Österreichs zu bringen und dort abzuhalten, wäre auch symbolisch schön.

(Das Gespräch führte Christoph Griessner)

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