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Interview - Wir liebten Jack Unterweger

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Unterwegers Geliebte
©www.sebastianreich.com

Heute sind die beiden Geliebten des Frauenmörders Freundinnen fürs Leben.

Sie sind völlig unterschiedlich. In ihren Charakteren, im Aussehen, einfach in so vielem. Astrid Wagner. Bianca Mrak. Und doch gibt es etwas, das beiden gleich ist. Einen Mann, der ihr Leben sehr beeinflusst hat, vielleicht viel mehr, als sie sich selbst eingestehen wollen. Jack Unterweger.

Jack Unterweger, der Serienkiller. Jack Unterweger, dessen Name in die Kriminalgeschichte eingegangen ist, weltweit. Jack Unterweger, der sich nach seinem Prozess erhängt hat. In seiner Zelle im Grazer Landesgericht. Am 29. Juni 1994. Vor 20 Jahren.

Astrid Wagner und Bianca Mrak: Sie waren seine letzten zwei Frauen. Hielten zu ihm, nachdem sich seine zahlreichen anderen Liebschaften längst von ihm abgewandt hatten, besuchten ihn in der U-Haft, glaubten fest an seine Schuldlosigkeit. Standen ihm bei, in seinem Kampf gegen die Justiz. Und jede dachte, sie wäre der wichtigste Mensch für ihn. Bis diese fatale Briefverwechslung geschah. Wagner von dem "Häf’npoeten“ ein Schreiben bekam, das für Mrak bestimmt gewesen war. Und umgekehrt.

"Unsere Sympathien zueinander sind danach nicht besonders groß gewesen“, sagen sie, "aber mittlerweile mögen wir uns.“ Im NEWS-Doppel-Interview sprechen Wagner und Mrak nun über das Früher, über ihre Beziehungen zu dem Mörder, über die "Zeit nach Jack“ und ihre späte Freundschaft.

NEWS: Frau Wagner, Frau Mrak: Was hat Sie beide einst so sehr an Unterweger fasziniert?
Astrid Wagner:
Unsere Motive sind total andere gewesen.
Bianca Mrak: Also, ich habe ihn wirklich geliebt.

NEWS: Sie nicht, Frau Wagner?
Wagner:
Vorweg: Ich lernte Jack erst kennen, als er bereits inhaftiert war. Als junge Juristin. Ich arbeitete damals bei der Mietervereinigung Graz, führte ein geregeltes Leben, hatte einen fixen Freund. Doch trotz meiner bürgerlichen Erziehung ist in mir immer schon der Hang zu dem "Anderen“ gewesen. Zu Menschen, denen es nicht so gut ging wie mir. Zu Gestrandeten, Entrechteten. Das war auch der Grund, warum ich Jack einen Brief ins Gefängnis schickte. Ich dachte tatsächlich, an ihm würde ein schrecklicher Justizirrtum geschehen. Und dann lud er mich ein, ihn hinter Gittern zu besuchen. Damit nahm alles seinen Anfang. Ich ging zu ihm, immer öfter - und verliebte mich langsam in ihn. Trennte mich von meinem langjährigen Lebensgefährten. Und wollte Jack sogar heiraten.
Mrak: Du, Astrid, hattest damals die weitaus bequemere Rolle als ich. Mich hat er, während ihr zwei ohne mein Wissen geturtelt habt, weiterhin ganz mies ausgenützt. Und ich ließ das zu. Trotz allem.

NEWS: Trotz welcher Dinge?
Mrak:
Ich bin 17 gewesen, als ich ihn in einer Disco kennenlernte, mich in ihn verknallte. Und völlig abdriftete. Wegen ihm die Schule schwänzte, mich von ihm kontrollieren ließ. Und nachdem ein Haftbefehl über ihn verhängt wurde, war ich sogar dazu bereit, mit ihm nach Miami zu flüchten.

NEWS: Wo er letztlich gefasst worden ist …
Mrak:
Und ich auch. Ich, das Unterweger-Flittchen, die doofe Schülerin, die einem Killer auf den Leim gegangen war. So wurde ich nach meiner Rückkehr in den Medien dargestellt. Aber ich bin damals ja wirklich naiv gewesen. Das hab ich erstmals gecheckt, als ich nach meinem "Amerika-Trip“ zum Gynäkologen ging und der an mir so ziemlich sämtliche Geschlechtskrankheiten diagnostizierte, die es gibt.

NEWS: Dennoch hielten Sie weiter zu Jack.
Mrak:
Ja, ich suchte mir einen Job, schickte ihm fast mein ganzes Gehalt ins Gefängnis. Sorgte dafür, dass er regelmäßig Wäschepackerl kriegte und schrieb ihm brav ellenlange Liebesbriefe. Ihn besuchen durfte ich ja vorerst nicht, da ich noch nicht volljährig gewesen bin. Zu Visiten kam es folglich erst später. Als er bereits mit Astrid in engem Kontakt war. Wovon er mir natürlich kein Wort erzählte.
Wagner: Ich wusste hingegen immer von Bianca. Und auch, wenn sie mir das bis heute nicht glauben mag - Jack hing tatsächlich sehr an ihr.
Wagner: Ich wusste hingegen immer von Bianca. Und auch, wenn sie mir das bis heute nicht glauben mag - Jack hing tatsächlich sehr an ihr.
Mrak: Naja, in dem Brief, der für Astrid bestimmt war und mich erreichte, war zu lesen, dass ich ein Dummchen sei.
Wagner: Und ich spürte einen Stich im Herzen, als ich in dem Brief an Bianca die Anrede sah: "Mein geliebter Schatz …“

NEWS: Wie kam es eigentlich zu dieser Vertauschung?
Wagner: Bei Gericht sei unabsichtlich ein Fehler geschehen, hieß es. Worüber ich nur lachen kann. Denn selbstverständlich passierte diese "Verwechslung“ bewusst. Um uns beide, Bianca und mich, von Jack wegzukriegen, ihm seine Unterstützerinnen zu nehmen.
Mrak: Was bei mir gelungen ist. Für mich war danach endgültig Schluss mit Jack. Und für Astrid die Bahn frei. Nun durfte sie voll für ihn sorgen.
Wagner: Die Bahn frei - das scheint mir ein bisschen übertrieben ausgedrückt. Denn ich ahnte ja längst schon, dass es für mich nie eine Zukunft mit Jack geben würde. Weil ich fühlte, dass es für ihn in Wahrheit keine Chance auf einen Freispruch geben konnte, da er einer immensen Vorverurteilung ausgesetzt war.

NEWS: In der Nacht nach seiner Verurteilung zu lebenslanger Haft nahm er sich das Leben. Frau Mrak, Frau Wagner - Ihre Empfindungen, als Sie die Todesnachricht erhielten?
Mrak: Ich bin unberührt gewesen. Und nicht überrascht. Jack hatte den Suizid im Falle eines Schuldspruchs schließlich wiederholt angekündigt.
Wagner: Ich war am Boden zerstört und raste zum Landesgericht Graz. Dort erfuhr ich, sein Körper sei bereits in der Gerichtmedizin. Ich also dorthin. Weil ich ihn unbedingt noch einmal sehen wollte. Doch das wurde mir nicht erlaubt.

NEWS: Waren Sie beide bei seinem Begräbnis?
Mrak: Ich nicht. Warum auch?
Wagner: Ich bin dabei gewesen, bei seiner Urnenbestattung, zu der nur sehr wenige Menschen gekommen sind.

NEWS: Und das Danach?
Wagner: Es ging mir irrsinnig schlecht, über Monate hindurch befand ich mich in einem tiefen seelischen Loch. Aber irgendwann schaffte ich es, mich einzukriegen und neu zu beginnen. Ich zog nach Wien, begann als Anwältin zu arbeiten, machte mich später selbständig.
Mrak: Ich war leider weniger tough. Obwohl ich dachte, es zu sein. Jack hat mein Leben, wie mir mittlerweile klar ist, nämlich nachhaltig mehr beeinflusst, als ich es zulassen wollte.

NEWS: Inwiefern?
Mrak: Zuerst mutierte ich zum Party-Girl. So viele Menschen, die wegen meiner traurigen Berühmtheit mit mir in Kontakt sein wollten, so viele Männer, die mich unbedingt rumkriegen wollten. Es dauerte einige Zeit, bis ich dieses üble Spiel, das da mit mir stattfand, durchschaute. Und ein normales Leben in einem normalen Beruf begann. Als Redaktionsassistentin bei einer Zeitung. Bis diese eingestellt wurde. Danach gings mit mir rapide bergab. All die unaufgearbeiteten Erlebnisse mit Jack kamen plötzlich in mir hoch. Ich litt an Depressionen und Panikattacken. Konnte kaum Menschen um mich herum vertragen. Wurde Frühpensionistin. Bis ich mich endlich - vor ein paar Monaten - aufraffte und zu mir sagte: "So kann es nicht weiter gehen.“ Ich ging auf Jobsuche. Und bekam tatsächlich eine Chance: Ich arbeite jetzt als Reporterin bei den Niederösterreichischen Bezirksblättern. Mit Begeisterung. Ich hatte sogar schon meine erste Exklusiv-Story.
Wagner: Gratulation! Ich freue mich für dich, Bianca.
Mrak: Und ich freue mich für dich, Astrid, dass du nun eine der bekanntesten Verteidigerinnen Österreichs bist.

NEWS: Wenn Sie beide schon so eifrig beim Austausch von Höflichkeiten sind - wie geschah es, dass sie von Feindinnen zu Freundinnen wurden?
Mrak: Ich hatte vor einigen Jahren ein Mietrechtsproblem und brauchte juristischen Beistand. Und ich dachte mir: "Schwamm drüber über die Vergangenheit. Geh zu der Astrid. Da bist du in den besten Händen - und außerdem ist sie mir wegen Jack eh noch was schuldig.“ Fazit: Sie gewann den Prozess für mich.

NEWS: In der Phase des Gerichtsverfahrens haben Sie sicherlich auch über das Früher gesprochen?
Wagner: Ja, und wir kamen bei diesen Gesprächen laufend mehr miteinander ins Reine.
Mrak: Und später hab ich Astrid über Facebook geaddet - in der Folge begannen wir zu chatten und uns manchmal auf einen Plausch zu treffen. Das blieb bis heute so.

NEWS: Worüber reden Sie bei diesen Pläuschen?
Wagner: Jack Unterweger ist jedenfalls kaum noch ein Thema.
Mrak: Sicher nicht. Aber andere Männer schon.

NEWS: Welche Männer?
Wagner: Unsere Partner, zum Beispiel.
Mrak: Und wir sprechen auch viel über unsere "Kinder“: Astrid hat drei Katzen. Ich zwei Hunde.

NEWS: Den Wunsch, ein Baby zu kriegen, gab es bei Ihnen beiden nie?
Wagner: Bei mir hat sich eine Familiengründung einfach nicht ergeben.
Mrak: Ich schloss immer kategorisch aus, Mutter zu werden.

NEWS: Warum?
Mrak: Ich hatte zu lange zu viel mit mir selbst zu tun, musste enorme Energie aufbringen, um mich auf die Reihe zu bringen. Ich brauchte all meine Kraft für mich. Nach meiner absurden Jugend.

NEWS: Womit wir wieder bei Unterweger sind. Was ist Ihre Meinung jetzt zu ihm? Halten Sie beide ihn nach wie vor für schuldlos? Oder sehen Sie ihn nun mit anderen Augen?
Wagner: In meinem Innersten glaube ich bis dato nicht, dass er die ihm angelasteten Taten begangen hat. Ich traue sie dem Menschen, als den ich ihn kennengelernt habe, diesem einfühlsamen, charismatischen Mann - einfach nicht zu. Aber meine rosa Brille ist in der Zwischenzeit selbstverständlich verschwunden. Und ich erkenne nun schon auch klar die Indizien, die ihn, vielleicht zu Recht, belastet haben.
Mrak: Ich war lange, was seine Schuld oder Nichtschuld betrifft, im Zweifel. Weil ich über Jahre so sehr beeinflusst wurde, von verschiedenen Seiten. Die Kriminalpolizei, die Staatsanwaltschaft - dauernd versuchten die Ermittler, mich davon zu überzeugen, dass Jack eine fürchterliche Bestie und brandgefährlich sei. Und seine Anwälte redeten wieder auf ganz andere Weise auf mich ein. Wodurch ich am Ende total verwirrt gewesen bin und überhaupt nicht mehr wusste, was richtig und was falsch war.

NEWS: Und heute?
Mrak: Bin ich mir sicher, dass er zu Unrecht verurteilt wurde. Und eines möchte ich, trotz der schlechten Dinge, die ich über Jack erzählt habe, noch sagen: Auch, wenn es komisch klingt - er war einer der "normalsten“ Männer in meinem Leben.

NEWS: Klingt traurig.
Mrak: Ist aber leider wahr.

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