Sigrid Schultz berichtete aus Berlin über den Aufstieg der Nationalsozialisten
1893 in Chicago geboren als Tochter eines bekannten norwegischen Malers, holte der Württembergische Königshof die Familie 1901 nach Deutschland für ein Porträt des Königspaares. Schultz besuchte eine französische Schule, und studierte an der Sorbonne Internationales Recht. 1919 begann sie im Berliner Büro der Chicago Tribune – einer Tageszeitung mit mehreren Radiostationen – als Übersetzerin, übernahm sehr bald die Aufgaben einer Korrespondentin. Eine ungewöhnliche Karriere, da Zeitungen damals Kolleginnen für ‚Soft News‘ einsetzten – Mode, Hochzeiten, Film- und Theaterkritiken. 1925 beauftrage sie die Chicago Tribune mit der Leitung des Mitteleuropa-Office in Berlin. Ihre kritischen Berichte und Interviews mit der aufstrebenden NS-Elite machten sie bald in ganz Amerika bekannt. In einem der wenigen Interviews, die Hitler der internationalen Presse gab – am 4. Dezember 1932 – sagte er zu Schultz: „In spätestens einem Jahren übernehme ich die Macht in Deutschland.“ Er irrte sich um einen Monat.
Geheimdienst
Göring verdächtigte sie, für den Geheimdienst zu arbeiten, bis Schultz ihn während eines Mittagessens im ‚Internationalen Presse-Klub‘ damit konfrontierte. Göring reagierte verärgert, stritt es ab und sagte: „Sie haben keinen Respekt vor Autoritäten, wahrscheinlich ist das ein Verhalten unter Gangstern in Chicago.“ Er nannte sie den ‚Drachen von Chicago‘. Nach 1933 riskierte sie ihr Leben mit der Unterstützung verfolgter Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Berlin. Es gelang ihr, den Musiker Hans Rosenwald mit einem US-Visum aus dem Lager Oranienburg zu befreien. Die Gestapo verhörte sie, warf ihr vor, Jüdin zu sein, konnten es jedoch nicht nachweisen. Für Hansi Burg, der jüdischen Freundin von Hans Albers, organisierte sie eine Hochzeit mit einem Norweger, der sie ins Ausland rettete.
Während der Jahre 1938/1939 schickte sie ihre Berichte von Oslo und Kopenhagen, die unter Pseudonym erschienen. Weltweit bekannt wurde ihr Augenzeugenbericht über die Kristallnacht, zeitlos berühmt ihr Anruf bei ihrem Kollegen William Shirer während der Nacht vom 31. August 1939 mit der kurzen Nachricht: „It’s happening!“ Am 1. September überfiel die Deutsche Wehrmacht Polen. Der Zweite Weltkrieg hatte begonnen.
Verletzt durch einen britischen Bombenangriff verließ sie Deutschland 1941, kehrte 1944 zurück nach Europa. Sie berichtete über die Landung der Alliierten und begleitete eine US-Einheit, die das KZ-Buchenwald befreite, beschrieb die Verzweiflung der US-Soldaten, die versuchten, halb verhungerte, kranke Häftlinge zu retten, und verstört und blass dieser Aufgabe kaum gewachsen waren.
Nürnberger Prozess
Während des Nürnberger Prozesses konfrontierte sie Göring während eines Interviews mit dem Horror der Konzentrationslager. Er antworte, er habe zum ersten Mal davon von der US-Armee erfahren. Nach dem Krieg publizierte sie über Nationalsozialismus und Faschismus, und schuf ein Stipendium für Journalismus. 1980 starb sie in einem Altersheim in Connecticut. (Aus dem neuem Buch von Pamela Toler: ‚The Dragon from Chicago‘)
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 26/2025 erschienen.