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Debatte um Publikumsvoting beim ESC wegen Israel

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Yuval Raphael mit "New Day Will Rise" auf der ESV-Bühne in Basel
©APA, KEYSTONE, GEORGIOS KEFALAS
Die auffällig viele Publikumspunkte für Israel beim Eurovision Song Contest bringen die Veranstalter offensichtlich in Erklärungsnot. Mehrere Sender hätten sich wegen der Punktvergabe gemeldet, teilte die Europäische Rundfunkunion (EBU) in Genf mit. "Wir sind in stetigem Austausch mit allen teilnehmenden Sendern des Eurovision Song Contest und nehmen ihre Bedenken ernst", zitierte sie ESC-Direktor Martin Green.

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"Jetzt, da die Veranstaltung vorbei ist, werden wir umfangreiche Diskussionen mit den teilnehmenden Sendern führen, über alle Aspekte des diesjährigen Wettbewerbs nachdenken und Feedback sammeln. Das wird in die Planungen des 70. ESC im kommenden Jahr einfließen", sagte Green weiter.

Mehrere beteiligte Fernsehsender hatten die Stimmabgabe beim Event in Basel am Samstagabend infrage gestellt. Die spanische Anstalt RTVE kündigte einen Antrag auf Überprüfung des Televotings an: "Mehrere Länder werden ebenfalls denselben Antrag stellen, da sie der Ansicht sind, dass das Televoting durch die aktuellen militärischen Konflikte beeinflusst wurde und dies den kulturellen Charakter der Veranstaltung gefährden könnte."

Ministerpräsident Pedro Sánchez forderte den Ausschluss Israels vom Wettbewerb. Als Begründung für seine Forderung nannte der Politiker das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen. Die Offensive habe sogar in der Nacht des ESC-Finales mit weiteren Bombardierungen angedauert, betonte er. In Anspielung auf den Umgang mit Russland sagte der sozialistische Politiker: "Wir dürfen keine doppelten Standards in der Kultur zulassen." Niemand habe sich empört, als Russland wegen der Invasion der Ukraine vom ESC ausgeschlossen wurde. "Dasselbe sollte auch für Israel gelten", sagte Sánchez.

Bei der Abstimmung über den ESC-Sieg fließen gleichberechtigt die Stimmen des Publikums und die Stimmen von Fachjurys ein. Die Jurys bestehen aus Musikern, Produzenten und anderen Branchenexperten. Dieses Jahr gab es eine auffällige Kluft dazwischen, was Fachleute und Zuschauer von dem israelischen Lied hielten.

Israel hatte Yuval Raphael zum ESC geschickt. Sie ist eine Überlebende des Massakers der islamistischen Hamas und weiterer Terrorgruppen vom 7. Oktober 2023. Wegen des Gazakriegs, den Israel nach den Anschlägen begonnen hat, gab es immer wieder Proteste gegen die Teilnahme Israels am ESC.

Raphael erhielt beim Finale für den Song "New Day Will Rise" 60 Punkte von den Fachjurys der 37 teilnehmenden Länder und landete damit im Ranking nur auf Platz 15, während Österreich hier den Sieg davontrug.

In der Gunst des Publikums stand die 24-Jährige aber laut Messung mit großem Abstand auf dem ersten Platz. Sie erhielt insgesamt 297 Publikumspunkte, was sie in der Gesamtwertung auf Platz 2 katapultierte.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Jurys und Publikum auseinander liegen. Doch nur selten fällt die Lücke so deutlich aus. ESC-Sieger JJ aus Österreich erhielt 258 Punkte von den Jurys und 178 Punkte vom Publikum. Bei Deutschland, das vom Wiener Duo Abor & Tynna vertreten wurde, waren es 74 Publikums- und 77 Jury-Punkte. Das reichte für Platz 15.

Die EBU verweist auf die deutsche Firma Once, die seit Jahren das Televoting für den ESC koordiniert. Sie habe bestätigt, dass die Abstimmungsergebnisse aus allen Ländern korrekt angegeben worden seien.

Das Abstimmungsverfahren für den ESC sei "das fortschrittlichste der Welt", so ESC-Direktor Green. Alles werde geprüft und verifiziert, "um verdächtige oder unregelmäßige Abstimmungsmuster auszuschließen." Once habe die Gültigkeit bestätigt.

Der belgische öffentlich-rechtliche Sender VRT stellte seine künftige ESC-Teilnahme infrage. Es lägen zwar keine Hinweise darauf vor, dass die Stimmenauszählung nicht korrekt durchgeführt wurde, so VRT. Aber die Frage sei, "ob das derzeitige Abstimmungssystem ein faires Abbild der Meinungen der Zuschauer und Zuhörer garantiert".

Unter anderem hatte der Israeli American Council über Facebook um Stimmen für Raphael geworben. "Sie singt für uns alle", hieß es da. Neben den Publikumsbewertungen aus den teilnehmenden Ländern gab es auch eine Rubrik "Rest of the World", in der Menschen in allen Nicht-ESC-Nationen abstimmen konnten. "Rest of the World" zählte wie das Ergebnis eines Landes.

Beim Publikumsvotum erhält der Song, der in einem Land die meisten Stimmen bekam, 12 Punkte, der nächste 10 und die folgenden acht Songs bekommen Punkte von 8 bis 1. Auf dem offiziellen EBU-Kanal für den ESC war die israelische Sängerin vor dem Finale in den aufgezeichneten Halbfinal-Sendungen immer wieder in einem Werbefenster zu sehen, mit dem Aufruf, für sie zu stimmen. Kein anderer Interpret war in Werbefenstern vertreten, dort lief sonst nur Reklame. Seit dem Ende des Wettbewerbs sind die Spots mit Raphael in den Aufzeichnungen nicht mehr zu sehen. Dazu sagt die EBU auf Anfrage, solche Werbung sei nach den ESC-Regeln nicht verboten.

Auf dem Papier ist der ESC eine völlig unpolitische Veranstaltung, in der es nur um Spaß, Völkerverständigung und den besten Auftritt geht. In Wirklichkeit spielen Ressentiments, Sympathien und kulturelle Nähe beim Voting des Publikums erfahrungsgemäß aber eine offenkundig gewichtige Rolle.

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