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Aus dem Nachlass: Sebastian Haffners Liebesroman "Abschied"

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5 min
Liebesroman von Sebastian Haffner
©APA, Hanser Verlag
Sebastian Haffner (1907-1999) gehört zu den wichtigsten politischen Publizisten des 20. Jahrhunderts. Seine Analysen zur deutschen Geschichte, etwa seine "Anmerkungen zu Hitler", gelten als wegweisend. Was viele nicht wussten: Der Berliner, der während der NS-Zeit in England lebte, hat nicht nur politische Sachtexte geschrieben. 93 Jahre nach seiner Entstehung ist nun ein Roman aus dem Nachlass Haffners erschienen - mit starken autobiografischen Zügen: "Abschied".

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Erst vor Kurzem entschlossen sich die Erben zur Publikation. Haffners Sohn Oliver Pretzel übernahm die Durchsicht des Manuskripts, der Hanser Verlag die Veröffentlichung. In "Abschied" erzählt Haffner von Raimund. Einem jungen, unbeschwerten und sehr verliebten Mann. In der flirrenden Weltstadt Paris genießt er seine letzten Wochen der Freiheit, bevor für den angehenden Juristen in Berlin der Ernst des Lebens beginnt. Immer an seiner Seite bewegt sich die faszinierende Teddy. Die quecksilbrige junge Frau ist der umschwärmte Mittelpunkt eines ausgelassenen Freundeskreises. Alle Männer sind ein bisschen verknallt in sie, doch ganz besonders Raimund. Während die Stunde des Abschieds für ihn unerbittlich näher rückt, kostet er jede Minute mit Teddy aus.

"Abschied" fand sich wie auch Haffners berühmte "Geschichte eines Deutschen" im Nachlass des Historikers und Journalisten. Seine 1939 verfasste "Geschichte eines Deutschen", ein persönlich-kritischer Erinnerungsbericht über die Jahre vor dem Nationalsozialismus, war bei der Veröffentlichung im Jahr 2000 eine Sensation. Der Roman dagegen wanderte ins Bundesarchiv. Er wurde im Herbst 1932 verfasst, also nur wenige Monate vor der nationalsozialistischen Machtergreifung. Hinter dem Ich-Erzähler Raimund des Romans verbirgt sich Sebastian Haffner selbst, der damals noch Raimund Pretzel hieß. Den Namen Haffner nahm der Autor erst später im britischen Exil an.

Teddy hieß mit bürgerlichem Namen Gertrude Joseph. Einige Jahre zuvor hatte Haffner sich in sie in Berlin verliebt. Nach ihrem Weggang nach Paris besuchte er sie mehrfach dort. Teddy, "ahnungsvoller und empfindlicher als wir", schreibt Haffner in seiner "Geschichte eines Deutschen", sollte nie mehr nach Deutschland zurückkehren, aber mit Haffner ein Leben lang freundschaftlich verbunden bleiben.

In "Abschied" erzählt der Autor von seinen letzten Stunden mit Teddy in Paris. Rasant vergeht die Zeit, intensiv und stark sind die Gefühle und Eindrücke. Die Beziehung zu Teddy ist wetterwendisch, auf kleine Scharmützel und Zänkereien folgen Versöhnungen und Küsse, dann wieder lange Streitgespräche.

Schauplätze sind der Louvre, ein – damals noch exotisch wirkendes – chinesisches Restaurant, dann wieder Teddys wenig glamouröse Bude. Freunde und Konkurrenten tauchen auf und verschwinden wieder, liebenswerte Bohemiens, die wie das junge Paar in Paris eine kostbare Zeit der Freiheit und Unbeschwertheit genießen.

Die Atmosphäre ist weltläufig, international, bunt, auf jeden Fall das genaue Gegenteil von dem, was in der schon bedrohlich aufziehenden NS-Diktatur angesagt sein wird. Insofern kann man "Abschied" auch als melancholisch angehauchten Zwischenkriegsroman einer im Untergang befindlichen Welt sehen.

Allerdings sollte man auch nicht zu viel hineininterpretieren in diesen Jugendroman. Im Vergleich zur "Geschichte eines Deutschen" ist "Abschied" doch recht unpolitisch. Wer hier nach düsteren Vorahnungen künftiger umstürzender Ereignisse sucht, wird eher enttäuscht.

Zwar lässt einer der Freunde ein- oder zweimal die provozierende Bemerkung fallen, er sehne einen Krieg herbei, doch zählt dies eher zu den vielen Frotzeleien im Roman. Und selbst die Weigerung Teddys, nach Berlin zurückzukehren, wird von ihr weniger politisch begründet als mit familiären Konflikten.

Der Roman besteht überwiegend aus langen Dialogen und spitzfindigen Wortduellen, die auf Dauer doch ermüden. Man kann "Abschied" als enthusiastischen, aus dem Herzen kommenden Liebesroman eines jungen Mannes würdigen, doch scheint Haffner das Fiktionale insgesamt weniger gelegen zu haben.

(Von Sibylle Peine/dpa)

(S E R V I C E - Sebastian Haffner: "Abschied", Hanser, 192 Seiten, 24,70 Euro)

WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/Hanser Verlag

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