News Logo
ABO

Sehnsucht nach dem Wir-Gefühl in der abgeschotteten Nick-Gesellschaft

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
5 min
Artikelbild

Peter Sichrovsky

©Bild: News/Ricardo Herrgott

Peter Sichrovsky über die Langeweile im diskussionslosen Zeitalter.

In einem Café in Wien

Erich: Die Amis und Israelis hätten Iran nicht angreifen sollen.

Ich: Stimmt.

E.: Der Netanjahu, das weiß doch jeder, will nur an der Macht bleiben.

Ich: Stimmt.

E.: Jetzt auch noch Trump, alles eitle Selbstdarstellung.

Ich: Stimmt.

E.: Man hätte einfach weiter verhandeln sollen.

Ich: Stimmt.

E.: Warum sagst du immer nur ‚stimmt‘?

Ich: Na ja, weil’s stimmt.

E.: Aber ich kenn dich doch, du siehst das alles anders.

Ich: Stimmt.

Alles anders

E.: Jetzt hör schon auf, kann man mit dir nicht mehr diskutieren?

Ich: Du kennst doch meine Meinungen.

E.: Stimmt.

Ich: Wozu soll ich sie wiederholen?

E.: Kann man über Nahost, Israel und USA überhaupt noch reden?

Ich: Nein, über viele andere Themen auch nicht.

E.: Warum nicht?

Ich: Kann man über Palatschinken reden?

E.: Was für ein Vergleich!

Ich: Interessiert dich, wo es die besten Palatschinken in Wien gibt?

E.: Natürlich!

Ich: Hier hast du den Unterschied, es geht um persönliche Erfahrung.

E.: Auch um Geschmack.

Ich: Stimmt, aber nicht um Meinung.

E.: Meinung interessiert dich nicht?

Ich: Nein, dich auch nicht.

E.: Stimmt.

Ich: Es interessiert mich nicht, was du und der Briefträger über Israel, Gaza, Iran und USA denken.

E.: Sind solche Gespräche unmöglich geworden?

Ich: Möglich schon, nur, sie bringen nichts.

E.: Warum?

Ich: Es sind Schubladen-Meinungen mit Etiketten.

E.: Wer in welcher Schublade sitzt?

Ich: Die einen in der kritischen Schublade, die anderen in der verständnisvollen, und umgekehrt, je nach Thema.

E.: Unterschiedliche Meinungen ergeben doch eine Diskussion.

Ich: Nein, es ist Schubladen-Denken, es sind keine differenzierten, substanziellen Argumente.

E.: Nur bei Israel, Iran und USA?

Symbol-Figuren

Ich: Hier geht es um Symbol-Figuren wie Netanjahu und Trump, gefürchtet und dämonisiert in einer Schublade, verharmlost und bewundert in der anderen.

E.: Du machst es dir zu einfach.

Ich: Zeig mir eine differenziertere Analyse zu Trump, Netanjahu oder auch Milei, was haben die drei eventuell richtig, was haben sie falsch gemacht, wo irrten sie, wo hatten sie recht – nüchterne, sachliche Information über ihre Pläne, ihre Entscheidungen, ohne eitle interpretative Simplififzierung.

E.: Stimmt, ich kenne keine.

Ich: Verachtung ersetzt Information.

E.: Stimmt.

Ich: Zynismus und Hohn ersetzen intelligente Kritik.

E.: Stimmt.

Ich: Warum sagst du immer nur ‚stimmt‘?

E.: Weil’s stimmt.

Ich: Du, wiederholst du mich?

E.: Nur, wenn es stimmt.

Ich: Können wir nur noch über Restaurants und Urlaube reden?

E.: Ja und nein, du kannst in deiner Blase über alles reden, man wird dir begeistert zuhören, wenn du fantasielose Beschränktheit besser formulierst.

Ich: Einfalt in der Vielheit statt Einheit in der Vielfalt?

E.: Stimmt.

Ich: Schade, und schrecklich langweilig.

E.: Vielleicht für dich, andere fühlen sich wohl im Kollektiv nickender Zustimmung.

Ich: Zu jedem Thema?

E.: Langsames, wiederholtes Nicken weist bei jedem Thema auf Verständnis und Zustimmung.

Ich: Also, geht es um Sehnsucht nach Wir-Gefühl in abgeschotteten Nick-Gesellschaften?

E.: Stimmt.

Kolumnen

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER