Beim Blick über die Ausstellung gehen einem die Augen über. Selbst Richtungweisendes wie die Essl-Kollektion, die es bis zur Museumsreife (und zurück) gebracht hatte, nimmt regionalen Charakter an, wenn man dieses runde Drittel der Heidi Horten Collection auf sich wirken lässt. Bestes vom Besten wird da in den Räumen der Epoche machenden Sammlerfamilie Leopold ausgestellt: 170 Werke aus 100 Jahren Weltkunst vom Expressionismus bis in die Gegenwart; Munch, Klee, Chagall, Picasso, Bacon und ein schöner Klimt, der mit den museumseigenen Beständen reizvoll in Konkurrenz tritt, treffen auf Warhol, Lichtenstein und den lebenden Konzept-Star Damien Hirst. Dabei wirkt nichts nach Namen zusammengekauft. Hier waltet der Blick einer Sammlerin - einer blicksicheren und gut beratenen Sammlerin. Und der offensive Ausstellungstitel "WOW!" legitimiert sich durch den Augenschein.
Chronologie eines Märchens
Denn die Umstände der von Agnes Husslein kuratierten Ausstellung, die ab 16. Februar zu besichtigen ist, sind nicht weniger spektakulär als das Gezeigte selbst. Und das für News geführte Zwiegespräch auf dem Anwesen der Milliardärin Heidi Goëss-Horten, 76, in einem Schloss voller Kunst am Wörthersee, steht selbst im Rang einer Rarität. Die Eignerin wurde von "Forbes" 2017 bei 2,3 Milliarden Euro verortet. Heidi Goëss-Horten ist somit Nummer drei der Reichen im Land und Nummer 117 weltweit. Er war 51 und sie 19: Der Kaufhaus-Tycoon und das Wiener Bürgerkind Heidi Jelinek, Sekretärin bei "Ideal Standard Registrierkassen", trafen einander in einer Hotelbar in Velden am Wörthersee. Nach der Heirat zog sich Helmut Horten aus dem Geschäft zurück und wählte das Leben eines kultivierten Privatiers.
Nach seinem Tod im Jahr 1987 heiratete die Alleinerbin erst einen französischen Blumengroßhändler und 2015 den Grafen Carl Anton Goëss, der im Freundeskreis um Udo Jürgens Gesellschaftsgeschichte schrieb. Das Paar logiert heute bei weitgehender Öffentlichkeitsabstinenz am Südufer des Wörthersees, gut bewacht, umgeben von Kunst. Denn für das Hochsicherheitsdepot wollte sie nie sammeln.
"Wir waren ein tolles Team"
Schon der Vater in Wien habe gemalt, sie selbst habe mit dem Zeichnen begonnen, bestätigt Heidi Goëss-Horten eine frühe Affinität zur Kunst. Die Sammlung gründete sie noch mit Helmut Horten, zunächst lag der Fokus auf dem Expressionismus. "Nach seinem Tod habe ich mich dazu entschlossen, meine eigene Sammlung mit neuen Schwerpunkten aufzubauen", sagt sie. "Vor allem in den 1990er-Jahren habe ich einen großen Teil der heute bestehenden Kollektion aus unzähligen Auktionen zusammentragen können - die internationale Moderne und die Pop-Art haben mich besonders gereizt. Durch die fachliche Beratung von Agnes Husslein habe ich immer sofort gewusst, wenn ein Kunstwerk, das ich im Auge hatte, zur Auktion kam - wir waren ein tolles Team!", gedenkt sie der Gründerzeit.
Die Kuratorin der Ausstellung stimmt mit der ihr eigenen Verve zu. Ohne Zweifel handle es sich um eine der bedeutendsten europäischen Privatsammlungen, bekräftigt Agnes Husslein, 63, und gewährt Einblick in kluge Strategien aus der Zeit vor der Explosion des Kunstmarkts, der von Spekulanten ins wirtschaftlich Irrationale getrieben wurde. "Ich würde sogar behaupten, eine Sammlung in derartiger Qualität und Vielfalt wäre angesichts der Entwicklung auf dem Kunstmarkt heute nicht mehr aufzubauen. Heidi Goëss-Horten hat in den 1990er-Jahren einen perfekten Zeitpunkt gewählt, um ihre Sammlung zusammenzutragen. Sie hat sich beim Sammeln nie irgendwelchen Trends unterworfen, hatte aber sicher ein Gespür für Qualität. Durch meine damalige Tätigkeit für Sotheby's habe ich ihr die richtigen Inputs geben können, wo ,gute Kunst' auf den Markt kam - wir haben wunderbar zusammengearbeitet, und so hat sie Vertrauen in mich aufgebaut. Heute schätzen wir einander sehr."
Vom richtigen Zeitpunkt
Die dem Grafengeschlecht derer zu Arco entstammende Enkelin des Malers Herbert Boeckl war die perfekte Verbündete: Unbegabt zu Konzilianz und Anbiederung, drang sie früh ins Spitzenmanagement des Auktionshauses Sotheby's vor, brachte dem von ihr gegründeten Salzburger Museum der Moderne nie wieder erreichte Aufmerksamkeitswerte, überwarf sich tumultös mit dem Stadt-Establishment, wechselte ans Belvedere nach Wien und logiert nun, nach dramatischen biografischen Wendungen, wieder hoch oben.
Im Sommer 2016 zog der damalige Kunstminister Drozda im Gefolge Belvedere-eigener Compliance-Vorwürfe und medialer Begleitstürme Hussleins schon beschlossene Vertragsverlängerung zurück. Sämtliche Ermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft sind eingestellt, doch im Belvedere amtiert eine neue Führung.
"Es war eine politische Sache, und es ist vorbei", sagt Agnes Husslein. "Ich habe mich auch in den schwierigen Phasen, als ich von vielen Seiten angegriffen wurde, nicht entmutigen lassen und stets nach vorne geblickt - darauf vertrauend, dass schließlich doch die messbare Leistung für die Sache, bzw. die Institution Anerkennung findet." In der Tat blieb sie nicht lang unbeschäftigt. Heute logiert sie - allerdings zum eher symbolischen Tarif - als mächtige Vertreterin des Finanzministeriums im Vorstand des Leopold Museums und verhandelte für die ÖVP zentral das Kulturprogramm der neuen Regierung.
Am Zustandekommen der Sammlung Horten war sie früh beteiligt. Später ersteigerte sie im Auftrag ihrer Freundin - man kennt einander seit 35 Jahren - unter anderem ein Selbstporträt von Edvard Munch für 5,25 Millionen Euro, August Mackes "Zwei Frauen vor dem Hutladen" für 4,4 Millionen und einen repräsentativen Francis Bacon für 5,4 Millionen.
Die Sammlung, deren Versicherungswert ebenso wenig bekanntgegeben wird wie jener der Ausstellung, ist erstmals in der Öffentlichkeit zu sehen und für das Museum der pure Mehrwert: Denn die Mäzenin übernimmt sämtliche Kosten. Und das Ganze, fügt Agnes Husslein hinzu, solle auch den oft mangelnden Respekt der Kulturnation vor den Leistungen privater Sammler stärken. Sie habe schon länger mit dem Gedanken gespielt, die Sammlung zu präsentieren, sagt Heidi Goëss-Horten. Mehrfach habe sie Werke verliehen, auch an Husslein ins Belvedere. Nun sei der Zeitpunkt für Größeres gekommen. Dass Husslein die künstlerische Gestaltung übernommen habe, "das bedeutet mir viel". Ob die Sammlung einmal dauerhaft zugänglich wird? Man warte das Echo der Besucher ab und werde zu gegebenem Zeitpunkt entscheiden, sagt sie.
Wenn sie ihr liebstes Bild benennen sollte? "Ich liebe meine Kunst, jedes Werk", antwortet sie. "Ich habe immer nur das gekauft, was mich erfreut, wenn ich es täglich um mich habe." Aber: "Müsste ich mich auf ein Werk festlegen, würde ich 'Les Amoureux' von Chagall nennen - das Bild hat der Künstler als intime Liebeserklärung für seine Frau kurz nach ihrer Hochzeit gemalt -, als ich es gesehen habe, wusste ich, es gehört zu mir. Ich erinnere mich noch gut an die Anspannung während der Auktion und die Freude, als ich erfuhr, dass wir den Zuschlag bekommen haben."
"An Leistung binden"
Agnes Husslein verteidigt indes das von ihr mitgestaltete türkis-blaue Kulturprogramm gegen den Vorwurf des Darwinismus. Die Absicht, das Gießkannenprinzip infrage zu stellen, wurde als Würgeattacke auf die sich mühsam erhaltenden kleinen Initiativen gedeutet. Zweifellos, antwortet sie, sei es eine Herausforderung, unter den gegebenen Bedingungen eine für den Großteil der Kulturschaffenden zufriedenstellenden Fahrplan zu erstellen. "Ich habe zuletzt wieder feststellen müssen, dass in der Politik zentrale Entscheidungen von unzähligen Faktoren beeinflusst werden, sodass man als Ideengeber schnell den anfänglichen Enthusiasmus verliert. Wahrscheinlich hat die österreichische Kulturpolitik dennoch Vorbildwirkung - eine so breit aufgestellte Kulturförderung sucht man in anderen Ländern vergeblich. Trotzdem", wird sie deutlich, "bedarf es einiger Verbesserungen: Zum Beispiel sollte die Vergabe von Geldern viel mehr an verbindliche Zielsetzungen und somit die messbaren Leistungen gebunden sein. Man muss die richtige Balance finden!"
Auch an der bisher gepflogenen Bildungspolitik hat sie ihre Zweifel. Musik- und Zeichenunterricht wurden marginalisiert, "dabei ist es genau die Kunst, die ein starkes verbindendes Element hat und auch Kinder und Jugendliche zusammenbringt. Kultur erweitert den Horizont, regt die Fantasie an, sensibilisiert." Deshalb habe sie sich am Belvedere stets um Vermittlungsprogramme für Jugendliche verschiedener sozialer und kultureller Herkunft bemüht. Da stimmt Heidi Goëss-Horten leidenschaftlich zu: "Ich bin überzeugt, durch die Vermittlung von Kunst können Brücken geschlagen werden - zwischen Generationen, Kulturen, Gesellschaftsschichten." Museen müssten Orte des sinnlichen Erlebens und der ästhetischen Bildung sein, stimmt sie dem von beiden hoch gelobten Leopold-Direktor Hans- Peter Wipplinger zu.
"Es ist erbärmlich!"
Und dann wird Agnes Husslein emotional. Die Kränkung des 2016 Vorgefallenen wird gegenwärtig. Juristisch kann man ihr seitens des Belvederes nichts mehr anhaben. Aber man stellt Regressforderungen an sie - in der ungefähren Höhe ihrer eigenen, noch ausstehenden Prämien. Es geht um Schäden am Gebäude, ein angeblich widerrechtlich benutztes Auto, ein schon bezahltes Kunstwerk, das die in Bedrängnis geratene Videokünstlerin Friederike Pezold nicht liefern konnte.
"Es ist so erbärmlich, dass ich mir überlege, ob ich meine Regressforderungen überhaupt einklagen und damit meine Seele belasten soll", sagt Agnes Husslein da. "Man stellt mich hin, als hätte ich mich bereichert. Ich habe dem Haus die größten Schenkungen der Zweiten Republik gebracht, aber man wirft mir vor, dass bei einer hoch erfolgreichen Ausstellung Böden beschädigt wurden und ich mich von einem Firmenauto, das allen zur Verfügung gestanden ist, abholen habe lassen. Dabei habe ich auf ein Dienstauto verzichtet, das ein Vielfaches gekostet hätte."
Im Belvedere will man die Causa nicht kommentieren: Man befinde sich in Vergleichsverhandlungen. Also ohne Umweg zurück ins Leopold Museum: Das dort Gezeigte kennt keinen Vergleich.
Heidi Goëss-Horten
Geboren 1941 in Wien als Heidi Jelinek, arbeitete sie als Sekretärin und lernte mit 19 in Velden den um 32 Jahre älteren Kaufhausbesitzer Helmut Horten kennen. Seit seinem Tod leitet sie die Stiftung "Villalta" für medizinische Forschung, arbeitet karitativ und als Mäzenin. Sie ist in dritter Ehe mit Graf Karl Goëss verheiratet und lebt in Auen am Wörthersee.
Agnes Husslein
Geboren 1954 in Wien als Enkelin des Malers Herbert Boeckl und des Grafen Heinrich Arco. Erfolgreiche Eiskunstläuferin, promovierte Kunsthistorikerin. Spitzenpositionen bei Sotheby's, Gründungsdirektorin des Museums der Moderne, Salzburg, bis 2016 Chefin im Belvedere. Verheiratet mit dem Gynäkologen Peter Husslein, zwei Kinder.
Die Ausstellung
Ein "WOW!" von Heidi Horten
"Die amerikanische Pop-Art liegt mir neben den Meistern der klassischen Moderne besonders am Herzen", sagt Heidi Goëss-Horten im News-Gespräch. Also nehmen Werke von Warhol und Roy Lichtenstein unter den 170 Exponaten aus 100 Jahren besonderen Rang ein. Bacon, Baselitz, Basquiat, Chagall, Dubuffet, Lucian Freud, Hirst, E. L. Kirchner und Paul Klee, Klimt, Miró, Munch, Picasso, Rauschenberg u. a.: Sie alle sind mit exzellenten Werken vertreten.
"WOW!", ab 16. Februar im Leopold Museum in Wien
Dieser Artikel ist im News Nr. 5/2018 erschienen.