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Wer ist Alex Cooper, die erfolgreichste Podcasterin der Welt?

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Alex Cooper

©JULIEN DE ROSA / AFP / picturedesk.com

„Call Her Daddy" begann als schlüpfriger Sex-Talk. Inzwischen ist der Podcast so erfolgreich, dass fast niemand mehr an ihm vorbeikommt.

Von Esthy Baumann-Rüdiger, erstmals erschienen in der NZZ am 18.10.2024

Ich will mit dir über Blowjobs sprechen.“ Die Gastgeberin Alexandra Cooper sitzt gemütlich im Sessel, sie trägt Pullover und Zopf. Vis-à-vis sitzt die Comédienne Heather McMahan. Sie lacht und sagt: „Ich liebe und hasse sie.“ In den nächsten Minuten sprechen sie detailliert über die richtige Technik, über Körperöffnungen und Fäkalien.

Es ist eine ganz gewöhnliche Folge des Podcasts „Call Her Daddy“, des zweiterfolgreichsten Podcasts auf Spotify. Nirgendwo sonst reden Prominente derzeit freimütiger über ihr Privatleben und plaudern über sexuelle Vorlieben. Die Podcast-Folgen tragen Titel wie „Blow Jobs, Hall Passes & Frat Daddies“ (College-Slang für drei Themen der Dating-Phase), „Is He The One?“ („Ist er der Richtige?“) oder „He Cheated, Do I Leave?“ („Er hat mich betrogen – soll ich gehen?“).

Zwei Wochen später trägt Cooper eine Businesshose und einen Hoodie, ihr Gegenüber einen Anzug. Sie sprechen nicht über Sex, höchstens darüber, was danach kommt: über Abtreibung und künstliche Befruchtung. Sie reden über häusliche Gewalt und Familie. Aber Alexandra Cooper, 30, die mächtigste Podcasterin der Welt – größer ist nur Joe Rogan, der sich an ein männliches konservatives Publikum richtet – redet nicht mit einem gewöhnlichen Promi. Ihr gegenüber sitzt die mächtigste Frau der Welt, die damalige Vizepräsidentin der USA, Kamala Harris.

Wie hat Alex Cooper das geschafft?

Dass aus Alex Cooper eine erfolgreiche Podcasterin wurde, ist rückblickend kein Zufall. Eigentlich hat sie alles, was es dazu braucht, schon als Kind verinnerlicht. Sie wächst als jüngstes von drei Kindern in einem katholischen Elternhaus in Philadelphia auf. Ihre Mutter ist Psychotherapeutin, ihr Vater arbeitet als Fernsehproduzent für das Eisho­ckeyteam Philadelphia Flyers. Mit ihrer Mutter lernt sie, über Gefühle zu sprechen, mit ihrem Vater, was es heißt, Regie zu führen. „Ich habe meinen Dad bei den Spielen im Studio beobachtet und wusste: Das will ich auch machen.“ So wird sie es später im Podcast „The Diary of a CEO“ dem Gastgeber Steven Bartlett erzählen.

Die Schule fällt Cooper schwer. Sie wird wegen ihrer Akne gehänselt, ihre Noten sind nicht gut. Freundinnen findet sie im Fußballteam, nicht in der Klasse. Nach der Schule verschanzt sie sich im Keller, stellt mit der Kamera ihres Vaters Filmszenen nach, schneidet sie zusammen. Sie erschafft Figuren, die jenes Selbstbewusstsein haben, das ihr fehlt. Das tue sie auch heute noch, sagt sie gegenüber Bartlett. Sie habe sich die Persona einer „Bombshell“ aufgebaut, die ihr Leben im Griff habe. „Aber innerlich bin ich immer noch dieses unsichere Mädchen, das in der Schule gehänselt wurde.“

Nach der Schule studiert sie Film- und Fernsehwissenschaften in Boston, träumt davon, Regisseurin zu werden. Sie beginnt, einen Baseballspieler zu daten und genießt die Annehmlichkeiten, die es mit sich bringt, wie sie später im Podcast verraten wird: „Es war großartig. Ich konnte meine Freundinnen zu den Spielen mitbringen, es war ein cooler Lifestyle. Dieser Mann war der Inbegriff davon, viel Geld zu verdienen und einen Aston Martin zu fahren.“ Nur: Gut behandelt habe er sie nicht.

Nach drei Folgen durch die Decke

Mit Anfang 20 zieht Cooper nach New York. Sie gründet eine WG mit einer Kindheitsfreundin und einer gewissen Sofia Franklyn, die in der Finanzbranche arbeitet. Sie und Cooper verstehen sich sofort, noch am ersten Abend betrinken sie sich zusammen.

Wenig später schlägt Franklyn vor, einen Podcast zu starten. Cooper kann damit noch nicht viel anfangen, stimmt aber zu. Sie beherrscht Schnittprogramme, und sie weiß, wie man eine Dramaturgie kreiert, damit das Publikum sich nicht langweilt. Am 3. Oktober 2018 veröffentlichen sie unter dem Titel „Sext Me So I Know It’s Real“ ihre erste Episode. Im Intro fragt eine Stimme in anzüglicher Intonation: „Do you call him ­Daddy? – Do I call her Daddy?“

Anschließend erzählen die Frauen von ihren schrecklichen Date-Erfahrungen in New York (und den guten), von den anzüglichen Nachrichten, die sie betrunken an Männer schicken (und behaupten, dass Frauen dies stets gemeinsam tun), und sagen, was zu tun ist, wenn man versehentlich ein Foto auf Social Media gelikt hat (sofort Profilfoto und -namen wechseln und den Account auf „privat“ stellen).

Das Tempo der Folge ist hoch, die Dichte an expliziten Beschreibungen und Kraftausdrücken ebenfalls. Im Gegensatz zu anderen Hosts umschreiben sie ihre Bettgeschichten nicht, sie beschreiben sie, und zwar detailliert. Der Podcast schlägt im prüden Amerika ein wie eine Bombe. Nach nur drei Folgen landet „Call Her Daddy“ erstmals in den Top-Platzierungen. Das Medienunternehmen Barstool Sports nimmt das Duo unter Vertrag, für je 75.000 Dollar im ersten Jahr.

In kurzer Zeit erreichen sie ein Millionenpublikum, ganze Reddit-Foren sammeln die Sextipps aus dem Podcast und widmen sich der Frage, welcher Dating-Partner hinter welchem Codenamen stecken könnte. Die „Daddy-Gang“ wird zu einer Community.

Stillstand für „Call Her Daddy“

Was damals niemand ahnt: Während der Podcast und seine Fangemeinde immer größer werden, fällt hinter den Kulissen alles auseinander. Obwohl Cooper und Franklyn noch zusammenwohnen, entfernen sie sich immer weiter voneinander. Die Freundschaft sei ungesund geworden, sagt Cooper. Über den Streit zwischen den beiden kursieren unterschied­liche Versionen und Anschuldigungen. Es geht darin um Franklyns Freund, der immer größeren Einfluss auf sie und auf den Podcast genommen habe. Es geht um Geld, weil Cooper nach einem Jahr mehr Lohn erhalten habe, dies aber für sich behielt.

Der Konflikt kulminiert in Verhandlungen mit Barstool Sports über höhere Gagen, die Rechte am geistigen Eigentum und den Verdienst an Merchandising-Artikeln. Im Frühling 2020 verstummt „Call Her Daddy“. Nach mehreren Wochen Funkstille teilt Barstool mit, man habe sich mit Alex Cooper einigen können, mit Sofia Franklyn hingegen nicht. Cooper verkündet, sie sei nun ein „single father“ und werde den Podcast alleine weiterführen. Die „Daddy-Gang“ wird zum Scheidungskind, gezwungen, für die eine oder die andere Seite Partei zu ergreifen.

Neustart ohne Partnerin

Entgegen allen Befürchtungen fährt „single father Cooper“ den Podcast nicht an die Wand. Im Gegenteil. Das Publikum wächst nach der Trennung weiter. Im Juni 2021 sichert sich Cooper einen Deal über 60 Millionen Dollar mit Spotify. Erst kürzlich soll sie beim Spotify-Konkurrenten Sirius XM unterschrieben haben, für 125 Millionen Dollar.

Cooper weiß um die größte Stärke des Podcasts: seine treue Community. Ihr Solo-Podcast startet mitten in der Pandemie, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit ist stärker denn je. „Ich glaube nicht, dass jemand diese Art von Beziehung zu seinem Publikum hat, wie ich sie habe“, sagt Cooper im Gespräch mit Steven Bartlett. Der Podcast fokussiert weiterhin auf Sex, doch Alex Cooper bespricht nun auch ernstere Themen wie psychische Gesundheit, Missbrauch und Trauma. Und sie beginnt, prominente Gäste in ihren Podcast einzuladen. Damit lenkt sie den Fokus weg von sich selbst – und zwar bewusst.

Alex Cooper erzählt im „The Diary of a CEO“-Podcast, dass sie unter enormem Druck gestanden habe, immer wieder Neues zu erzählen. „Irgendwann beginnst du, Dinge nur deshalb zu tun, damit du im Podcast darüber reden kannst.“ Es habe seinen Preis, vor einem Millionenpublikum über sein Sexleben, Familienprobleme und zerbrochene Freundschaften zu sprechen.

„Manchmal macht mir meine eigene Karriere Angst“, sagt sie. Alex Cooper ist privater geworden, auch deshalb, weil ihr Liebesleben ruhiger geworden ist. Vergangenen April heiratete sie den Holly­wood-Produzenten Matt Kaplan, den sie im Podcast lange nur „Mr. Sexy Zoom Man“ nennt, in Anspielung darauf, dass sie sich bei einem Zoom-Meeting kennengelernt haben.

Die Karrieren des Paares sind heute eng verflochten: Nicht nur haben sie im vergangenen Jahr eine Produktionsfirma aufgebaut, die sowohl „Call Her Daddy“ als auch neue Podcasts produziert, sie arbeiten auch zusammen an Filmen.

Keine Journalistin, eine Fragende

Alex Cooper ist inzwischen ein so großer Player in der ­Unterhaltungsindustrie geworden, dass sie das Machtspiel umgedreht hat: Es sind die Stars, die unbedingt in ihren Podcast wollen. Und Cooper ist es, die die Regeln aufstellt: keine Fragen vorab und kein PR-Berater im selben Raum.

Selbst Prominente, die sonst kaum Interviews geben, sind im Gespräch mit Cooper plötzlich bereit, intime Details auszuplaudern. Die Sängerin Katy Perry erklärt: „Du bist eine der wenigen, mit denen ich sprechen will, weil du einfach verstanden hast, was die Leute hören wollen.“ Dann erzählt sie über ihre spät entdeckte Sexualität, da sie in einem strenggläubigen Elternhaus aufgewachsen ist. Ihre Kollegin Miley Cyrus sagt, dass der Podcast überhaupt erst den nötigen Raum für ein Gespräch zulasse. Wenige Minuten später verrät sie, dass sie ihr erstes Mal mit einer Frau hatte.

Das Interview mit Kamala Harris katapultiert „Call Her Daddy“ in neue Sphären. Es ist zwar nicht neu, dass Präsidentschaftskandidaten im Wahlkampf populäre TV-Sendungen besuchen. Cooper aber ist keine Journalistin. Das merkt man dem Gespräch an. Kritische Nachfragen gibt es nicht, die beiden Frauen bestärken sich gegenseitig. Und doch gelingt es Cooper, Harris persönliche Dinge zu entlocken, die sie nicht in jedem Interview erzählt. Etwa, dass sie mit der Ex-Frau ihres Mannes befreundet sei und deren Kinder auch ihre Kinder seien: „Manche haben eine Familie durch Blut und andere eine Familie durch Liebe. Ich habe beides.“

Harris wirkt ruhig, fast schon entspannt. Auf die Frage, weshalb sie sich entschieden hat, mit Cooper zu sprechen, sagt sie: „Ich mag an dir, dass du deine Stimme mit dem Podcast wirklich für deine Hörerinnen nutzt.“

Kritik wegen Polit-Gästen

Alex Cooper dürfte damit eine der erfolgreichsten Episoden von „Call Her Daddy“ veröffentlicht haben. Doch sie erntete auch viel Kritik dafür, beteuerte sie doch einst, Gespräche mit dem Weißen Haus abgelehnt zu haben. Politiker sollten zu CNN oder Fox gehen. Nun hat sie ihre Meinung geändert.

In einer langen Erklärung vor dem eigentlichen Interview erörtert sie, lange gezögert zu haben, das Interview zu führen. Sie habe aber nicht hinnehmen können, dass Frauen ein solch großes Thema dieses Wahlkampfs seien und sie kein Teil davon sei. Sie habe Donald Trump außerdem angeboten, ebenfalls in ihren Podcast zu kommen.

Hat der Podcast damit seine Unschuld verloren? Oder war es nicht schon immer eine Art politischer Akt, wenn Frauen freimütig mit ihrer Sexualität umgingen? So gesehen war der Podcast nie nicht politisch. Alex Cooper ist den Weg nur konsequent zu Ende gegangen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 49/2025 erschienen.

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