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Tatsächlich ist darüber im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung eine Debatte im Gang - mit unterschiedlichen Positionen. Der emeritierte Professor Friedrich Schönweiss hat an der Universität Münster den Lernserver entwickelt, ein Diagnose- und Förderinstrument in Sachen Rechtschreibung. Der Bildungsforscher und Medienpädagoge erklärt, warum er das Schreiben mit der Hand weiter als wichtig ansieht - und gibt Eltern konkrete Tipps zur Unterstützung ihres Kindes.
Friedrich Schönweiss: Auf jeden Fall, eigentlich sollte das ganz selbstverständlich sein. Auch in einem hoch technisierten Zeitalter ist das unverzichtbar. Zwar wäre es blauäugig, die vielen neuen Möglichkeiten, die Tastatur, Tablet und Spracheingabe bieten, nicht in den Blick zu nehmen. Allerdings eben nicht unter der billigen Überschrift "modern" oder "altbacken-verzichtbar", sondern als zusätzliche neue Optionen.
Um etwa eine Tastatur überhaupt bedienen zu können, ist das richtige Schreibenlernen unbedingte Voraussetzung. Auch Untersuchungen zeigen immer wieder, dass das mit Hand, Stift und Papier passieren muss. Erst mit dem buchstäblichen Begreifen der einzelnen Zeichen, einem Gespür für Unterschiede und Feinheiten sowie dem raschen Kombinieren oder Entziffern von Buchstabengruppen kann die Technik richtig genutzt werden.
Schönweiss: Ja, gerade der Übergang zur Schreibschrift ist essenziell: Erst dann ist der Prozess des Schreibenlernens im Grunde abgeschlossen. Das Erlernen der Schreibschrift kann mit Schwungübungen und Mandalas gut vorbereitet werden und macht Kindern auch Freude.
Wenn das Kind die Schreibschrift beherrscht, kann es sich von nun an viel besser auf den Inhalt des Schreibprozesses oder dessen Ergebnisse konzentrieren. Das spiegelt sich auch in anderen Fächern wider, man denke nur an Mathe-Textaufgaben.
Schönweiss: Die Kriterien sind eigentlich klar: Schreibende wie Lesende müssen in der Lage sein, das Ergebnis später eindeutig identifizieren zu können. Es braucht also automatisierte, lockere und nicht verkrampfte Bewegungsabläufe, einheitlich wiederkehrende Zeichen, klare Unterscheidungen von Groß- und Kleinbuchstaben, hinreichende Differenzierung ähnlicher oder leicht zu verwechselnder Zeichen.
Indem der idealtypische Kern des jeweiligen Buchstabens wiedergeben wird, wird die Schrift automatisch auch lesbar. Für die Lesbarkeit spielt natürlich auch die Sicherheit in der Rechtschreibung eine entscheidende Rolle.
Schönweiss: Wichtig ist erst einmal, dass Eltern das Kind nicht einfach machen lassen, sondern unterstützen. Gerne können sie das auch in Abstimmung mit Lehrer oder Lehrerin tun. Gönnen Sie Ihrem Kind und sich selbst aber genug Zeit.
Beschäftigen Sie sich ausreichend mit den ersten spielerischen Schwung- und Schreibübungen. Konzentrieren Sie sich zunächst nur auf einzelne Buchstaben und deren idealtypische Form und ermöglichen Sie Ihrem Kind, die Bewegungsabläufe zu automatisieren.
Achten Sie bei der Stifthaltung auf den Dreipunktgriff, bei dem Daumen und Zeigefinger den Stift halten, während der Mittelfinger als Stütze dient. Fordern Sie diesen Griff konsequent ein. Sobald sich das Kind aber zu verkrampfen droht, legen Sie eine Pause ein und achten dann erneut auf die Stifthaltung.
Etablieren Sie kleine Rituale: So können Sie zum Beispiel während der Hausaufgaben immer wieder einmal eine Glocke läuten lassen, woraufhin Ihr Kind seine eigene Haltung überprüft.
Integrieren Sie das handschriftliche Schreiben immer wieder in den Alltag – durch das Schreiben von Postkarten, Einkaufszetteln, kleinen Botschaften, "Forschungsberichten", Rezepten, Spielanleitungen, Reiseberichten und ähnlichem.
Alle Eltern dürfen davon ausgehen, dass ihre Kinder erst einmal motiviert sind. Oder sie lassen sich motivieren, wenn sie den Sinn der Anstrengung einsehen und die Herausforderung für sie zu meistern ist. Nicht selten geht aber diese ursprüngliche Neugierde und Bereitschaft verloren, etwas lernen und auch ständig mehr können zu wollen.
Dann ist es wichtig, Kindern inhaltlich zu vermitteln, dass sie sich letztlich für sich selbst ins Zeug legen: dass sie, indem sie schreiben lernen, selbstständiger werden, sich mit anderen austauschen und immer mehr von der Welt erfahren können.
Ganz wichtig ist, dass Eltern nicht ungeduldig werden und sich nicht zu sehr auf das gewünschte Ergebnis fokussieren. Lernerfolge lassen sich nun einmal nicht verordnen. Auch wenn klar ist, dass es ohne Anstrengung nicht geht: ermutigen Sie ihr Kind und stehen Sie ihm zur Seite, dass es kleine Lernschritte machen kann, und schätzen sie diese dann als echten Erfolg gemeinsam wert.
Zur Person: Prof. Dr. Friedrich Schönweiss ist emeritierter Professor für Neue Technologien im Bildungs- und Sozialwesen/Medienpädagogik der Universität Münster. Er hat den "Lernserver" entwickelt, eine Plattform zur Diagnose und Förderung vor allem der Rechtschreibung bei Schülerinnen und Schülern.
HAMBURG - DEUTSCHLAND: FOTO: APA/APA/dpa/gms/Mascha Brichta/Mascha Brichta
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