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Ein Serum gegen alle Giftschlangen?

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©IMAGO / blickwinkel

Forscher arbeiten an einem universellen Gegengift – ein gefährliches Selbstexperiment brachte die Wende.

Weltweit sind Schlangenbisse eine stille Epidemie. Jedes Jahr sterben nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation zwischen 100.000 und 140.000 Menschen an den Folgen einer Vergiftung. Hunderttausende weitere überleben nur mit schweren Folgeschäden: Amputationen, Nervenschäden oder lebenslange Schmerzen gehören zum Alltag vieler Betroffener, besonders in ländlichen Regionen Afrikas und Asiens.

Das Problem: Die bisherigen Gegengifte sind teuer, schwer verfügbar und hochspezialisiert. Fast jedes Antivenin wirkt nur gegen eine bestimmte Schlangenart oder eine eng verwandte Gruppe. Wer gebissen wird, muss deshalb nicht nur Glück haben, überhaupt ein Gegengift zu bekommen – es muss auch genau das richtige sein. Und selbst wenn es verabreicht werden kann, drohen Nebenwirkungen: Viele Präparate stammen aus dem Blut von Pferden oder Schafen, was bei Menschen zu gefährlichen Abwehrreaktionen führen kann.

Der riskante Weg eines Selbstversuchs

Ein Mann brachte die Forschung nun in Bewegung: Timothy Friede, ein US-Amerikaner, der sich selbst seit fast zwei Jahrzehnten Schlangengiften aussetzt. Mehr als 200 Bisse von Kobras, Mambas und Klapperschlangen überlebte er – und zusätzlich injizierte er sich konzentrierte Dosen reiner Gifte. Sein Ziel: Immunität entwickeln, wo andere sterben würden.

Was zunächst wie ein waghalsiges Hobby wirkte, erwies sich als wertvolle Ressource für die Wissenschaft. Forscher um den Biotechnologen Jacob Glanville und den Immunologen Peter Kwong isolierten aus Friedes Blut Antikörper, die gleich gegen mehrere verschiedene Gifte wirksam waren. In Kombination mit einem weiteren Wirkstoff, dem Molekül Varespladib, entstand ein Cocktail, der nun Hoffnung auf ein universelles Gegengift macht.

Der Durchbruch im Labor

Die Wirkung des neuen Präparats testeten die Wissenschaftler bislang an Mäusen. Dabei konnten sie zeigen, dass das Mittel die tödlichen Effekte von 13 der 19 gefährlichsten Elapiden-Arten vollständig blockierte – darunter Kobras, Kraits und Taipane. Gegen die übrigen sechs zeigte es zumindest einen teilweisen Schutz.

Info-Box: Elapiden – die gefährlichsten Giftschlangen

  • Kobra (Asien, Afrika)

  • Schwarze Mamba (Afrika)

  • Krait (Südostasien)

  • Inlandtaipan (Australien, gilt als giftigste Schlange der Welt)

Alle gehören zur Familie der Elapidae, deren Gifte vor allem das Nervensystem angreifen und in kürzester Zeit Atemlähmungen verursachen können.

Die Kombination aus menschlichen Antikörpern und Varespladib könnte den entscheidenden Vorteil bringen: Statt wie bisher nur punktuell gegen ein einziges Gift zu wirken, neutralisiert sie gleich mehrere tödliche Substanzen auf einmal. Zudem wären menschliche Antikörper verträglicher als die tierischen, die bisher Standard sind.

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 © IMAGO / blickwinkel

Hoffnung und offene Fragen

Sollte das „Universal-Serum“ klinische Tests bestehen, könnte es die Behandlung von Schlangenbissen revolutionieren. Besonders in Ländern wie Indien, Nigeria oder Myanmar, wo Schlangenbisse zu den häufigsten Todesursachen zählen, wäre der Nutzen enorm. Ein Medikament, das in Krankenhäusern oder gar in ländlichen Gesundheitsstationen sofort einsetzbar wäre, könnte jedes Jahr zehntausende Leben retten.

Doch noch ist die Euphorie vorsichtig. Bisher existieren nur präklinische Daten aus Tierversuchen. Ob das Mittel beim Menschen genauso sicher und wirksam ist, muss erst in klinischen Studien bewiesen werden – ein Prozess, der Jahre dauern kann. Auch die Frage der Kosten ist offen: Werden sich Entwicklungsländer ein solches Serum leisten können? Und wie lässt sich die Produktion in großem Maßstab aufbauen?

Ein großer Schritt – aber kein Wundermittel

Das Experiment von Timothy Friede ist ebenso spektakulär wie umstritten. Ohne seine extremen Selbstversuche hätten die Forscher kaum so schnell an universell wirksame Antikörper gelangt. Nun aber zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab: Weg von Dutzenden spezialisierter Seren, hin zu einer breit wirksamen Therapie.

Noch gibt es kein „Serum gegen alle Schlangen“. Aber erstmals ist die Vision greifbar, dass ein einziger Wirkstoff viele der tödlichsten Bisse neutralisieren könnte – und so das stille Massensterben durch Schlangenbisse eindämmt.

Physische Gesundheit

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