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Kindesmissbrauch dominanter Faktor bei Schizophrenie

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Von den vernachlässigten Kindern litten 55,9 Prozent an Schizophrenie
©APA, dpa-tmn, Annette Riedl
Ein großer Teil von Erkrankungen an Schizophrenie und ähnlichen psychischen Leiden steht in Verbindung mit Kindesmissbrauch und/oder Vernachlässigung. Laut einer neuen Studie von norwegischen und österreichischen Experten hat daneben der psychische Gesundheitszustand der Eltern keinen bestimmenden Einfluss. Das stellt bisherige Dogmen der Psychiatrie in Frage.

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Nina Morkved (Helgeland Hospital/Norwegen) und die Co-Autoren der Studie, unter ihnen Maria Rettenbacher von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der MedUni Innsbruck, haben ihre aktuelle Untersuchung in "BMC Psychiatry" veröffentlicht (doi: 10.1186/s12888-025-07190-8). Sie analysierten die Daten einer norwegisch-österreichischen Untersuchung zur Wirksamkeit und Sicherheit von Medikamenten in der Behandlung von Psychosen (Schizophrenie und ähnliche psychische Erkrankungen aus diesem Formenkreis) auf mögliche "umweltbedingte" Begleitumstände.

Das Entstehen von psychischen Erkrankungen aus dem Schizophrenie-Spektrum wird seit längerem auch mit Missbrauchserlebnissen in der Kindheit, mit erlittener physischer und/oder psychischer Vernachlässigung und erlittenen Traumen in Verbindung gebracht. So wurde laut den Wissenschaftern zum Beispiel berechnet, dass bei gleich bleibenden anderen Rahmenbedingungen rund ein Drittel der Schizophrenie-Erkrankungen auf Missbrauchs- und Vernachlässigungserfahrungen mit Traumen (Childhood Maltreatment and Trauma/CMT) zurückzuführen sind bzw. durch Vermeidung solcher schädigender Einflüsse verhindert werden könnten.

Das zeigte sich auch bei den 133 Patienten im mittleren Alter von rund 30 Jahren mit Erkrankungen des schizophrenen Formenkreises, die im Rahmen der Studie untersucht wurden. Ein Kernpunkt: Von den Patienten mit CMT-Erfahrung litten allein 55,9 Prozent an Schizophrenie. Unter den Schizophrenie-Patienten ohne Missbrauchs-/Vernachlässigungserfahrungen und Traumen in der Kindheit lag dieser Anteil bei 35,4 Prozent. Wahrscheinlich genauso wichtig ist das Faktum, dass die Wissenschafter eine enge Beziehung zwischen dem Ausmaß der kindlichen Schädigungen und Traumata und dem Schweregrad der aufgetretenen Schizophrenie feststellten: "Es zeigte sich eine dosisabhängige Beziehung zwischen CMT und Psychosesymptomen (...)."

Im Rahmen der Untersuchung wurde aber auch nach der psychischen Gesundheit der Eltern der Betroffenen gefragt. Das Ergebnis: Bessere psychische Gesundheit der Eltern führte nicht zu einer geringeren Psychose-Belastung ihrer Kinder. Das deute darauf hin, "dass CMT eine unabhängige und reale Wirkung auf die Psychosesymptome" hätte, stellen die Wissenschafter fest. Das bedeutet umgekehrt aber, dass in der Vergangenheit oft genannte genetische Belastungen von Kindern von psychisch kranken Eltern nicht vorhanden sein müssen, um aus CMT-Erfahrungen ein erhöhtes Risiko für psychotische Erkrankungen entstehen zu lassen. Es kommt unabhängig davon auf die durchlebten Kindheits-Traumata an.

In einer Online-Veröffentlichung des US-Wissenschaftsmagazins "Science" wurden jetzt die Ergebnisse der norwegisch-österreichischen Studie als bahnbrechend bezeichnet. "Eine neue, in BMC Psychiatry veröffentlichte Studie stellt in einem bahnbrechenden Fortschritt in der psychiatrischen Forschung lang gehegte Annahmen über das komplexe Zusammenspiel zwischen Kindheitstraumata, der psychischen Gesundheit der Eltern sowie dem Auftreten und der Schwere von Psychosesymptomen in Frage. Die von Morkved und Kollegen durchgeführte Forschung zeigt, dass Misshandlungen und Traumata in der Kindheit einen direkten und nicht gemilderten Einfluss auf Psychosen haben, unabhängig von psychischen Problemen der Eltern. Dieser Durchbruch unterstreicht den starken und einzigartigen Einfluss früher negativer Erfahrungen auf die psychische Entwicklung (...)", heißt es dort.

Das erschüttere auch die bisherigen Konzepte zu den Risikofaktoren für Schizophrenie-Spektrum-Störungen (SSDs) durch Kliniker und Forscher. So sei bisher auch angenommen worden, dass die psychische Gesundheit bzw. Krankheit der Eltern umweltbedingte und genetische Faktoren für die Entstehung einer Erkrankung des schizophrenen Formenkreises vermittelten.

Die neue Studie zeige eine ganz andere Situation, so "Scienmag" (Online): "Entscheidend ist, dass die Forscher bei der Berücksichtigung der psychischen Gesundheit der Eltern keinen moderierenden Effekt fanden. Dies deutet darauf hin, dass der elterliche psychische Gesundheitszustand zwar gleichzeitig mit einem Kindheitstrauma vorhanden ist (auch Gesundheitsprobleme; Anm.), den Einfluss des Traumas auf die Schwere der Psychosesymptome jedoch weder verstärkt noch abschwächt."

WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA/dpa-tmn/Annette Riedl/Annette Riedl

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