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Ist Vorfreude die schönste Freude?

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Andreas Urs Sommer empfiehlt die Freude im Hier und Jetzt zu suchen
©Stefan Obermeier, APA, dpa-tmn
Vorfreude ist die schönste Freude. Rund um die Weihnachtszeit hat kaum ein anderer Satz mehr Konjunktur. Doch stimmt das auch? Wo Vorfreude ist, besteht schließlich auch immer das Risiko der Ernüchterung. Wird das Gefühl dadurch entwertet?

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Nein, sagt der Philosoph Andreas Urs Sommer. Im Interview rät er dennoch manchmal zu mehr Gelassenheit - aber zugleich auch dazu, Kinder nicht in ihrer Euphorie zu bremsen.

Andreas Urs Sommer: Tja. Es gibt ganze Religionen, die davon leben. Das Christentum in seiner traditionellen Form etwa sagt: Wir sind zwar im irdischen Jammertal, aber wir haben die Vorfreude auf die ewige Seligkeit. Wir können gelassen sein und uns die himmlischen Freuden im Jenseits ausmalen.

Das ist eine Vorstellung, die vielen Menschen fremd geworden ist, aber sie ist klassisch. Natürlich wissen wir nicht, ob am Ende die erwartete Freude einsetzt. Aber gläubige Christen sind geneigt, unbedingt daran zu glauben. Das muss man vielleicht auch, damit es mit der Vorfreude klappt.

Sommer: Angenommen, Sie haben sich auf die ewige Seligkeit gefreut, aber es wird dann leider am Tag des Jüngsten Gerichts anders entschieden und Sie müssen doch in die Hölle wandern. Dann wurde die Vorfreude enttäuscht. Das geht natürlich auch im Irdischen – etwa an Weihnachten. Wobei die Vorfreude durch eine Enttäuschung nicht entwertet wird. Vielleicht war das Fest aus welchen Gründen auch immer nicht so toll, aber Sie waren die Zeit davor in einer freudigen Erwartung. Das hat für Ihr Seelenleben etwas gebracht.

Sommer: Klar, das ist ein Punkt. Man denkt, etwas muss wahnsinnig toll werden: der Urlaub, das rauschende Fest an Weihnachten. Das erzeugt Druck und damit die Gefahr, dass die Realität diesem Druck nicht standhalten kann. Man malt sich ein Ereignis oft ganz anders aus – dann kann so eine Art Ernüchterungsschock einsetzen.

Sommer: Natürlich hat unser Inneres unterschiedliche Bedürfnisse. Um gewisse winterliche Schatten aus dem Kopf zu vertreiben, kann eine temperierte Vorfreude hilfreich sein – also etwa, dass es wieder Frühling wird und die Blumen sprießen. Bei sehr stark euphorisierenden Empfindungen ist es schwer, diese im Zaum zu halten. Das kann man häufig bei Kindern beobachten, die auf die tolle Feier oder den Urlaub mit Oma und Opa hinfiebern und sich dann vielleicht zu Tode langweilen, wenn es so weit ist.

Sommer: Ich würde da zu größter Zurückhaltung raten. Man sollte als Eltern nicht denken, man sei überlegen, weil man andere Lebenserfahrungen und damit andere Enttäuschungserfahrungen hat. Zu sagen: "Übertreib nicht und komm runter. Euphorie ist da gar nicht angesagt", das braucht es nicht. Man braucht das Kind nicht ernüchtern. Jeder Mensch muss da seine eigenen Erfahrungen machen und sein Erwartungsmanagement für sich austarieren.

Sommer: Die Gefahr ist, dass man sich die Vorfreude vergällt, wenn man sie zu sehr als Gegengift zur Gegenwart nutzt. Ich würde dann doch eher empfehlen, die Freude im Hier und Jetzt zu suchen und nicht auf das unsichere Pferd der Vorfreude zu setzen, wenn es darum geht, negative Empfindungen zu bewältigen. Daher würde ich nicht so sehr die Fähigkeit zur Vorfreude trainieren. Sondern eher die Gelassenheit, sich mit Gegenwärtigem zu arrangieren.

ZUR PERSON: Der Schweizer Andreas Urs Sommer, 1972 geboren, lehrt als Professor für Philosophie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Zu seinen Schwerpunkten zählen Kulturphilosophie und Religionsphilosophie.

WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA/dpa-tmn/Maria Diachenko/Maria Diachenko

WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA/dpa-tmn/Stefan Obermeier/Stefan Obermeier

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