Werner Kogler: "Ich neige
nicht zu Überforderung"

Der grüne Vizekanzler Werner Kogler ist Krisen gewohnt. Im News-Gespräch erklärt er, warum Politik auch in schwierigen Zeiten "Sinn und Spaß" machen muss, wie er mit der ÖVP zu Kompromissen findet und warum er dabei nicht immer Recht haben muss

von Politik - Werner Kogler: "Ich neige
nicht zu Überforderung" © Bild: News/Matt Observe

Als Sie vor etwa fünf Monaten in die Regierung eingetreten sind, waren noch Schönwetter-Zeiten. Inzwischen stecken wir in einer Krise, deren Ende noch gar nicht absehbar ist: Macht Ihnen Ihr Job noch Spaß?
Vor fünf Monaten war es zumindest kälter. Spaß beiseite: Politik muss in erster Linie Sinn machen. In zweiter Linie darf sie auch Spaß machen. In meinem Fall ist es auch eine Bedingung, dass sie Spaß macht. Das war schwierig in der Vergangenheit. Im Oktober 2017 waren die Grünen weg wie nichts, dann folgten alle möglichen Aufs und Abs. Schließlich haben wir bei EU-und Nationalratswahlen 14 Prozent erreicht, wo sechs oder sieben Prozent schon ein Erfolg gewesen wären. Nach so einer turbulenten Zeit schreckt einen nicht mehr so viel. Es ist so, wie wenn du mit 20 einen schweren Verkehrsunfall hattest und fünf Tage auf der Intensivstation gelegen bist, da siehst du das Leben anders. Sinn und Spaß -ich erfahre beides. Wenn man viele Wochen lang nur wenige Stunden Schlaf hat, kann man körperlich an seine Grenzen kommen.

Es gab Überforderung?
Nein, gar nicht. Ich neige nicht zu Überforderung. Aber es ist natürlich fordernd. Aber vielleicht kann ich in der Situation selbst gar nicht einschätzen, ob ich überfordert bin.

Seit den Anfängen dieser Koalition heißt es immer wieder, die Grünen hätten sich über den Tisch ziehen lassen. Hat das Corona-Krisenmanagement das Kräfteverhältnis verändert?

Nein, ich weise den Eingangsbefund entschieden zurück. Wenn einer immer das nachredet, was der andere sagt, kann man schon irgendwann daran glauben -es muss aber deshalb nicht stimmen. In diesem Regierungsprogramm ist sehr viel Grün drinnen. Allein in der Klimaschutzzielsetzung und im Maßnahmenkatalog ist mehr enthalten, als die meisten europäischen Länder machen oder vorhaben. Wir würden Österreich damit vom letzten Drittel zu den Top Drei bringen. Wenn es gelingt, die Voraussetzungen sind jedenfalls da. Auch in den Transparenzbestimmungen würden wir als Österreicher von relativ weit hinten ganz weit nach vorn kommen, wenn wir das jetzt angehen, wie Kollegin Edtstadler angekündigt hat. Das Informationsfreiheitsgesetz und dazu noch gläserne Parteikassen mit der Kontrolle des Rechnungshofs -das ist dann eine Revolution für Österreich. Also: Aus dem Regierungsprogramm kann man sehr viel Grünes herausholen.

Lesen Sie nach: Die aktuelle Situation zu Corona in Österreich

Was wird durch Corona auf die lange Bank geschoben?
Die Vor-Corona-Regierungszeit war gerade einmal zwei Monate und ein paar Tage. Aus der jetzigen Not kommend passiert gerade sehr viel Sinnvolles: Wir haben die Klimaschutzmilliarde. Durch Corona haben wir jetzt wesentlich mehr Klimaschutzinvestitionen, als wir sonst gehabt hätten. Da ist ein starker grüner Input drinnen. Aber es war hier nicht schwierig, mit dem Koalitionspartner einen Konsens zu finden. Wir Grüne sind im Gegenzug dafür, dass wir bei der Digitalisierung viel machen. Regionalisierung werden wir auch europäisch denken müssen. Diese durchgeknallte, enthemmte Turbo-Globalisierung ist am Rückzug. Da können Volkswirtschaften wie Österreich, die das relativ schnell überzuckern, in den nächsten Jahren erfolgreich hineinstechen. Die Bewältigung der Krise dauert sicher Jahre, aber die Entscheidungen dafür muss man jetzt treffen. Daher sind Punkte, die uns wichtig sind, sogar beschleunigt worden.

Die Grünen betonen gerne Unterschiede zur ÖVP-FPÖ-Koalition. Hätte die so anders aus der Krise hinausinvestiert?
Naja, die Unterschiede wären sicher da. Die Freiheitlichen hätten wohl relativ rasch Prämien für den Kauf von Dieselautos eingeführt. Wir hingegen drehen das ja in Richtung Elektromobilität. Für die FPÖ ist Elektroantrieb ein seltsames, grünes Tuch. Sie forcieren damit stark die deutsche Diesel- Autoindustrie. Ich halte das noch nicht einmal für illegitim. Die Blauen sind ja in gewisser Weise konsistent. Bis Mai 2019 haben sie sich stark Richtung Klimawandelleugner entwickelt. Erst der Wahlkampf brachte da eine Änderung. Die türkise Partei war immer schon die gleiche, die sie jetzt ist. Aber es macht einen Unterschied, von welcher Seite da ein Gewicht dazugehängt wird. Wenn jetzt investiert wird, schaut das mit uns eben anders aus. Natürlich kann man sagen, Industrie und Gewerbe sollen so aus der Krise kommen und wieder werden, wie sie vorher waren. Wir sagen: Wenn wir schon Milliarden investieren und Unterstützung bieten, dann schauen wir, dass wir auch noch gleichzeitig die Kurve Richtung Klimaschutz einschlagen.

Wie einfach war es, die ÖVP davon zu überzeugen?
Es war eher ein Erkenntnisproblem: Wie viel braucht das? Es gibt ja sehr originelle Übersetzungen, wie "Koste es, was es wolle". Da bin ich eigentlich linksökonomisch überholt worden. Ich tendiere eher zu "Alles, was es braucht". Wir hatten am Anfang den Unterschied: Sind es ein paar Milliarden, die gebraucht werden, oder sind es viele Milliarden? Das war vielleicht nicht für alle abschätzbar. Aber die ÖVP war jedenfalls bald davon überzeugt, dass viel mehr Geld in die Hand genommen werden muss.

Sie haben von Anfang an auf 40 Milliarden getippt. Zudem hört man, die Grünen hätten eine rigorose Ausgangssperre verhindert. Wie einig war man sich in der Corona-Krise?
Es war viel Konsens. Dass ich drei Tage vorher gesagt habe, dass es nicht vier Milliarden sein werden, sondern eher zehn mal so viel -das war auch nur Daumen mal Pi. Zehn Prozent der Wirtschaftsleistung sind eben die berühmten 38 Milliarden, die es nun geworden sind. Bei den Ausgangsbeschränkungen hat die ÖVP dafür uns überzeugt. Vielleicht waren wir da die Langsameren. Wann machst du den Lockdown? Mir war das nicht so klar. Das, was gemacht wurde, war gescheit: zuwarten und dann -zack. Das ging ja über die Parteigrenzen. Etwa Minister Faßmann wollte auch länger offen halten wegen der Schulen. Viel länger. Da habe ich mich überzeugen lassen. Gleichzeitig war es mir wichtig zu sagen, die Leute sollen raus an die Luft gehen dürfen: Rad fahren, joggen. Wir waren gut beraten, schnell zu sein -Kompliment an den Koalitionspartner. Kompliment auch an uns - es gab dann mehrere gute Gründe, das Haus zu verlassen. Ich finde, das war ein Superkompromiss.

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Stichwort Hilfspakete: Viele Unternehmer klagen über Tempo und Bürokratie.
Wir sind dabei zu erfassen, wie viele schon etwas bekommen haben, wie schnell und wie viel. Ich registriere, dass es gar nicht so wenig Einzelfälle sind, die sich mit Kritik melden. Ich neige dazu, dem nicht nur Gehör, sondern auch Glauben zu schenken. Deswegen kamen ja auch des öfteren Nachbesserungen. Aber auch wenn Zehntausende noch nicht zufrieden sind, gibt es mindestens Hunderttausend, die schon anständig Unterstützung bekommen haben. Ich würde mir das gerne Ende Juni noch einmal anschauen. Die Zuschüsse über 15 Milliarden kann man erst seit 20. Mai beantragen. Stimmt, das kann man kritisieren. Aber es ist jetzt sehr großzügig. Du bekommst zwar nicht 100 Prozent deiner Kosten, aber doch 75 Prozent. Es hätte vielleicht eine Alternative gegeben, die aber viel teurer gekommen wäre: Wir tun nicht lange rum und zahlen jedem 80 Prozent von einem Quartalsumsatz. Am Jahresende wird abgerechnet. Da wären nicht zehn oder 20 Milliarden rausgegangen, sondern viel mehr. Das hat sich kaum jemand getraut. Weil ansonsten kommen wir wirklich zur Frage: Wer zahlt das am Schluss? Der Fonds, der den Unternehmerlohn ersetzt, ist schon mehrmals nachgebessert worden. Da gab es ein Ringen, was die Höhe betrifft und die Zugangsberechtigungen. Es sind jetzt doppelt so viele zugangsberechtigt als zu Beginn. Da hat man im Finanzministerium übersehen, dass es viele gibt, die zum Beispiel drei Jobs haben. Die waren ja alle nicht berücksichtigt. Das haben wir nun nachgebessert, aber das Wichtigste ist, dass es jetzt sechs statt drei Monate Anspruch auf Auszahlung und dass es auch pro Monat erheblich mehr Geld geben wird. Insgesamt für ein halbes Jahr zwischen 6.000 und 15.000 Euro.

Der Bundeskanzler hat sich am Wochenende bei Unternehmern in die Nesseln gesetzt, als er meinte, diese hätten vielleicht ihren Namen falsch ins Formular geschrieben oder früher an der Steuer vorbei gearbeitet, weswegen der Umsatzentgang nicht nachweisbar ist.
Ich hab das mittlerweile auch selbst in den Medien nachgelesen. Also: Bei den Hilfen ist berechtigte Kritik angekommen, sonst müssten wir ja nicht dauernd nachbessern. Da war Bedarf. Das hat auch die ÖVP erkannt. Es gibt nun eine Auszahlungsuntergrenze von 1.000 Euro, selbst wenn einer nur fünf Euro verdient hätte letztes Jahr. Jetzt entsteht das, was das Finanzministerium vermeiden wollte: Da werden nicht wenige dabei sein, die gleich viel oder mehr bekommen als vor der Corona-Krise. Wissen Sie, was passieren wird? In zwei Jahren wird der Rechnungshof kommen und sagen: Wahnsinn, ihr habt die überfördert. Meines Erachtens war man am Anfang zu wenig großzügig und, warum auch immer, zu langsam. Jetzt dreht sich das komplett.

»Vier Seiten Formulare durchkreuzeln, halte ich für zumutbar. Das ist keine Raketenwissenschaft«

Damit fängt man die Unzufriedenheit wieder ein?
Ich denke schon. Mein Zugang war ja immer, dass man großzügig sein soll. Aber immer, wenn du es besonders treffsicher und gerecht machen willst, dann wird es eher kompliziert. Dann muss man vier Seiten Formulare durchkreuzeln. Obwohl: Das halte ich für zumutbar. Raketenwissenschaft ist das auch keine.

Heißt: Im Juli steigt die Stimmung?
Das ist nicht das Wichtigste. Wenn man aus der Provinz in die Bundeshauptstadt kommt, merkt man, dass immer noch etwas zum Sudern bleibt. (Lacht)

Schon wieder dieses "Wien- Bashing", würde die SPÖ sagen.
Nein. Es ist nur so: Die, die vielleicht eh zufrieden sind, und die gibt es schon, sind einfach nie so laut. Darum lass ich mir das jetzt statistisch erheben. Und dass die SPÖ, die jetzt auch wieder ein bissl munterer wird - und das ist ja auch in gewisser Weise gut für eine Oppositionspartei -, in dem ganzen Ding auch noch als Verstärker auftaucht, wie etwa im Kulturbereich, das merkt man. Da haben wir übrigens auch viel verbessert: Circa 15.000 Künstlerinnen und Künstler bekommen jetzt die erwünschten 1.000 Euro pro Monat und das sechs Monate lang.

Die größere Masse der Unzufriedenen ist in der Wirtschaft zu finden.
Ich glaub ja auch, dass etwas dran ist an der Unzufriedenheit. Der Wirtschaftskammerpräsident, wird sich auch denken, entweder wir kriegen das noch toll hin -oder hätte ich das nie angenommen. Die Kammer hat sich ja nicht offensiv gewehrt, dass sie den Härtefallfonds abwickeln sollen. Jetzt soll sie schauen, dass das funktioniert. Und wenn das endlich funktioniert und viele im Juli mehr am Konto haben, als sie eigentlich erwartet haben, dann sollte es wieder passen.

»Wir brauchen ein funktionierendes System von Corona-Tracing«

Im Juli wollen auch viele Menschen auf Urlaub fahren und viele Tourismusbetriebe hoffen auf - vor allem deutsche - Gäste. Was tut man, wenn z. B. in Deutschland die Corona-Zahlen wieder steigen? Grenzen wieder dicht?
Ich glaube, Italien, Spanien oder Großbritannien sind die größere Herausforderung als Deutschland. Man sieht, wenn es einzelne Hotspots gibt, wie schnell Corona wieder ins Rollen kommen kann. Der Punkt ist bei den Reisebestimmungen: Wir wollen rasch die maximale Reisefreiheit. Das kann schon riskant werden. Wie geht man mit dem politischen Druck um? Grenzöffnungen sollten vom Infektionsgeschehen abhängen und nicht von irgendwelchen Zurufen oder Export-Import-Beziehungen. Sonst sage ich: Machen wir gleich alles auf. Wir brauchen ein funktionierendes System von Corona-Tracing. Weil, wenn Covid in manchen Regionen wieder explodiert, halte ich es schon für ein Problem, wenn wir alle im Kreis herum durch Europa fahren, und jene, die sich den Erfolg erarbeitet haben, importieren sich das Virus wieder.

Beim Erkennen und Verhindern von Corona-Clustern spielt der Faktor Zeit eine wesentliche Rolle. Haben Sie die App am Handy?
Ja. Wir müssen für das Reisen viel schneller werden mit dem Rückverfolgen. Das haben wir aus gutem Grund nicht mit einer verpflichtenden App automatisiert. Die Behörden müssen geschickt und rasch handeln. Da gab es eine Diskussion zwischen Bund und Ländern, um besser zu werden. Ich nehm da kein Land aus. Wenn es fünf bis sechs Tage gedauert hat, bis die Umgebung eines auf Corona positiv Getesteten überhaupt einmal kontaktiert wurde -dann war das einfach zu lange. Wenn das innerhalb von 24 Stunden gelingt, dann schaut das alles anders und viel besser aus. Dann kann man auch viel verhindern.

Also die befürchtete zweite Welle?
Wir müssen zumindest vorsichtig sein. Es wird ja immer mehr möglich, Gasthausbesuche und Veranstaltungen indoor. Und genau da spielt es sich ab: fortdauernde Zeit, Alkoholgenuss, es ist laut und eng. Corona hat sich in den Skigebieten ja nicht auf der Piste verbreitet, sondern in den Gondeln und beim Après-Ski. Solche Situationen können zwar im Sommer auch entstehen, es findet aber mehr im Freien statt. Aber schon im September oder Oktober kann es zu einer zweiten Welle kommen: Weil da wieder mehr Menschen auf engerem Raum drinnen sein werden.

Ihre Meinung zum EU-Hilfspaket im Wordrap.
Das ist schlecht geeignet für einen Wordrap, insbesondere, wenn man mich fragt. Dieser Einschlag in das Wirtschaftsgeschehen Europas betrifft alle. Tirol und Kärnten haben mehr Wirtschaftsbeziehungen zu Norditalien als mit jedem anderen österreichischen Bundesland. Also sind wir selber gut beraten, wenn Italien anständig geholfen wird. Da haben wir aber viel mehr Konsens mit Türkis, als man glaubt. Es braucht einen Fonds, aber einen Riesenfonds. Es ist sogar ein Vorteil, wenn anständig geklotzt wird, das aber beschränkt auf zwei, drei Jahre.

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Die EU-Kommission schlägt 750 Milliarden Euro vor.
Darauf wird es hinauslaufen. Es wird eine Mischung aus Krediten und Zuschüssen geben und am Ende werden sich alle finden. Dass wir Grüne mehr von der Zuschussseite gekommen sind und der ÖVP-Finanzminister mehr von der Kreditseite, ist kein Geheimnis. Aber das wird am Schluss ganz gut werden. Was wir aber nicht fördern wollen, ist z. B. ein italienisches Bankensystem, wo marode Banken mit Superreichen verklüngelt sind, die noch dazu ihre Steuern nicht bezahlen. Da gibt es Bedingungen, auch wenn sich Italien aufregt. Sorry, guys! Sonst gilt beim Wiederaufbau: Es werden vielleicht ein paar Industrien dabei sein, die nicht grün sind -an der Stelle ist das aber nicht so relevant. Es muss ja weitergelebt werden und auch Italien braucht eine Stahlproduktion. Aber sonst gilt: Die Hälfte des Hilfsfonds ist im Green New Deal der EU drinnen. Das ist natürlich super aus Sicht der Grünen.

Auf einen Hilfstopf wartet in Österreich auch das Gesundheitssystem. Der Wiener Stadtrat Peter Hacker warnte letzte Woche in News vor einem finanziellen Kollaps.
Apropos: Everything it takes. Höhere Arbeitslosigkeit heißt naturgemäß weniger Einnahmen für die Krankenkassen. Das wird aus dem Steuertopf zu kompensieren sein. Ich würde nicht versuchen wollen, das über die Lohnnebenkosten reinzuholen. Da sind wir in Österreich ohnehin schon böser Weltmeister. Und da wir in Österreich für die nächsten Jahre sicher immer noch Geld dafür bekommen, wenn wir uns eines ausborgen als Republik, würde ich sagen, dieses günstige Geld muss man dann in die Finanzlücke der Sozialversicherung reinschicken. Ansonsten würde es ja bedeuten, dass man irgendwann ein Spital zusperren muss. Das kann es ja nicht sein.

»Wir hatten jetzt das Glück, dass wir diesen vom Rechnungshof oft kritisierten Überbestand an Intensivbetten haben«

Patientenanwälte kritisieren, dass viele Behandlungen und Kontrolluntersuchungen auf der Strecke geblieben sind, weil die Spitäler und niedergelassenen Ärzte im Corona-Modus waren. Muss man da nicht bessere Strukturen aufbauen, für den Falle einer zweiten Welle?
Ich würde da gar nicht so viel ändern wollen, es muss nur flexibler sein. Eine Art Semistationen, die man rasch zu Intensivstationen ausbauen kann. Wir hatten jetzt das Glück, dass wir diesen vom Rechnungshof oft kritisierten Überbestand an Intensivbetten haben. In anderen Ländern, wo die epidemiologische Situation grimmiger war, waren die Stationen tatsächlich mit Corona-Fällen voll. In Bologna, einer der entwickeltsten Städte der Welt, sind die Leute am Herzinfarkt gestorben, weil sie gar nicht mehr ins Spital gebracht worden sind. Bei uns hat es das in dieser Dimension nicht gegeben. Ich höre aber, dass in einzelnen Spitälern die Aufnahme restriktiver gehandhabt wurde. Auch verschobene Operationen sind ein Problem, diese Kosten -da meine ich nicht Geld, sondern menschliches Leid oder Unwohlbefinden -, die kann man nicht wegreden. Da wären flexiblere Gesundheitssysteme besser.

Für den Schluss haben wir uns noch eine angenehmere Frage aufgehoben. In der Debatte um die Hilfen für Kunst und Kultur wurde Ihnen bisweilen vorgeworfen, Sie würden sich nicht für die Materie interessieren. Jetzt als die Chance zur Aufklärung: Was haben Sie zuletzt gelesen, welchen Film gesehen?
Der Film, den ich mir zuletzt reingezogen habe, war "Die dunkelste Stunde", diese Churchill-Geschichte. Dann hab ich mir -typisch für mich -gleich noch alle dazu passenden Dokus angeschaut. Das war am Pfingstsonntag. Mein freier Tag. Zu Weihnachten hab ich den 25. als freien Tag geschafft, dann den Ostersonntag und jetzt den Pfingstsonntag.

ZUR PERSON: Der Steirer Werner Kogler, 58, hat Volkswirtschaftslehre und Jus studiert. Er ist Mitbegründer der Grünen in Graz, der Steiermark und Österreich. Kogler war von 1999 bis 2017 grüner Nationalratsabgeordneter. Nach dem Wahldebakel 2017 übernahm er die Parteiführung und führte die Grünen zu Erfolgen bei der EU und der Nationalratswahl 2019. Seit Jänner ist er Vizekanzler in einer Koalition mit der ÖVP.

Das Interview ist ursprünglich in der Printausgabe von News 23/2020 erschienen.